Coronademos: Aus der Schockstarre erwacht
Endlich regt sich linker Widerstand gegen die Coronaleugner:innen. Auch auf der Strasse.
Donnerstagabends gehören sie in Bern mittlerweile zum Stadtbild: Impfskeptikerinnen, Verschwörungstheoretiker und Massnahmengegner:innen. Immer lauter werden die allwöchentlichen Demonstrationen, immer häufiger sind sie konfrontativ.
Von Linksaussen hat man diesem braunmelierten Treiben lange nur zugeschaut, doch in den letzten Wochen scheint die Pandemieschockstarre zu brechen: Unter dem Motto «Gegen die kapitalistische Krisenverwaltung – gegen einen rechten Aufmarsch!» fand am vergangenen Samstag in Basel eine Demonstration statt. In der Bundeshauptstadt hat sich derweil ein neues Bündnis konstituiert: das Solidarische Bündnis Bern (SBB).
Rechte Allianzen dokumentieren
«Das SBB ist entstanden, weil wir den Diskurs über den Umgang der Regierung mit der Krise nicht einem Haufen Nationalisten und Verschwörungsgläubigen überlassen wollen», sagt Carlo Gabriel. Der 26-jährige Berner hat das neue Bündnis mit aufgezogen. «Es kann nicht sein, dass die einzige ausserparlamentarische Kritik von rechts kommt», sagt auch Denise Ritz. Die 27-jährige Zürcherin, die genauso wie Gabriel ihren richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, hat sich anlässlich der immer militanteren Antimassnahmenproteste der Recherche verschrieben. Als Teil einer grösseren Gruppe dokumentiert Ritz die Allianzen mit Rechtsaussen, die innerhalb der entsprechenden Telegram-Gruppen, aber auch auf der Strasse geschmiedet werden.
Für den kommenden Samstag ruft das Solidarische Bündnis Bern zu seiner ersten Demonstration auf. Die Beteiligten verstehen ihr Handeln derweil nicht nur als Reaktion auf rechte Tendenzen, man wolle vor allem eine Plattform für all jene bieten, die besonders unter der Krise litten, erklärt Gabriel: «Spitalangestellte, Menschen in Knästen oder Asylzentren etwa.» Von Begriffen wie Impfapartheid, Diskriminierung oder gar Diktatur distanziert man sich hingegen dezidiert. Vielmehr sei es so, dass die Krise bestehende Gräben aufreisse und ohnehin ökonomisch schlechter gestellte Gruppen substanziell gefährde.
Antiautoritärer Impuls
Auch die Zertifikats- und die Ausweispflicht stellen für viele innerhalb der ausserparlamentarischen Linken ein Dilemma dar. Klar ist, dass diese Form der Kontrolle nicht mit linken Grundwerten zu vereinbaren ist. Doch wer zu lautstark kritisiert, könnte schnell als Coronaleugner:in aufgefasst werden.
Diese präzis zu kalibrierende Navigation zwischen berechtigter Kritik, Staatsgläubigkeit und rechtem Sumpf ist möglicherweise einer der Gründe, warum eine linke Gegenstimme so lange auf sich warten liess. «Unsere Antwort kommt spät», räumt Carlo Gabriel ein. «Linke Bewegungen setzen sich mit der Komplexität sozialer Fragen auseinander, Lösungen müssen zuerst erarbeitet werden», sagt hingegen Denise Ritz. Ausserdem stimme es nicht, dass die Linke lange keine Antworten geliefert habe. Von Anfang an habe man sich für besonders von der Krise betroffene Gruppen eingesetzt: «Es gibt viele Ansätze für eine solidarische Krisenbewältigung. Nur haben diese nicht so viel mediale Aufmerksamkeit bekommen wie pöbelnde Massnahmengegner.»
Man habe in den letzten Wochen zudem die Erfahrung gemacht, dass vereinzelt «die eigenen Leute die Seite wechselten», plötzlich zwischen der rechtsoffenen Jugendbewegung Mass-voll und Freiheitstrychler:innen mitliefen, erzählt Carlo Gabriel. Auch damit musste zuerst ein Umgang gefunden werden. Gabriel erklärt sich diese vermeintliche Querfront mit einem antiautoritären Impuls. Auch Ritz sagt, man habe schon einige Menschen aus der linken Subkultur verloren, denen es darum gehe, das grösstmögliche Mass an individueller Freiheit auszuleben. «Aber Menschen, die sich für grösstmögliche Gerechtigkeit für alle einsetzen und nicht nur für sich selber, werden die Seite nicht wechseln.»