Theater: Digitales Gefühlschaos

Nr. 45 –

Nach 22 Jahren Reifung stolpert Kurzweil aus einer Bubble auf die Bühne. Er wurde im Divina Humanitate, Zentrum für Fertilisation und Bioengineering, als optimierter «Transhuman» herangezüchtet. Doch er ist fehlerhaft: Kaum geschlüpft, verliebt er sich in seine Geburtshelferin Doudna. In loser Anlehnung an Aldous Huxleys «Brave New World» inszeniert «Brave New Life» eine Welt, in der das «schöne neue Leben» dank vorgeburtlicher DNA-Programmierung und biotechnologischer Erweiterungen von jeglichem Leidensdruck, und damit eigentlich auch von Emotionen, befreit sein soll.

Der Direktor des Fertilisationszentrums will Kurzweil also pflichtgetreu vor der Liebe bewahren. Denn die kippt rasch ins Glücksgefährdende, das hat der Direktor am eigenen Leib erfahren und darum sein Bewusstsein in die silbrig reflektierende Gestalt eines eckigen Ballons auf zwei dünnen Stöcken auslagern lassen. Inwieweit ist dieses ad absurdum optimierte Wesen noch Mensch? Autor und Regisseur Dennis Schwabenland extrapoliert in seinem neuen Stück vom mittlerweile biotechnologisch Machbaren. Damit regt er ethische Fragen an, die wir uns besser zu früh als zu spät stellen.

Mit Genscheren und Psychopharmaka, künstlicher Intelligenz sowie Simulation wird allerdings ganz schön viel verwoben. Dadurch verfällt die Fiktion konzeptuell einer Technikfaszination – an Stellen, wo die kollektive Vorstellung ohnehin von Sci-Fi geprägt ist –, wodurch sie mehr verwirrt als erhellt. Dagegen bleibt der Plot überraschend dualistisch: Er spielt zwischen dem sterilen Divina Humanitate und der wilden «Stadt der Nichtoptimierten». Filmischen Einblendungen zufolge liegt diese irgendwo hinter dem Creux du Van, wo Kurzweil die tot geglaubte Frau und die Tochter des Direktors aufspürt, die er in die Welt der gottgleich Unsterblichen mitnimmt.

Dort siegen am Ende doch die Emotionen und lassen den Direktor platzen. Obwohl Kurzweils Plan aufgegangen ist, geht auch dieser zugrunde – klassische Rachetragödie komplett! Man könnte fast meinen, von KI geschrieben.

«Brave New Life». Regie: Dennis Schwabenland. In: Biel Stadttheater, 12. November 2021; weitere Spielorte und Daten siehe bernetta.net .