Durch den Monat mit Payal Parekh (Teil 2): Geht in der Schweiz niemand aktiv auf Leute zu?

Nr. 41 –

Die Vertreter:innen der Klimabewegung sollten gezielt unterrepräsentierte Menschen ansprechen, um eine breitere Basis zu finden, fordert Klimaaktivistin Payal Parekh.

«Man kann zwar nicht alle, aber schon sehr viele Menschen erreichen, wenn man sich die Mühe macht»: Payal Parekh am Klimastreik vom 24. September in Bern.

WOZ: Frau Parekh, kürzlich haben Sie gemeinsam mit der Sea-Watch-Kapitänin Carola Rackete einen Essay veröffentlicht. Darin werfen Sie die Frage auf, wie die Klimabewegung breiter werden kann.
Payal Parekh: Wenn wir davon ausgehen, dass die Klimakrise jede und jeden betrifft, dann sind wir noch viel zu wenig Leute, die sich engagieren. Vor einigen Wochen hatte ich eine Sitzung mit den «Klima-Grosseltern», deren Engagement ich toll finde. Ich glaube, bei den älteren Menschen verbirgt sich noch ganz viel Potenzial, aber es gibt auch andere Bevölkerungsgruppen, die unterrepräsentiert sind.

Sie fordern im Text, dass die Klimabewegung intersektionaler werden und mehr People of Color und Migrant:innen miteinbezogen werden sollen. Gilt das auch für die Schweiz?
Ja, definitiv. Die Klimabewegung in der Schweiz ist aktuell sehr weiss und elitär, viele der Aktivist:innen studieren oder kommen aus einer Akademiker:innenfamilie.

Man könnte sagen, sie sind ähnlich privilegiert aufgewachsen wie Sie selbst in Indien.
Ja, deswegen kenne ich die Situation sehr gut. Der Unterschied ist: In Indien kämpften wir Seite an Seite mit denjenigen, die am meisten unter den Folgen von Umwelt- und Klimakatastrophen litten. Es ist etwas anderes, wenn Schweizer Schüler:innen am Klimastreik für die Menschen im Globalen Süden sprechen. Ginge es der Bewegung ausschliesslich ums Klima, dann hätte ich nichts einzuwenden. Aber eine der wichtigsten Forderungen der Bewegung ist aktuell Klimagerechtigkeit – gleichzeitig schaffen die Beteiligten keinen Raum dafür, sondern schliessen sogar aktiv Leute aus.

Inwiefern werden Leute ausgeschlossen?
Ich habe schon andere Migrant:innen an Anlässe mitgebracht, die sich dort aber nicht willkommen gefühlt haben. Wenn man als Bewegung breiter werden will, muss man einen Effort leisten und sich aktiv um Leute bemühen. Ein Beispiel: Nach 9/11 lebte ich in den USA und war in die Organisation von Antikriegsdemos involviert, und wir wollten unbedingt die Taxifahrer:innen dazu bewegen, uns zu unterstützen. Es hätte nicht gereicht, einfach bei den Taxiständen Plakate aufzuhängen. Wir wussten aber, dass es um neun Uhr abends jeweils einen Schichtwechsel gab, also bin ich pünktlich zu der Zeit da hin, um mit den Leuten zu sprechen. Natürlich war es hilfreich, dass ich Hindi und Urdu spreche, aber viel wichtiger war der persönliche Kontakt.

Und in der Schweiz geht niemand aktiv auf Leute zu?
Bis jetzt sehe ich das nicht. Es gab kürzlich so einen Vorfall rund um die Aktionswoche «Rise up for Change». Es hiess, dass man gerne Menschen mit Migrationshinter- oder -vordergrund im Presseteam wollte, gleichzeitig aber fand, die müssten sich selber melden. Für mich ist das keine Gerechtigkeit. Oder ein ähnliches Thema: Ich führte eine Diskussion darüber, wie man Leute, die eine Lehre machen, für die Klimabewegung begeistern könnte. Die Antwort eines Berner Klimaaktivisten war: «Weisst du, Payal, Klima ist ein kompliziertes Thema, das ist nicht so einfach zu verstehen.» Das ist eine unglaublich arrogante Haltung, und vor allen Dingen ist sie falsch. Vor ein paar Jahren war ich in der Schweiz oft auf dem Land unterwegs, um zu den Themen Flucht und Migration Kampagnen zu machen …

Was heisst das genau, Sie waren auf dem Land unterwegs?
Ich war eine Zeit lang bei der Menschenrechtsgruppe Augenauf Bern aktiv, und wir informierten manchmal mit Ständen vor Dorfläden über Flucht und Migration. Oft war auch eine geflüchtete Person dabei, die von ihren Erlebnissen erzählte. Es gab immer Leute, die uns zuhörten und zu denen wir einen Zugang fanden. Ich sage nicht, dass es einfach ist, im Gegenteil. Aber ich glaube, man kann zwar nicht alle, aber schon sehr viele Menschen erreichen, wenn man sich die Mühe macht.

Haben Sie sich in der Schweizer Klimabewegung willkommen gefühlt?
Es gibt viele engagierte und talentierte Leute in der Schweizer Klimabewegung, die ich zu meinen Genoss:innen zähle, aber den Umgang mit der gesamten Bewegung finde ich schwierig. Ich wurde einmal wortwörtlich gefragt, ob ich mich einem Komitee anschliessen könnte, weil sie Beschwerden gekriegt hätten, dass sie zu weiss seien. Ich habe dann gefragt, ob es noch irgendeinen anderen Grund gebe, aus dem ich das tun solle. Die Person, mit der ich Kontakt hatte, meinte nur: «Wir brauchen Diversität.»

Aber sind Sie nicht längst selbst Teil der Bewegung und könnten die Dinge, die Sie kritisieren, auch von innen heraus verändern?
Natürlich gehöre ich auch zur Bewegung. Ich habe bei der Organisation des «Rise up 2020» mitgeholfen und stehe mit verschiedenen Gruppen und Personen im Austausch. Im Moment bin ich aber in der Schweiz in keinem Komitee dabei und betrachte mich daher eher als Aussenseiterin – und als Beobachterin. Aber vielleicht sollte ich in Bern meine eigene Gruppe gründen, mit Migrant:innen und Leuten unterschiedlichen Alters.

Payal Parekh (48) arbeitet als unabhängige Beraterin im Campaigningbereich für verschiedene NGOs. Bisher musste sie selten Aufträge ablehnen, für die Weltbank würde sie jedoch nicht arbeiten.