Durch den Monat mit Payal Parekh (Teil 1): Waren Sie schon ungehorsam?

Nr. 40 –

Die Klimawissenschaftlerin Payal Parekh über ihre Erfahrungen mit zivilem Ungehorsam in Indien und darüber, wie sie durch Zufall zur Aktivistin wurde.

«Mit der Narmada-Bewegung blockierte ich Anfang der neunziger Jahre in Indien so lange ein Regierungsgebäude, bis wir einen Minister sprechen konnten»: Payal Parekh.

WOZ: Frau Parekh, Sie setzen sich seit 28 Jahren für Klimaschutz und -gerechtigkeit ein. Was halten Sie von den Blockaden, die Extinction Rebellion diese Woche in Zürich organisiert hat?
Payal Parekh: Als Inderin bin ich mit der Idee und der Geschichte zivilen Ungehorsams aufgewachsen. Und da mein Grossvater in der indischen Unabhängigkeitsbewegung um Gandhi aktiv war, ist der Protest auch ein Teil meiner Familiengeschichte. Meiner Meinung nach ist ziviler Ungehorsam – ob legal oder nicht – immer legitim. Die Leute haben oft eine viel zu enge Vorstellung davon, was darunter zu verstehen ist, und denken primär an Menschen, die sich irgendwo anketten. Ein historisches Beispiel, das ich sehr schön finde, stammt aus der Zeit der Pinochet-Diktatur in Chile, wo offener Protest lebensgefährlich war. Was haben sich die Leute also einfallen lassen, um ihren Unmut zu äussern? Sie sind auf der Autobahn so langsam gefahren, dass sie riesige Staus verursachten. Das war auch ziviler Ungehorsam – allerdings ein sehr subtiler.

Haben Sie selbst auch schon an Aktionen des zivilen Ungehorsams teilgenommen?
Ja, schon oft. Das erste Mal war ganz zu Beginn meines politischen Engagements, als ich mich in den neunziger Jahren, als ich ungefähr zwanzig war, der Bewegung «Rettet die Narmada» angeschlossen hatte. Die Narmada ist ein über tausend Kilometer langer Fluss, der durch Westindien fliesst und an dem die Regierung riesige Staudämme bauen wollte – teilfinanziert mit Krediten der Weltbank. Die Bewegung war ein Zusammenschluss von Bäuer:innen und der indigenen Bevölkerung vor Ort. Ich reiste dorthin und unterstützte die Menschen, die sich weigerten zu gehen – selbst als das Wasser ihre Häuser zu fluten begann. Wir organisierten in dieser Zeit aber auch kleinere Aktionen, bei denen wir beispielsweise einmal das Regierungsgebäude so lange blockierten, bis wir einen Minister sprechen konnten.

Wie kam es dazu, dass Sie sich dieser Bewegung anschlossen?
Das war eigentlich ein Zufall. Ich wartete auf meinen Onkel, weil wir zusammen ins Kino wollten. Im Parterre des Bürogebäudes, in dem er arbeitete, befand sich eine aktivistische Bibliothek, und da ich eine halbe Stunde zu früh war, ging ich rein und bekam ein Buch einer NGO in die Hände, in dem es um ökologische Katastrophen im Zusammenhang mit von der Weltbank finanzierten Projekten ging. Ein Kapitel war der Narmada-Bewegung gewidmet. Das Buch öffnete mir die Augen: Zum ersten Mal stellte ich die Weltbank infrage, von der ich bis zu diesem Zeitpunkt geglaubt hatte, dass sie auf Länder wie Indien einen durchwegs positiven Einfluss ausübe. Zweitens begann ich das Primat der «Entwicklung» anzuzweifeln. Und drittens überschnitten sich bei der Narmada-Bewegung soziale Fragen und Umweltschutz.

Das klingt, als wäre «Rettet die Narmada» eine klassische Klimagerechtigkeitsbewegung gewesen.
Ja, wobei damals eher die Umwelt als das Klima im Fokus stand. Aber es ging mit Sicherheit auch um Fragen der sozialen Gerechtigkeit, denn der geplante Staudamm hätte nicht nur der Umwelt geschadet, sondern auch die Lebensgrundlage und den Lebensraum der lokalen Bevölkerung zerstört. Die offizielle Losung der Regierung war: Entwicklung ist der Weg in die Moderne und dass Dörfer geflutet werden, ist ein Opfer, das wir bringen müssen. Mir fiel damals auf, dass den Leuten in meinem Quartier, einem Oberschichtsviertel in Mumbai, nie eine Zwangsumsiedlung drohte. Das passierte nur Menschen, die arm waren. Und gleichzeitig wurde mir bewusst, dass ein paar Hundert Kilometer von meinem Wohnort entfernt Kämpfe stattfinden, von denen ich zuvor noch nie gehört hatte. Die Berührung mit der Narmada-Bewegung war für mich der Startschuss in mein Leben als Aktivistin.

Wie sah dieses Leben damals genau aus?
Ein Teil der Arbeit in der Narmada-Bewegung bestand darin, die Dörfer zu besuchen, die in Gefahr waren. Das war bloss der Anfang: Nach Abschluss meines Bachelors arbeitete ich für eine NGO, die sich um die Trinkwasserversorgung auf dem Land kümmerte. Daher war ich immer wieder für längere Zeit in Dörfern unterwegs und später auch in den Slums von Mumbai, wo rund die Hälfte der über fünfzehn Millionen Einwohner:innen der Stadt leben.

Wie willkommen waren Sie als junge Studentin der Oberschicht bei diesen Kämpfen?
Natürlich gab es zu Beginn manchmal Widerstand, Leute, die meinten, ich könne ihre Situation nicht verstehen und wisse nichts von ihrer Lebensrealität. Gleichzeitig waren die Direktbetroffenen zum Teil auch auf mich angewiesen. Indien ist ein sehr ungleiches Land – wenn jemand mit meinen Privilegien eine Dorf- oder Slumbewohnerin zum Amt begleitet, bekommt sie mehr Respekt und Aufmerksamkeit. Das fand ich zwar immer ungerecht, musste mir aber irgendwann eingestehen, dass auch ich selbst Vorurteile hatte und erst lernen musste, meinen Mitstreiter:innen tatsächlich auf Augenhöhe zu begegnen.

Payal Parekh (48) hat in Indien und den USA Klimawissenschaften und Meereschemie studiert und sich in politischen Bewegungen engagiert. Seit zehn Jahren lebt sie in Bern. Nächste Woche erzählt sie, wie die Klimabewegung in der Schweiz breiter werden kann – und muss.