Streik bei Smood: «Es reicht jetzt einfach»

Nr. 46 –

Kurierdienste boomen – die Arbeitsbedingungen in der Branche sind allerdings oft prekär. Nun haben Mitarbeiter:innen des Schweizer Lieferunternehmens Smood gleich in mehreren Städten der Romandie die Arbeit niedergelegt.

«Die Forderungen unseres Streiks sind doch eigentlich sehr einfach»: Farès Doudouhi ist bei einem Subunternehmen des Lieferdiensts Smood angestellt.

Der Streik hat die Westschweiz wie ein Lauffeuer erfasst. Den Anfang machte Yverdon Anfang November. Es folgten die Städte Neuchâtel, Nyon, Sion, Martigny und Lausanne. Diese Woche schlossen sich schliesslich auch Smood-Fahrer:innen in Fribourg und Genf der wachsenden Bewegung an. Laut der Gewerkschaft Unia sind weit mehr als hundert Kurier:innen in den Streik getreten. Wie viele insgesamt für Smood arbeiten, ist nicht bekannt.

Der Genfer Lieferdienst Smood hat seit seiner Gründung 2015 ein rasantes Wachstum hingelegt, heute ist er in der ganzen Schweiz aktiv. Seit zwei Jahren liefert Smood in manchen Regionen neben Restaurantmahlzeiten auch Produkte der Migros aus. 2020 stieg die Migros Genf dann sogar bei der Firma ein. Sie hält heute einen Anteil von 35 Prozent und stellt zwei Mitglieder des Verwaltungsrats. Der Gründer und CEO Marc Aeschlimann ist mit der Firma reich geworden. Das Wirtschaftsmagazin «Bilanz» schätzt sein Vermögen auf 150 bis 200 Millionen Franken.

Smood – das ist eine Erfolgsgeschichte, ein Schweizer Lieferunternehmen, das es mit den ganz Grossen aufnehmen kann: mit Uber Eats und Just Eat aus den Niederlanden. Ein Hauch von Silicon Valley am Genfersee, aber zu Schweizer Konditionen: Anders als etwa bei Uber wird den Kurier:innen bei Smood ein Vertrag ausgestellt.

50-Stunden-Woche: 3000 Franken

«Ein Vertrag bringt uns letzten Endes auch nicht viel», sagt Farès Doudouhi. Zum Gespräch in der Cafeteria der Unia in Lausanne hat er diverse Dokumente mitgebracht: Lohnabrechnungen und seitenlange, selbst erstellte Arbeitszeittabellen. Für jeden einzelnen Einsatz hat er notiert, wann der Lieferauftrag bei ihm eingegangen ist und wann er ihn abgeschlossen hat. «Journalist:innen werden jetzt wohl sagen, dass das nicht als Beweis taugt, aber was soll ich denn sonst tun?», fragt Doudouhi. Auf die offizielle Arbeitszeiterfassung hat er keinen Zugriff. Wie die Stundenzahl in der Lohnabrechnung am Ende des Monats zustande kommt, kann er nicht einsehen. Im August wurden ihm 180 Stunden vergütet. Dabei hat er gemäss seinen eigenen Berechnungen 195 Stunden gearbeitet.

Hinzu kommt die Zeit, während der Doudouhi auf Aufträge gewartet hat: Sie wird nicht bezahlt, genauso wenig wie die Autoreparatur, die er im selben Monat in Auftrag geben musste. Auch diesen Beleg hat der Kurier dabei. Für die Instandhaltung seines Fahrzeugs, das er für seinen Job braucht, hat er über tausend Franken ausgegeben. Weitere Kosten fallen fürs Benzin an.

All diese Auslagen vergütet Smood mit 32 Rappen pro Stunde. Auf der Abrechnung erscheint der Betrag als «Auslagen für das Velo». Aber Farès Doudouhi fährt gar nicht Velo. Insgesamt wurden ihm im August 4247 Franken ausbezahlt. «Mir blieben davon schliesslich weniger als 3000 Franken – für fast fünfzig Stunden Arbeit pro Woche», sagt er. Die anderen Streikenden würden alle die gleichen Erfahrungen machen. Mit Unterstützung der Unia verlangen sie jetzt: transparente Abrechnungen, Zuschläge für Sonn- und Feiertagsarbeit, eine korrekte Entschädigung für die Nutzung von privaten Fahrzeugen und einen besseren Lohn. «Das sind doch eigentlich alles sehr einfache Forderungen», findet Doudouhi.

Es ist nicht das erste Mal, dass Smood in der Kritik steht. Schon vor zwei Jahren wandten sich Mitarbeiter:innen an die Medien. Die Vorwürfe klangen damals ähnlich wie heute: ungenügende Vergütung von Spesen, keine garantierte Arbeitszeit, kurzfristige Einsatzplanung. Gegenüber SRF kündigte Smood damals an, den Vorwürfen nachzugehen. Ein Jahr später sagte Marc Aeschlimann dann zur «Luzerner Zeitung», dass sie sich als unbegründet herausgestellt hätten.

Immer wieder in den Schlagzeilen

Dieses Jahr geriet Smood erneut in die Schlagzeilen. Im Fokus stand dabei die Personalverleihfirma Alloservice, die als Subunternehmen unter anderem Mitarbeiter:innen an Smood vermittelte. Nach der Einführung des Genfer Mindestlohns von 23 Franken im November 2020 musste Alloservice die Arbeitsverträge anpassen. Unter diesen neuen Voraussetzungen sei mit Smood dann keine Einigung mehr zustande gekommen, berichtete RTS. Als Folge davon entliess die Firma diesen Frühling 150 Angestellte, die für Smood im Einsatz gewesen waren. Die Unia intervenierte und erwirkte ein Konsultationsverfahren. Gemäss der Lausanner Zeitung «Le Temps» kündigte die Firma damals an, «diesem System der Subunternehmen ein Ende zu setzen».

Das war im Mai. Farès Doudouhi ist immer noch bei einem Subunternehmen beschäftigt. Er sagt, er habe bei seiner Einstellung geglaubt, einen Arbeitsvertrag von Smood zu unterschreiben. Aber das stimmte nicht: Wie seinem Vertrag, den die WOZ einsehen konnte, zu entnehmen ist, ist er bei Simple Pay angestellt. Über die Firma mit Sitz in Genf sind nur wenige Informationen öffentlich zugänglich. Ob sie neben Smood auch noch mit anderen Unternehmen zusammenarbeitet, ist nicht ersichtlich. Gegründet wurde Simple Pay von Ariana Grammatopoulo, die der Firma immer noch vorsteht. Es ist nicht das erste Unternehmen, das sie gegründet hat: Sie war zuvor schon Mitgründerin von Smood.

In einer ausführlichen Stellungnahme hält Simple Pay fest, dass keinerlei strukturelle Verbindungen zu Smood bestünden. Grammatopoulo habe die Firma nach der Trennung von Smood gegründet; Simple Pay habe zudem auch weitere Kund:innen. Weiter hält die Firma fest, dass die kritisierte Arbeitsplanung und -abrechnung Sache von Smood sei.

Die Arbeitsbedingungen bei Simple Pay seien noch prekärer, sagt Roman Künzler, bei der Unia Branchenverantwortlicher Logistik und Transport. Bei den Direktangestellten werde wenigstens die Wartezeit vergütet. Abgesehen davon seien die Vorwürfe, die die Streikenden erheben, überall sehr ähnlich, so Künzler. Smood setzt nur in Lausanne, Genf und Nyon auf Simple Pay. In den anderen Städten sind die Kurier:innen direkt angestellt, auch in Yverdon, wo der Streik begann.

Unklare Zuständigkeiten

Inzwischen hat das Unternehmen erste Zugeständnisse gemacht. Smood wolle den Stundenlohn auf 23 Franken erhöhen sowie die Spesenentschädigung und die Planung der Arbeitsschichten verbessern, heisst es in einer Medienmitteilung von dieser Woche. Es handle sich bloss um Absichtserklärungen, sagt die Unia, und das reiche nicht: Die Gewerkschaft fordere Smood schon seit Beginn des Streiks dazu auf, in Verhandlungen zu treten. Smood habe die Einladung zum Gespräch bisher jedoch abgelehnt. Simple Pay gibt gegenüber der WOZ an, an einem Gespräch mit der Unia interessiert zu sein; doch die habe bislang keine Vertretungsbefugnis nachweisen können. Smood hat auf die Anfrage der WOZ nicht reagiert.

Smood führt derweil durchaus Gespräche mit einer Gewerkschaft, aber nicht mit der Unia, sondern mit Syndicom. Diese fordere von Smood die Anpassung der Arbeitsbedingungen an Standards, die sie schon in anderen Gesamtarbeitsverträgen (GAV) erarbeitet hat, etwa jenem für Velokurier:innen. Darauf beruft sich auch die Migros in ihrer Stellungnahme gegenüber der WOZ: Die Migros Genf habe die Verhandlungen zwischen Smood und Syndicom «stark gefördert». Und weiter: «Die Verhandlungen verlaufen sehr konstruktiv und stehen kurz vor dem Abschluss, was eine hervorragende Nachricht ist.»

Die Unia habe davon lange gar nichts gewusst, sagt Roman Künzler. Von einem Konflikt zwischen den beiden Gewerkschaften wollen deren Vertreter:innen trotzdem nichts wissen. Syndicom spricht in ihrer Mitteilung ihre Solidarität mit den «Aktivist:innen» aus. Gegenüber der WOZ sagt Mediensprecherin Lena Allenspach allerdings auch: «Es ist unklar, wie weit wir von einer Einigung entfernt sind.» Schlechtere Bedingungen als in den anderen GAVs kämen für Syndicom nicht infrage.

Farès Doudouhi sagt, er habe Syndicom gar nicht gekannt. Die Gewerkschaften stehen nicht am Ursprung dieses Streiks: Er sei von den Mitarbeiter:innen selbst ausgegangen. «Wir haben unsere Wut lange genug unterdrückt», sagt der Kurier. Er stehe kurz vor einem Burn-out, und einen anderen Job habe er trotz mehr als 160 Bewerbungen nicht gefunden. Die Arbeit niederzulegen, ist sein letztes Mittel – für das er allerdings einen hohen Preis zahlt: Während er streikt, erhält Doudouhi keinen Lohn. Aber das sei es wert, davon ist er überzeugt: «Wenn wir uns jetzt nicht wehren, wird es immer schlimmer werden.»