Proteste in Afghanistan: «Wir werden nicht aufhören»

Nr. 37 –

Im Interimskabinett der Taliban findet sich keine einzige Frau. Auf Afghanistans Strassen stellen sich derweil mutige Aktivistinnen den neuen Herrschern in den Weg.

«Warum schweigt die Welt?»: Frauen demonstrieren am 8. September in Kabul gegen die Herrschaft der Taliban. Foto: Markus Yam, Getty

«Sie haben sich nicht verändert», sagt Farah Akbari*. Mit «sie» meint die Aktivistin die Taliban, die vor rund einem Monat fast ganz Afghanistan eingenommen haben. Herat, die Heimatstadt von Akbari, fiel bereits vor Kabul den Extremisten in die Hände. Seitdem protestiert die 24-Jährige. Allein in den letzten Tagen und Wochen fanden landesweit mehrere Demonstrationen gegen die Taliban statt, darunter auch explizite Frauenproteste. Aktivistinnen und Journalisten wurden dabei von den Taliban angegriffen, verhaftet, verletzt oder getötet. In Herat gehört Farah Akbari zu den MitorganisatorInnen. «Viele afghanische Frauen wollen die jüngsten Entwicklungen nicht hinnehmen. Sie haben sich unserem Protest angeschlossen und erheben ihre Stimme», erzählt sie.

Allein in Herat im Südwesten des Landes nahmen Dutzende von Frauen an Demonstrationen teil. Unterstützt wurden sie dabei auch von vielen Männern. Die Reaktion der Taliban fiel brutal aus. In der männlichen Menschenmenge gab es Tote und Verletzte, während man versuchte, die Frauen mittels Schüssen über ihre Köpfe hinweg zum Schweigen zu bringen.

Frauenministerium abgeschafft

Vor wenigen Tagen verkündeten die Taliban die Zusammensetzung ihrer Interimsregierung. Unter den Kabinettsmitgliedern ist keine einzige Frau zu finden. Zudem wurde das afghanische Frauenministerium einfach abgeschafft. Hinzu kommt, dass die neue Talibanregierung selbst für die teils extrem konservativen Strukturen Afghanistans alles andere als inklusiv ist. Die absolute Mehrheit des Kabinetts besteht aus Paschtunen, der dominanten Volksgruppe Afghanistans. Abgesehen von zwei Tadschiken und einem Usbeken sind keine Minderheiten präsent. Die mehrheitlich schiitischen Hazara wurden vollständig ausgeschlossen.

Stattdessen sitzen berühmt-berüchtigte Talibanführer in der Regierung, etwa Siradschuddin Hakkani, der neue Innenminister des Landes, für dessen Kopf das FBI einst zehn Millionen US-Dollar ausgelobt hatte. Hakkani und seine Kämpfer sind für die Tötung zahlreicher afghanischer ZivilistInnen verantwortlich.

Für Farah Akbari und viele andere AfghanInnen ist deshalb klar: Mit den Taliban sieht die Zukunft Afghanistans schwarz aus. Viele jener Rechte, die den afghanischen Frauen von der Verfassung gewährt wurden, wollen die Taliban abschaffen. «Wir waren Muslime, und wir sind das auch weiterhin. Die neue Verfassung Afghanistans, die nach 2001 kreiert wurde, bezieht sich auf den Islam. Die Taliban wollen sich nun als die einzig wahren Muslime aufspielen, und dagegen wehren wir uns vehement», so Akbari. Gemeinsam mit anderen AktivistInnen plant sie bereits den nächsten Protest. Die Organisation findet meist über Kurznachrichtendienste wie Whatsapp oder Telegram statt.

Die Proteste der afghanischen Zivilgesellschaft sind eine neue Realität, der sich die Taliban stellen müssen. Auch während der neunziger Jahre – damals kamen die Taliban erstmals an die Macht – gab es Widerstand, auch seitens der Frauen. «Sie trafen sich heimlich in ihren Wohnzimmern und planten den Widerstand, doch dieser wurde schnell und brutal unterdrückt», sagt Akbari. Mittlerweile sei die Situation anders, unter anderem aufgrund der politischen und gesellschaftlichen Errungenschaften der letzten Jahre.

Strenge Auflagen für Proteste

Vergangene Woche gaben die Taliban bekannt, dass für weitere Proteste strenge Auflagen herrschen würden. Demonstrationen müssen 24 Stunden vorher angemeldet werden. Auch der Grund für den Protest muss ausdrücklich genannt werden. Durch derartige Schritte wollen die Taliban auch die Gesichter jener Menschen sehen, die hinter den Protesten stecken. Akbari spricht von Repressalien. Die Absichten der Taliban seien offensichtlich. «Wir werden nicht aufhören», resümiert die Aktivistin. Man denke bereits an andere Formen des Protests, etwa eine schweigende Masse, um den Unmut gegen das neue Regime zu verdeutlichen.

* Name aus Sicherheitsgründen geändert.