Kino-Film «Not Me – A Journey with Not Vital» : Der Künstlermythos überschattet alles

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Er schreitet durch eine vom Wind bewegte Steppe, blickt mit wachen Augen in jene Ferne, nach der er sich immer sehnte. Hier beginnt «Not Me», Pascal Hofmanns dokumentarischer Essay über den Künstler Not Vital. Der Film zeigt Vital als unermüdlichen Reisenden, getrieben von genuinem Interesse für die Welt, die ihn umgibt. Wir folgen ihm durch die Strassen von Peking, in die ägyptische Wüste oder den Wald bei Sent, wo er aufwuchs und wo wir in seine Vergangenheit eintauchen. Im nebelverhangenen Wald begegnen wir seinem kindlichen Ich, dessen Visionen sich als geisterhafte Hologramme zeigen. Hier trifft der junge Not Vital auf einen orientalischen Fremden, der ihm sein künstlerisches Werk prophezeit.

Dokumentation, Inszenierung und auch einige Stereotype fliessen so ineinander. Das rückt Not Vital in den Bereich des Ungreifbaren, mythisiert und verklärt ihn zur Figur des Künstlerschöpfers, dem in jungen Jahren bewusst wurde: Sein künstlerisches Schaffen ist nicht Beruf, sondern Berufung. Neben so viel Pathos bleibt der Film inhaltlich an der Oberfläche. Was «Not Me» liefert, ist ein generischer Überblick über Vitals Malereien und Skulpturen, ohne dass diese genauer verortet würden. Ihr Schöpfer ist eine konstruierte Figur, während die Person Not Vital im mystischen Nebel der filmischen Inszenierung verborgen bleibt.

Was stattdessen in den Vordergrund rückt, ist die persönliche Geschichte des Regisseurs. Aus dem Off beschreibt Pascal Hofmann seine Gespräche mit Not Vital während der Dreharbeiten, wobei seine eigenen Erfahrungen, etwa der Tod seines Vaters, unweigerlich in diese Arbeit einflossen. Was spürbar wird, ist Hofmanns Versuch, den künstlerischen Prozess offenzulegen: Wie damit umgehen, wenn die eigenen Gefühle mehr Raum einnehmen als ursprünglich geplant? Diese verheissungsvolle Nähe vermag der Film allerdings letztlich nicht herzustellen. Zurück bleibt das Narrativ vom männlichen Künstlermythos, das nicht nur die Biografie des Regisseurs, sondern auch jene Not Vitals überschattet.

Not Me – A Journey with Not Vital. Regie: Pascal Hofmann. Schweiz 2020