Auf allen Kanälen: Hype und Hetze
Der Journalist Éric Zemmour könnte bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich Marine Le Pen Konkurrenz von rechts machen – sollte er denn antreten.
Vor Éric Zemmour ist kein Entkommen. Der Journalist ist im französischen Präsidentschaftswahlkampf allgegenwärtig, dabei zählt er offiziell nicht mal zu den KandidatInnen, die 2022 auf dem Wahlzettel stehen werden. Die Onlinezeitung «Mediapart» konstatierte vergangene Woche, dass es seit Marion Maréchal Le Pen, der genauso telegenen wie radikalen Nichte der Rechtspopulistin Marine Le Pen, keine solche mediale Aufregung um einen «Nichtkandidaten» gegeben habe.
Prominent ist Zemmour jedoch schon lange – und sei es nur als Namenspatron für eine Krisendiagnose. Bereits 2014, als er mit dem Buch «Der französische Selbstmord» einen Bestseller landete, riefen die Grünen-Politiker Noël Mamère und Patrick Farbiaz zum Widerstand gegen die «Zemmourisation der Köpfe» auf. Dem Autor des reaktionären Pamphlets, das den angeblichen Souveränitätsverlust Frankreichs anprangert, attestierten sie «schlimmste sexistische und homophobe, rassistische und islamophobe Regressionen».
Sieben Jahre später gilt dieser Befund unvermindert. Als die Zeitung «Le Monde» kürzlich der Radikalisierung der öffentlichen Debatte nachspürte, diente wiederum die «Zemmourisation» als Erklärung, warum «Krawall» und «Raserei» den Diskurs dominierten. Allerdings lässt der 63-Jährige nicht mehr nur mit chauvinistischen Thesen aufhorchen, sondern auch mit ihm nachgesagten Ambitionen, bei der Präsidentschaftswahl als Parteiloser zu kandidieren.
Wer ist das stärkere Zugpferd?
Zemmour selbst befeuerte die Spekulationen mit Andeutungen in seiner Kolumne im konservativen «Figaro», für den er seit den Neunzigern schreibt, oder auch mit seiner Selbstdarstellung auf Social Media, die sehr an PolitikerInnen auf Wahlkampftour erinnert. Dazu kommen Zerwürfnisse beim Rassemblement National (RN): Zwar dürfte Parteichefin Marine Le Pen 2022 erneut die Stichwahl erreichen. Dort wird sie aber wohl wieder chancenlos sein. Bei den jüngsten Regionalwahlen schnitt der RN sogar überraschend schwach ab. So drängt sich rechts aussen die Frage auf, ob nicht Zemmour das stärkere Zugpferd sein könnte.
Hemmungen, eine ultranationalistische Klientel zu bedienen, kennt dieser nicht: So verweist Zemmour gerne mal auf die Verschwörungstheorie vom «grossen Bevölkerungsaustausch», was Marine Le Pen vermeidet, um nicht zu radikal zu erscheinen. Ende August prophezeite er bei einem öffentlichen Auftritt, dass Frankreich spätestens 2100 eine «islamische Republik» sein werde. Ein breites Publikum erreicht er zudem dank des Fernsehkanals CNews, der dem Milliardär Vincent Bolloré gehört und als Pendant zum US-Sender Fox News gilt. Seit Oktober 2019 sorgt Zemmour dort in der Talkshow «Face à l’info» für Quote.
Zemmour zieht die Grenzen neu
Als vor einigen Wochen Emmanuel Macron von einem Rechtsextremen geohrfeigt wurde, meinte Zemmour im Fernsehen, der Präsident sei für die Attacke mitverantwortlich, da er sein Amt «entweiht» habe. Als Beleg dafür diente ihm, dass sich Macron einmal mit einer schrillen schwulen Popband hatte fotografieren lassen. Wenig später irritierte der Publizist im benachbarten Ausland, weil er vor laufender Kamera darüber sinniert hatte, dass Norditalien eigentlich französisches Territorium sein müsste.
Über die Jahre ist Zemmour, der aus einer algerisch-jüdischen Familie stammt, mehrfach wegen rassistischer Hetze verurteilt worden. Dies hat seiner Popularität genauso wenig geschadet wie Berichte von «Mediapart», in denen ihm Frauen sexuelle Übergriffe vorwarfen. Doch trotz des Trubels um seine Person käme er Umfragen zufolge nur auf bis zu sieben Prozent der Stimmen im ersten Wahlgang, sollte er antreten. Der Linkspolitiker Jean-Luc Mélenchon twitterte daher spöttisch: «Und deswegen dieses Tamtam um Zemmour?»
Allerdings hat dessen Kampagne noch gar nicht richtig begonnen. Käme sie ins Rollen, könnte das für Le Pen zum Problem werden. Denkbar ist aber auch, dass sie von einem rechten Konkurrenten profitiert: Zemmours radikale Rhetorik würde es der RN-Chefin erleichtern, sich als seriöse Politikerin zu präsentieren. Ausserdem würden reaktionäre Narrative noch stärker die Debatte beherrschen als ohnehin schon. Die «Zemmourisation» Frankreichs ist jedenfalls weiter voll im Gange.