Kino-Film «Harald Naegeli – Der Sprayer von Zürich»: Lang lebe das Kurzlebige!
Beim Namen Harald Naegeli erwartet man nicht unbedingt einen Künstler im lichtdurchfluteten Atelier oder im Schaukelstuhl. Doch der Film über den «Sprayer von Zürich» porträtiert diesen weniger als Sprayer denn als Zeichner. Der städtische Raum ist für ihn seit den siebziger Jahren eine erweiterte Malgrundlage, so verweist Naegeli einmal auf die «grüne Farbe» des Gebüschs neben einem verblassten, an die Wand gesprayten Flamingo. Umgekehrt fielen die Sprühdosenpartikel auch bei ihm ins Atelier ein, so könnte man jedenfalls seine grossformatige Tusche, die «Urwolke», auch betrachten.
Erstaunlich unaufgeregt ist Nathalie Davids filmische Montage über den Künstler, den die Behörden wegen «Sachbeschädigung» mit internationalem Haftbefehl gesucht und 1984 in ein Hochsicherheitsgefängnis gesteckt haben. Strukturiert durch Briefe von Naegelis Alter Ego «Harry Wolke», musikalisch untermalt von Andrina Bollinger und Sophie Hunger, vermittelt der Film eine kontinuierliche, jedoch nicht allzu unbequeme Dissonanz.
Selbst vom Gefängnis aus wusste Naegeli seine Kunst an die Öffentlichkeit zu bringen: am Boden von Papiertüten, die er zusammenzukleben hatte, oder mit einem Plakat, das heute im Kunsthaus Zürich mit Handschuhen angefasst wird. Nüchtern erklärt der Film, wie institutionelle Strukturen dazu führten, dass Naegelis gesprayte «Geschenke» von der Fassade desselben Kunsthauses entfernt werden, während Polizeifotografien anderer «Tatorte» in die Sammlung eingehen. Was aber die politische Brisanz dieser Kunst ausmacht, die als «Störfaktor» nicht an einem vorgegebenen Platz existieren will, wird nur angedeutet.
Eine gewisse Ironie birgt die Tatsache, dass für einen «Erben von Dada», dessen Arbeiten sich oft durch ihre – mal witterungs-, mal behördlich bedingte – Endlichkeit auszeichnen, ein filmisches Monument geschaffen wurde. Nur landen viele subversive Praktiken früher oder später im Museum. Naegeli ist sich dessen durchaus bewusst, wenn er zu Beginn alternativ einen Film zu Klee, Kandinsky oder Mondrian vorschlägt.
Harald Naegeli – Der Sprayer von Zürich. Regie: Nathalie David. Schweiz 2021