Zukunftsdiskurse: Fridays – no Future?

Nr. 39 –

Unter dem Eindruck des Kalten Kriegs und der atomaren Bedrohung entstanden ökodystopische Szenarien, die uns heute immer noch beschäftigen. Etwas ist aber anders.

Illustration: Nando von Arb

Um in die Zukunft zu schauen, hilft oft ein Blick zurück. In diesem Fall genügt die nicht ganz so ferne Vergangenheit: In den siebziger Jahren, so meinen viele Analyst:innen dieser Dekade, zuletzt etwa der Historiker Philipp Sarasin in seinem Buch «1977», begann unsere Gegenwart als Zukunft. Damals lagen im Kern schon all jene Motive vor, die uns heute noch beschäftigen: Globalisierung, Individualisierung, Digitalisierung, Neoliberalismus, Terrorismus und natürlich die drohende Klimakatastrophe.

Von Letzterer erzählt etwa «Soylent Green», ein Filmklassiker des Regisseurs Richard Fleischer, der im Jahr 2022 spielt. Die Erde ist heiss geworden und übervölkert. Allein New York zählt vierzig Millionen Einwohner:innen, und der Held der Geschichte, der Polizist Robert Thorn, muss über Dutzende im Treppenhaus lagernde Menschen hinwegsteigen, um von seiner Wohnung hinaus auf die Strasse zu gelangen. Die Welt ist in grünlichen Dunst getaucht, allen steht immer der Schweiss auf der Stirn, das Wasser ist knapp, natürliche Lebensmittel gibt es nur noch zu exorbitanten Preisen für eine kleine Schicht von Reichen, und das Grundnahrungsmittel der Massen heisst Soylent, gepresstes Trockenfutter aus Soja und Linsen. Die makaberen Bestandteile des neu entwickelten und als besonders nahrhaft beworbenen «Soylent grün» enthüllen sich erst am Ende des Films – es ist zu Keksen verarbeitetes Menschenfleisch.

Die Hölle im Hier und Heute

«Soylent Green» erschien 1973, ein Jahr nachdem der Club of Rome seinen Bericht über die Grenzen des Wachstums veröffentlicht hatte, und er ist nur eines von vielen Beispielen für das oft beschriebene Gefühl, dass sich ab den Siebzigern der Himmel verdüsterte und Prognosen zunehmend pessimistisch, ja dystopisch wurden. Die siebziger Jahre seien «die Dekade, die den Glauben an die Zukunft verlor», schreibt der Kulturwissenschaftler Philipp Felsch in seinem Buch «Der lange Sommer der Theorie».

Nun sind dystopische und apokalyptische Fantasien keine neue Erfindung. Die mythische und religiöse Tradition stellt seit jeher grausamste Bilder von Höllenszenarien bereit, und immer handeln sie von einer aus den Fugen geratenen Natur, von Hitze oder Überschwemmung, Durst und Hunger, körperlicher oder seelischer Folter. Diese Narrative sterben nicht aus. Säkular sind sie nur ins Diesseits gerutscht und in die Zukunft verschoben. «Apokalypse» heisst «Offenbarung» und meint die Enthüllung des wahren Gesichts der Welt – und eine Abrechnung: Siehe, das sind die Folgen deiner Taten! Die Zukunft ist das im freudschen Sinne «Un-Heimliche», das an etwas Verdrängtes erinnert, an etwas also, das aus der Vergangenheit auf uns zukommt als Sünde, Schuld oder Belohnung. Himmlisch könnte die Zukunft ja auch werden. Aber sie ist, ob im Jenseits oder auf Erden, ob individuell oder kollektiv, nie neutral. Sie ist immer aufgespannt zwischen den Polen Angst und Hoffnung. Ohne Zukunft keine Angst, ohne Zukunft keine Hoffnung.

Was ist das Besondere an den Dystopien, die seit den siebziger Jahren kursieren, und was unterscheidet sie von den heutigen? In die Siebziger fällt der Beginn eines breiteren ökologischen Bewusstseins, die erste Greenpeace-Sektion wird 1971 in Kanada gegründet, die Ölkrise 1973 ist ein grosser Schock für den wirtschaftswunderverwöhnten Westen, eine zweite Ölkrise folgt 1977. Zudem erstarrt die Welt unter dem atomaren Wettrüsten und der Angst, dass aus dem Kalten Krieg ein heisser werden könnte. Die Antiatomkraft- wird zugleich zur Friedensbewegung. Von 1979 datiert der Reaktorunfall im Kernkraftwerk Three Mile Island nahe Harrisburg (USA). Die Science-Fiction reflektiert diese Entwicklung oder sieht sie voraus; Andrei Tarkowskis Film «Stalker» (1979) kreist bildmächtig um eine «verbotene Zone», die an atomverseuchte Landschaften erinnert.

Grob lässt sich die Besorgnis dieser Zeit auf drei strukturelle Merkmale herunterbrechen: Die Auswirkungen einer Atomkatastrophe wären erstens global und hätten möglicherweise totale, die Erdbevölkerung vernichtende Folgen. Die Katastrophe wäre zweitens durch den Menschen verursacht, und zwar durch Missbrauch einer selbstgeschaffenen Technik. Und drittens würde die Zukunft, wenn wir sie erleben, durch extreme Verelendung gekennzeichnet sein, denn die Ressourcen sind knapp, und die Menschheit wächst zu schnell. Man spricht – in schöner Analogie zur Bombe – von «Bevölkerungsexplosion». Was kommen wird, scheint jedenfalls unberechenbar und unverfügbar: Wenn eine der Atommächte auf den roten Knopf drückt, passiert das Unglück, wenn nicht, wirds auch nicht viel besser. Zombies wanken massenhaft wie eine biblische Sintflut durch die Filme dieser Zeit. Der Slogan des Punk drückt dieses Lebensgefühl perfekt aus: «No Future».

Der Blick zurück erkennt auch jene Katastrophen, die nicht eingetreten sind. Zwei Millenniumswechsel unserer Zeitrechnung sind ohne Weltuntergang verstrichen, das Ozonloch schliesst sich wieder, die Supermächte, wenn es sie überhaupt noch gibt, haben abgerüstet. Stattdessen sind Ereignisse eingetreten, mit denen so kaum jemand gerechnet hätte: der Mauerfall von 1989, der Angriff auf das World Trade Center 2001, die Finanzkrise von 2008 und die Pandemie 2020.

Die Spezifika der heutigen Zukunftsängste ähneln denen von vor fünfzig Jahren. «Klima» heisst jetzt die Vorsilbe der Katastrophe, nicht mehr «Atom», aber immer noch geht es um ein menschengemachtes Desaster globalen Ausmasses, dessen Folgen «total» sind in dem Sinn, dass sie unumkehrbar die Erde verändern und das Überleben der Menschheit insgesamt bedrohen. Immer noch geht es um knappe Ressourcen – Wasser, Land – und extreme Ungleichheit zwischen wenigen Privilegierten und der Masse der Elenden.

Die Technik – Fluch oder Segen?

Aber das Grundgefühl ist ein anderes. Es ist mehr utopisches Potenzial im Umlauf heute, vielleicht, weil die Lage ernster ist und man schlicht mehr Handlungsoptionen aufzeigen muss. Bezeichnenderweise heissen die Fridays «for Future», nicht «no Future». Die Soziologen Frank Adloff und Sighard Neckel, Leiter des Forschungskollegs «Zukünfte der Nachhaltigkeit» an der Universität Hamburg, sprechen von drei derzeit kursierenden Zukunftsimaginationen: Neben der «Erwartung von Katastrophen» gebe es auch die Hoffnung auf eine radikale Transformation des Gesellschafts- und Wirtschaftssystems und die «Zuversicht in moderne Technologien».

Im letzten Punkt liegt der grundlegende Unterschied. Im Vergleich zur Zeit der Atomkatastrophenängste zeigt die Gegenwart eine deutlich verminderte Technikskepsis selbst bei den Skeptiker:innen. Denn mit der Digitalisierung ist eine Entwicklung in Gang gekommen, gegen die sich niemand ernsthaft wehren will und kann. Mit ihrer Hilfe scheint alles möglich. Vor fünfzig Jahren war die Technik der Fluch, heute ist sie – es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als das zu hoffen – ein Mittel der Rettung.

Doch die Aussichten bleiben unheimlich. Im viel beschworenen Anthropozän wird die bezwungene Natur uns wieder heimsuchen mit Hitzeperioden, Flutkatastrophen, Wirbelstürmen. Die Krisen folgen dichter aufeinander, und die Frage ist, wie lange wir durchhalten und wann der Schutzwall endgültig bricht. Einen «aufgeklärten Katastrophismus» nennt Eva Horn, Spezialistin für Katastrophenszenarien, die Haltung, mit der wir der Zukunft entgegengehen sollten. Am Ende aber, das wissen wir natürlich, steht immer das Ende. Was vorher kommt, können wir nicht wissen, und wir wollen es auch nicht wirklich. Trotz aller Blicke in die Glaskugel. Die Ungewissheit ist ein Fluch, denn sie macht Angst. Sie ist aber auch eine Gnade, denn immerhin lässt sie uns hoffen.

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