Auf allen Kanälen: Rechtsruck beim «JDD»
Nach vierzig Tagen musste sich das französische «Journal du Dimanche» geschlagen geben: Es hat nun einen Chefredaktor vom rechten Rand.

Wird Frankreichs grösste nationale Sonntagszeitung zu einem Sprachrohr für rechte Meinungsmache? Das jedenfalls fürchtet die Belegschaft des «Journal du Dimanche» («JDD»), die vergangene Woche eine bittere Niederlage hinnehmen musste. Seit dem 22. Juni hatten die Redaktionsmitglieder beinahe einstimmig ihre Arbeit niedergelegt, mehr als einen Monat lang waren weder gedruckte Ausgaben erschienen noch neue Artikel auf der Website. Doch Anfang August musste der längste Streik in der 75-jährigen Geschichte der Zeitung beendet werden – ohne das erhoffte Ergebnis.
Der Protest richtete sich gegen die Ernennung des neuen Chefredaktors Geoffroy Lejeune, der nun per 1. August seine Stelle angetreten hat. Lejeune leitete zuvor mehrere Jahre lang die Redaktion der am rechten Rand stehenden Zeitschrift «Valeurs actuelles». Anfang Juni wurde er dort entlassen, laut Medienberichten wegen Streitigkeiten mit den Besitzern über die publizistische Ausrichtung der Zeitschrift. Der Rechtskurs des 34-Jährigen wurde anscheinend als zu extrem empfunden.
Eng mit Zemmour
Lejeune gilt als Unterstützer des rechtsextremen Publizisten Éric Zemmour, der im Frühjahr 2022 zu den französischen Präsidentschaftswahlen antrat. Den Wahlkampf des Provokateurs verfolgte er eng. Schon sieben Jahre zuvor hatte Lejeune einen Roman veröffentlicht, der Zemmours Wahl zum Präsidenten durchspielt. Zudem unterhält er gute Kontakte zur Nichte der Rechtspopulistin Marine Le Pen, Marion Maréchal.
Zwei Journalisten von «Valeurs actuelles» wurden unter Lejeunes Leitung wegen rassistischer Beleidigung verurteilt, nachdem die Zeitschrift 2020 die Schwarze Abgeordnete Danièle Obono als Sklavin dargestellt hatte. Eine der Zeichnungen zeigte Obono mit Ketten um den Hals. Lejeunes Linie laufe der Geschichte und der Identität des «JDD» zuwider, beklagte die Belegschaft der Zeitung, die sich als politisch unabhängig und der Information verpflichtet bezeichnet.
Als verantwortlich für die Ernennung des neuen Chefredaktors sehen viele den Unternehmer und Milliardär Vincent Bolloré. Dessen Medienkonzern Vivendi ist gerade dabei, das Verlagshaus Lagardère zu übernehmen, zu dem das «JDD» gehört. Die Geschäfte des 71-jährigen Bolloré, eines der reichsten Franzosen, reichen von Transport- und Logistikprojekten über E-Mobilität bis in den Werbemarkt. Seit 2014 baut er zudem ein Medienimperium auf, zu dem neben dem Bezahlsender Canal+ und dem Nachrichtensender CNews sowie mehreren Magazinen seit kurzem auch der Radiosender Europe 1 und die Zeitschrift «Paris Match» zählen. Bollorés Übernahmen sorgten für grossen Aufruhr. Denn auch wenn er sich gegen den Vorwurf verwahrt, steht für viele ausser Frage, dass der strenggläubige Katholik die Ausrichtung und die Berichterstattung der Medien stark beeinflusst.
Nach seiner Übernahme von Canal+ wurden mehrere Sendungen, darunter ein investigatives Format, gestrichen. Der Nachrichtensender i-Télé, der 2017 in CNews umbenannt wurde, erlebte einen starken Rechtsruck. Bis kurz vor seiner Präsidentschaftskandidatur gab dort etwa Éric Zemmour täglich seine Hasstiraden zum Besten. Beim Radiosender Europe 1 kam es zum Streik, als 2021 bekannt wurde, dass der Sender enger mit CNews zusammenarbeiten sollte. Bollorés Einfluss soll bereits spürbar gewesen sein: Eine Humoristin beklagte, ihr sei verboten worden, einen Witz über Zemmour zu bringen. Und «Paris Match» widmete letzten Sommer seine Titelseite einem reaktionären Kardinal, der «Genderideologie» mit fanatischem Islamismus gleichsetzt, angeblich auf Bollorés Wunsch. In allen Fällen verliessen Dutzende Journalist:innen die Medien.
Exodus der Redaktion
Auch die Mitarbeiter:innen des «JDD» erklärten vergangene Woche, ihr neuer Chefredaktor werde eine leere Redaktion vorfinden. Sechzig der hundert Journalist:innen hätten ihren Weggang bereits beschlossen, berichten französische Medien. Die erste Printausgabe unter Lejeune, die am 6. August erschienen ist, wurde vor allem von externen Redaktor:innen erstellt. Glaubt man der Zeitung «Le Monde», dürften die ersten Stellen aber bereits nachbesetzt werden: durch frühere Kollegen Lejeunes bei «Valeurs actuelles». Der Rechtsruck des «JDD» nimmt seinen Lauf.