Raubkunst: Über die Herkunftsforschung hinaus

Nr. 52 –

Eine Zürcher Gemeinderätin fordert eine unabhängige Fachkommission zur Darstellung der Bührle-Geschichte im Kunsthaus. Der Vorstoss könnte für den Umgang mit dem Schweizer Kunsthandel im Zweiten Weltkrieg wegweisend werden.

Viel Platz für die Kunst des Waffenfabrikanten – und auch für seine Geschichte? Modell der Erweiterung des Zürcher Kunsthauses. Foto: © Ute Zscharnt für David Chipperfield Architects

Die Fassaden poliert man im Standortwettbewerb auf Hochglanz, doch aus dem Keller der Geschichte rumpelt es vernehmlich. Diesen Eindruck vermittelten im zu Ende gehenden Jahr die Schweizer Kunstmuseen. Das Zürcher Kunsthaus feierte im Sommer den Spatenstich zu seinem Erweiterungsbau von Stararchitekt David Chipperfield, mit dem es sich direkt hinter Paris zum «bedeutendsten Anlaufpunkt» des Impressionismus in Europa machen will. Kritiker riefen unterdessen in einem Schwarzbuch die Herkunft der Kunst in Erinnerung, die im Glasquader künftig leuchten soll: Waffenschmied Emil Georg Bührle finanzierte sie mit Kanonenlieferungen an die Nazis, die Gemälde wurden teilweise jüdischen BesitzerInnen geraubt (vgl. «Bührles magische Wiederauferstehung» im Anschluss an diesen Text).

Das Berner Kunstmuseum wiederum verband sich mit dem Zentrum Paul Klee organisatorisch unter einem Dach, um die «nationale und internationale Position der beiden Institutionen» zu stärken. Dabei helfen soll das Erbe von Cornelius Gurlitt mit Kunstwerken, die von den Nazis als sogenannt entartete Kunst in deutschen Museen konfisziert worden waren. In Winterthur prangte derweil eine Schweizer Fahne über dem Portal des Museums Oskar Reinhart. Es rühmte sich, fern der grossen Zentren die Kunstsammlung von Christoph Blocher zeigen zu können. Wie die WOZ recherchierte, befindet sich auch im Besitz des SVP-Milliardärs Raubkunst (siehe WOZ Nr. 42/2015 ).

«Beschämende Politik»

Eine Interpellation im Zürcher Gemeinderat hebt die Diskussion über das schwierige historische Erbe nun wieder auf die politische Ebene. SP-Gemeinderätin Christine Seidler schreibt in einem Vorstoss, das Thema Raubkunst stehe symbolisch für die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg: «Die Schweiz profitierte vom Krieg einerseits durch die Rüstungsindustrie, hatte aber andererseits auch die Rolle als Kunsthandelsplatz für Kulturgüter zur Zeit des Nationalsozialismus.» Wird die Geschichte der Sammlung Bührle von einer unabhängigen HistorikerInnenkommission aufgearbeitet und in einem Dokumentationszentrum einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht? Gibt es dazu ein Mahnmal, das an die Opfer der Geschichte erinnert? Wie steht es um die Provenienzen, also die Herkunft einzelner Bilder in den übrigen Museen, an denen die Stadt Zürich beteiligt ist, und findet eine Forschung auch zu Leihgaben und Schenkungen aus Privatbeständen statt? Ist eine Zusammenarbeit mit den Berner Institutionen geplant, um die Erforschung des Schweizer Kunsthandels im Zweiten Weltkrieg umfassend anzugehen? Dies sind einige der zahlreichen Fragen, die Seidler und mehr als vierzig MitunterzeichnerInnen an den Zürcher Stadtrat richten.

Über den Kunsthandel der Schweiz im Zweiten Weltkrieg ist einiges bekannt. Die Grundlage legte vor mehr als zehn Jahren der Bergier-Bericht zur Schweiz im Zweiten Weltkrieg, der die wichtigsten Akteure und Mechanismen erforschte. Vorwärts ging es aber stets nur unter öffentlichem Druck: Als das «Schwarzbuch Bührle» erschien, versicherte die Bührle-Stiftung, ihr Archiv zugänglich machen zu wollen – allerdings erst nach der Eröffnung des Erweiterungsbaus. In Bern wurde die Einrichtung einer Forschungsstelle beschlossen, die sich im Gegensatz zur deutschen Taskforce im Fall Gurlitt nicht um die Herkunft der Bilder, sondern um den historischen Kontext kümmern soll – sie konnte wegen Einspruchs der Familie Gurlitt gegen das Testament ihre Arbeit noch nicht aufnehmen. Bern dürfte das Erbe voraussichtlich erhalten, nachdem kürzlich ein Gutachten Gurlitt für testierfähig erklärt hat.

Christine Seidler reichte bereits vor fünf Jahren bei der Planung der Kunsthauserweiterung einen Vorstoss zum Thema ein. In seinen Antworten betonte der Stadtrat damals, die Geschichte aktiv aufarbeiten zu wollen. Seidler will nicht lockerlassen, bis das Unrecht öffentlich dokumentiert ist, aus dem heraus die Sammlung Bührle entstand. «Bührle darf nicht reingewaschen werden.» Darüber hinaus will sie den Begriff der Neutralität infrage stellen, der als Deckmantel für die Waffenexporte diente. «Die Politik der offiziellen Schweiz bleibt beschämend.» Ihr Engagement führt Seidler auf das Schicksal ihres Grossvaters zurück, der in Spanien in den dreissiger Jahren gegen den faschistischen General Franco kämpfte und nach der Rückkehr in die Schweiz verurteilt wurde: «Die Ausgrenzung meines Grossvaters zeigt die Doppelmoral der Schweiz.»

Blochers Schweigen

Dass Aufklärung weiterhin nötig ist, belegt die in diesem Jahr verabschiedete Kulturbotschaft des Bundes. Darin heisst es, dass die Provenienzen der Werke in Schweizer Kunstmuseen noch nicht alle geklärt seien. In Museen und Sammlungen von Kantonen, Gemeinden oder Privaten bestünden noch immer Lücken. Der Bund äusserte deshalb den Wunsch, «dass die öffentlichen und privaten Eigentümer von Kulturgütern ihre Provenienzforschung intensivieren und die dafür notwendigen Finanzmittel bereitstellen». Die bei Blocher ausgemachte Raubkunst steht exemplarisch dafür, dass bei Privatsammlungen Entdeckungen zu erwarten sind.

Seidlers Interpellation könnte im doppelten Sinn wegweisend sein: für eine Forschung, die auch die Privatsammlungen in den Blick nimmt. Die Öffentlichkeit hat spätestens dann ein Recht auf kritische Fragen, wenn diese Sammlungen in mit Steuergeldern finanzierten Museen ausgestellt werden, was ihren Wert zusätzlich steigert. Der Vorstoss könnte aber auch Forschung befördern, die über die Provenienzabklärung einzelner Bilder hinausgeht und die Geschichte des Kunstraubs im Zweiten Weltkrieg und die Schweizer Rolle darin als Ganzes darstellt.

Bewegung kommt zum Jahresende auch in den Fall Blocher. Die Anwaltskanzlei der Erben bestätigt, dass sie bezüglich einer Rückführung des Gemäldes «Lied aus der Ferne» von Ferdinand Hodler mit Blocher Kontakt aufgenommen habe. Der SVP-Politiker liess eine entsprechende Anfrage der WOZ unbeantwortet.

Von Oerlikon ins Zentrum : Bührles magische Wiederauferstehung

Lange stand der Name Bührle stellvertretend für schmutzige Rüstungsgeschäfte: Erst war es die verdeckte, völkerrechtswidrige Aufrüstung Deutschlands in der Zwischenkriegszeit, danach waren es die bundesrätlich abgesegneten Waffengeschäfte mit dem «Dritten Reich» durch Emil Georg Bührles Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon. Erst 1944, als das Kriegsende absehbar war, konnte sich die Schweizer Regierung zu einem Exportverbot durchringen. Dieter Bührle, der Nachfolger auf dem Chefsessel, trat beherzt in die väterlichen Fussstapfen, verkaufte in den sechziger Jahren Waffen an die südafrikanische Apartheidregierung und an den nigerianischen Kriegspräsidenten General Gowon. Dafür wurde Bührle junior in der Schweiz rechtlich belangt (ein wenig).

1999 wurde der alte Standort der bührleschen Waffenschmiede an die deutsche Rheinmetall Air Defence AG verkauft. Nach wie vor wird in den alten Hallen Kriegstechnik ersonnen und verschraubt. Doch nicht mehr lange: Die Rheinmetall gibt den Standort in den nächsten Jahren auf, womit das Areal neu genutzt werden kann, gemäss der geltenden Bauzonenordnung als Gewerbegebiet. Die städtische FDP hat andere Pläne, sie will grosse Teile davon zu renditeträchtiger Wohnfläche umzonen. Bekannt ist, dass die Mobimo AG, eine der grössten Immobilieninvestorinnen, mit der Projektentwicklung betraut ist. Doch da es sich bei der Waffenschmiede um eine deutsche Firma handelt, fällt sie bei einer Verwendung des Areals zum Wohnen unter die Lex Koller, was juristisch alles sehr kompliziert macht. Dem Vernehmen nach laufen hinter den Kulissen intensive Gespräche.

Die letzten Baudenkmäler der Waffenschmiede sind heute bereits geschichtsneutral von Strassen und Plätzen umzingelt, die nach Kommunisten, Fluchthelferinnen, jüdischen Immigrantinnen und linken Künstlern benannt sind (siehe WOZ Nr. 48/2013 ). Was auch immer mit dem Areal geschieht: Während in Oerlikon der Name Bührle als Waffenfabrik für Nazis und Diktatoren verschwindet, feiert er im Herzen der Stadt seine magische Wiederauferstehung als spendable Kunstsammlerdynastie, die Kanonen und Granaten in millionenschwere Ölgemälde verwandelte.

Erich Keller