«Azor»: Woher das Geld kommt
Mitten in der argentinischen Militärdiktatur sucht ein Schweizer Bankier nach seinem verschollenen Geschäftspartner. Der erste Spielfilm des Genfers Andreas Fontana besticht als schaurig-elegante Reise ins düstere Herz des Schweizer Wohlstands.
Die Sonne Argentiniens steht ihm bestens. Yvan de Wiel (Fabrizio Rongione) strahlt alle Eigenschaften, die Schweizer Privatbankiers in der ganzen Welt zu ihrem guten Ruf verholfen haben, schon rein äusserlich aus. Der Anzug sitzt perfekt, das Lächeln ist freundlich, aber distanziert – um nicht zu sagen: neutral. Sein Spanisch ist makellos, mit charmantem französischem Akzent. Dazu die inneren Qualitäten: sich nicht aus der Ruhe bringen lassen, wenn die Weiterfahrt behindert wird, weil die Militärpolizei gerade einige Studenten verhaftet; ein perfekter Sinn für die Wünsche des Gegenübers sowie natürlich absolute Diskretion. Ob Pferderennbahn oder tiefster Dschungel: De Wiel reist überall dorthin, wo das Geld ungeduldig nach neuen, sichereren Häfen verlangt. Nur ins Wasser der unzähligen Swimmingpools, die die Gärten seiner Kund:innen in Buenos Aires schmücken, begibt er sich nicht. Wie seine ihn stets begleitende Frau Inés (Stéphanie Cléau) entschuldigend zu einer Gastgeberin bemerkt: «Mein Mann badet nie.»
Gier ist nur eine Funktion
«Azor», das Spielfilmdebüt des jungen Genfer Regisseurs Andreas Fontana, ist eine Reise ins Herz der Finsternis nicht nur der argentinischen Militärdiktatur und des «dreckigen Krieges», den diese von 1976 bis 1983 gegen die eigene Bevölkerung führte, sondern auch der Schweiz mit ihren Banken, die schon immer gerne weggeschaut hat, wenn das Geld aus zweifelhaften oder menschenrechtswidrigen Quellen stammte. Der Verweis auf Joseph Conrads Roman kommt nicht von ungefähr, auch wenn sich die Form des Kolonialismus gewandelt hat. Im Zentrum von «Azor» (das Wort steht im codierten Jargon ungefähr für dieses «Wegschauen») steht als Leerstelle ein anderer Schweizer Bankier namens Keys, der nach dem einen unlauteren Geschäft zu viel spurlos verschwunden ist. Wie bei Colonel Kurtz in «Herz der Finsternis» oder auch wie in Graham Greenes «Der dritte Mann» scheint sich alles um diesen grossen Abwesenden zu drehen, der abwechselnd als «unheimlich charmant» und «manipulativ wie eine Kröte» beschrieben wird. Jedenfalls seien seine Methoden «problematisch» geworden.
Wenn der abwesende Keys so etwas wie das freudsche Es der Schweizer Privatbankenwelt repräsentiert, ist de Wiel sein Über-Ich. Er verkörpert seine Ideale, ohne auszuscheren, ohne den eigenen Charakter gross geltend zu machen, ohne Angst, ohne Gier (Letztere ist bloss eine Funktion des Systems). Wenn ihn ein freundlicher Rezeptionist über die notwendigen «Modernisierungsarbeiten» aufklärt, nickt er freundlich. Und wenn der diabolische Priester (Pablo Torre Nilson), der gerade sein gottgegebenes Vermögen in Roche-Aktien investiert, davon spricht, dass die «Parasiten ausgerottet» werden müssten und ob Señor de Wiel dies auch so sehe, kann dieser sich immer noch zu einem höflichen «Sí» durchringen.
Gewalt im Flüsterton
Fontana ist eher ein «kalter» Regisseur. Mehr als einmal fühlt man sich an Stanley Kubrick erinnert sowie an Lucrecia Martel, auch wenn die Inszenierung nicht immer an deren perfekte Eleganz heranreicht. Dazu kommt, dass in «Azor» alles immer bereits passiert ist oder dass, wenn tatsächlich etwas geschieht, es für Aussenstehende kaum sichtbar ist.
Die Bankiers und ihre paranoiden Kund:innen sprechen in Codes, Wichtiges wird geflüstert oder passiert über unmerkliche Signale. Gewalt tritt nur in Zahlen auf, und die Tasche mit dem Vermögen des pferdeliebenden Grossgrundbesitzers, dessen subversive Tochter «verschwunden» ist, geht unzeremoniell und unmerklich durch mehrere Hände, um auf dem Heimflug eines Schweizer Beamten den Weg in sichere Gefilde zu finden.
Man kann all dies morbide oder sogar zynisch finden, aber tatsächlich ist Fontana mit «Azor» eine der treffendsten rein filmischen Darstellungen von etwas gelungen, das sich eigentlich nicht zeigen lässt: die psychologischen und soziologischen Ursprünge des Schweizer Reichtums. Mag «Azor» an einem konkreten Ort zu einer konkreten Zeit spielen, und mögen die Gesetze seither strenger geworden sein: Wie einer von de Wiels Kunden einmal Jorge Luis Borges zitiert, sei doch das Beste an Genf, dieser schweizerischsten Stadt überhaupt, dass es sich nie verändere.
Azor. Regie und Drehbuch: Andreas Fontana. Schweiz/Argentinien/Frankreich 2021