Gewerkschaft Syndicom: Doch keine wüste Scheidung

Nr. 48 –

Ein Konflikt zwischen dem Zentralvorstand und dem Sektor Medien gefährdete die Einheit der Gewerkschaft Syndicom. Am vergangenen Wochenende hat die Mehrheit der Delegierten eine Eskalation vorerst abgewendet.

Vor allem die jungen Delegierten haben die Umstrukturierung der Gewerkschaft verhindert: Kongress der Syndicom in Langenthal. Foto: Sabine Rock

Seit ihren Anfängen im Jahr 2011, als in der grafischen Industrie Beschäftigte, Kommunikationstechniker, Medienschaffende, IT- und Logistik-Angestellte fusionierten, kommt die Gewerkschaft Syndicom nie richtig zur Ruhe. Immer wieder brechen Konflikte auf. Vor fünf Jahren warnten interne Kritiker:innen angesichts des dramatischen Mitgliederschwunds vor dem baldigen Ende der Gewerkschaft – bei der Fusion zählte Syndicom 45 000 Mitglieder, heute sind es noch 32 000.

Die Kritik zielte auf die als autoritär empfundene Gewerkschaftsführung ab, auf Geschäftsleitung und Zentralvorstand. Mobbingvorwürfe machten die Runde, die Personalfluktuation war hoch, und auch eine Mitarbeiter:innenbefragung fiel vernichtend aus. Vor wenigen Monaten zeichnete sich erneut ein Konflikt ab, der die Gewerkschaft gar hätte sprengen können.

Zweckfremde Ideen

Dazu muss man wissen, dass die von Syndicom vertretenen Branchen in die drei Sektoren Logistik, Informations- und Kommunikationstechnik sowie Medien unterteilt sind. Den letztgenannten, mitglieder- und finanzschwächsten Sektor stellte der Zentralvorstand mit einem Antrag an den Kongress vom vergangenen Wochenende vor eine Existenzfrage: Er wollte die grafische Industrie aus dem Sektor Medien herauslösen und neu in den Sektor Informations- und Kommunikationstechnik (ICT) integrieren. Ausserdem sollte sich der verbleibende Sektor Medien strategisch neu ausrichten, die Abschlüsse von Gesamtarbeitsverträgen (GAVs) anstreben – und so auch mithelfen, das strukturell bedingte finanzielle Defizit zu verringern.

Die Herauslösung der grafischen Industrie hätte die verbliebenen Branchen des Mediensektors aber derart geschwächt, dass sie kaum mehr überlebensfähig gewesen wären. Schliesslich ist die grafische Industrie in diesem Sektor die einzige Branche mit einem GAV. Und eben diese GAVs sind es, die Geld in die Gewerkschafts- und Sektorkasse bringen.

Doch auch inhaltlich wäre eine Umgruppierung nicht sinnvoll. Denn Drucker:innen – so sagt Niklaus Dähler vom Sektor Medien – haben mit Informatiker:innen und Telekommunikationstechniker:innen wenig gemeinsam. Auch finanziell bringe die Herauslösung für die Gesamtgewerkschaft ohnehin keine Einsparungen. Zwar hat Syndicom ein strukturelles Defizit, doch schreibt die Organisation dank der Finanzerträge aus einem Vermögen von aktuell 26 Millionen Franken schwarze Zahlen. Und in den letzten vier Jahren ist das Gesamtvermögen sogar leicht gestiegen. Die Gewerkschaft zehrt also nicht von der Substanz.

Gegen die Pläne der Gewerkschaftsführung organisierte der Sektor Medien den Widerstand, nachdem er vom Zentralvorstand in der Sache überstimmt worden war. An einer Konferenz Ende Oktober in Biel sprachen sich die Mitglieder des Sektors einstimmig und ohne Enthaltungen gegen den Antrag des Zentralvorstands aus – und drohten mit dem kollektiven Austritt aus der Gewerkschaft. In einer Resolution wandten sie sich zudem an die Spitze des Gewerkschaftsbunds (SGB) mit der Aufforderung, er solle in diesem Konflikt vermitteln. Ein Treffen mit SGB-Präsident Pierre-Yves Maillard, SGB-Chefökonom Daniel Lampart, Syndicom-Präsident Daniel Münger und Vertreter:innen des betroffenen Sektors vor dem Kongress vom letzten Wochenende in Langenthal verlief ergebnislos. Münger äusserte sich noch einen Tag vor dem Kongress gegenüber der WOZ zuversichtlich, dass der Antrag durchkommen werde.

Am vergangenen Freitag dann die dicke Überraschung. Der Appell des Sektors Medien an die Solidarität der Delegierten wirkte: «Wir alle zusammen, die Delegierten dieses Kongresses, haben es in der Hand, eine Katastrophe zu verhindern und nicht zuzulassen, dass Syndicom zehn Jahre nach der Fusion einen Teil seiner Mitgliedschaft verrät. Wir rufen euch auf, das aggressive, unsolidarische Vorgehen der Mehrheit der Geschäftsleitung und des Zentralvorstandes zu stoppen und den frontalen Angriff gegen den Sektor Medien in Form des Antrages 1.1 abzulehnen.»

Gegen «willkürliche Transplantation»

Laut einem Delegierten waren es vor allem junge Gewerkschafter:innen, die am ersten Kongresstag das Wort für eine solidarische Gewerkschaft ergriffen und den Zentralvorstand hart kritisierten. Eine von ihnen war Camille Roseau, übrigens ein Mitglied des WOZ-Kollektivs. Sie wandte sich mit folgenden Worten an die Delegierten: «Wenn ich mir den Antrag anschaue, geht es um die willkürliche Transplantation einer Branche in einen anderen Sektor. Dies nicht etwa, weil man sich grössere inhaltliche Synergien und damit bessere Gewerkschaftsarbeit im Dienste der Mitglieder verspricht, sondern einzig und allein deshalb, weil es finanziell lohnend sein könnte.» Eine solche Denkweise könnte einem neoliberalen Ökonomielehrbuch entnommen sein, sagte Roseau weiter. «Dem müssen wir entgegentreten.» Geopfert würden durch ein solches Vorgehen auch «Grundprinzipien unserer eigenen Organisation», wie etwa die statutarisch verankerte innergewerkschaftliche Demokratie und das Selbstbestimmungsrecht.

Niklaus Dähler vom Sektor Medien sagte: «Wir sind keine Firma, sondern eine Gewerkschaft, wir müssen nicht rentieren, sondern funktionieren!» Schliesslich lehnten die Delegierten den Antrag des Zentralvorstands mit 90:70 Stimmen ab – und stimmten dafür einem Antrag des Sektors Medien zu.

Dieser besagt, dass der Sektor Medien nicht gegen den Willen seiner Basis aufgeteilt werden kann. Ausserdem will man bis zur Delegiertenversammlung im Jahr 2023 versuchen, eine einvernehmliche Lösung für eine gemeinsame Zukunft der Syndicom-Sektoren zu finden. Moderieren soll diesen Prozess als soeben gewählter Schiedsgerichtspräsident SP-Ständerat Paul Rechsteiner. Sollte kein Kompromiss gelingen, wären bis zum Kongress im Jahr 2025 alle anderen Szenarien zu prüfen: etwa die Fusion von 2011 rückgängig zu machen – oder der Übertritt des Sektors in eine andere Gewerkschaft. Ausserdem verpflichtet sich der Sektor Medien, nicht mehr Geld für seine direkten Kosten auszugeben, als er einnimmt.

Gut für die Bewegung

Eine wüste Scheidung ist damit vorerst abgewendet. Das heisst auch: Syndicom als Gewerkschaft bleibt handlungsfähig und reibt sich nicht in internen Auseinandersetzungen auf. Andernfalls hätten wohl langwierige und kostspielige rechtliche Auseinandersetzungen die Gewerkschaft gelähmt. Der Entscheid für Vermittlungsverhandlungen ist auch für die gesamte Gewerkschaftsbewegung gut.

Selbst Syndicom-Präsident Daniel Münger begrüsst nun dieses Vorgehen: «Ich finde das keine so schlechte Sache. Wir müssen miteinander reden, wie wir uns strategisch aufstellen. Wenn alle guten Willen zeigen, bin ich optimistisch, dass wir einen entscheidenden Schritt weiterkommen. Wenn immer möglich, sollten wir in die Zukunft schauen. Das haben wir auch an diesem Kongress vor allem getan.»