Auf allen Kanälen: Warum eigentlich all die Bezahlschranken?
Die Plattform Sci-Hub macht wissenschaftliche Publikationen frei zugänglich und provoziert die Frage, ob dieses Wissen exklusiv sein soll.
Sie wurde schon als «Pirate Queen» bezeichnet oder als weiblicher Robin Hood im Feld des wissenschaftlichen Publizierens. Solche Zuschreibungen mag Alexandra Elbakyan nicht besonders. Die Kasachin, die inzwischen in Moskau wohnt und Philosophie studiert, sieht sich schlicht als Kommunistin. Das wissenschaftliche Wissen gehöre allen, nicht einzelnen Verlagen, die dank Zugangsbeschränkungen ein Vermögen verdienten.
Das ist die Grundidee von Open Access, von Elbakyan aber radikal umgesetzt: Selber genervt über die teuren Bezahlschranken, schrieb sie 2011 ein Skript und kratzte ein paar Zugangsdaten aus dem Netz zusammen. Enter. Seither sammelt ihre Sci-Hub-Maschine rastlos wissenschaftliche Papers und saugt sie auf die eigenen Server. Die magische Grenze von 100 Millionen ist in Reichweite, aber wenn es nach Elbakyan geht, soll bald «jedes jemals veröffentlichte wissenschaftliche Dokument» auf Sci-Hub zu finden sein. 2015 und 2017 wurde Sci-Hub in den USA erfolgreich wegen Urheberrechtsverletzung verklagt. Seitdem läuft ein Katz-und-Maus-Spiel, die Domains wechseln alle paar Monate, aber allzu schwer ist es nie, die aktuelle Heimat von Sci-Hub zu finden.
Fette Margen
Der zehnjährige Kampf für freien Zugang zu Wissen hat Elbakyan nicht nur Ärger, sondern auch einen gewissen Heldinnenstatus eingebracht, gerade im akademischen Bereich. Für viele Forschende ist Sci-Hub tatsächlich ein unverzichtbarer Teil ihrer Arbeit, weil sich ihre Institutionen die Gebühren für Publikationen teils gar nicht leisten können. Täglich greifen rund eine halbe Million Menschen weltweit auf Sci-Hub zu, in der Pandemie stiegen die Zahlen noch.
Die mächtigen Gegner geben sich indessen nicht unbedingt Mühe, besonders sympathisch zu wirken. Die grossen Wissenschaftsverlage sind Profitkühe. Ihre Gewinnmargen sind schon fast unverschämt, bei Springer sind es 35 Prozent, bei Elsevier 37. Zum Vergleich: 2014 wies Google eine Marge von 25 Prozent aus, Apple eine von 29. Und die grossen Verlagshäuser sind fleissig auf Einkaufstour, die Konzentration im wissenschaftlichen Verlagswesen ist in vollem Gang. Wo die grossen Häuser zuschlagen, ist die Landschaft danach ein Labyrinth voller Paywalls. Was zu einem guten Teil den Erfolg von Sci-Hub erklärt: Elbakyan hat das ultimativ simple Tool für den Zugriff auf wissenschaftliche Publikationen gebaut; davon sind die Bibliothekssysteme auch bei uns weit entfernt. Die Zugriffe kommen deshalb durchaus nicht nur aus Schwellenländern oder dem Globalen Süden.
Ein grosser Hack?
Das Narrativ wäre im Prinzip also einfach: Hier die couragierte Befreierin des Wissens, dort die skrupellosen Parasiten des wissenschaftlichen Betriebs – schliesslich brauchen sie kaum etwas zu bezahlen für die Produktion des Wissens, von dessen Vertrieb sie profitieren.
Aber wenn wir eines gelernt haben in den letzten Monaten, dann dies: Wo einfache Narrative sind, da sind auch Verschwörungserzählungen nicht weit. Und so fragen sich manche: Wie kann es sein, dass Elbakyan allein eine solche Monsterinitiative stemmt und auch von mächtigen internationalen Gegnern nicht in die Knie gezwungen wird? Da muss doch die russische Regierung mit an den Hebeln sitzen! Die Gründerin macht tatsächlich gern ein Geheimnis daraus, wie genau ihr Skript die Bezahlschranken durchbricht. Geht da womöglich ein grosser Hack vonstatten, der auf Universitätsservern viel mehr sucht als «harmlose» PDFs?
Solche Theorien zeigen vor allem eines: Bei Sci-Hub geht es nicht um kommerzielle versus gemeinfreie Wissenschaft, es ist eine Geschichte über Politik und Privilegien. Eine Geschichte über Inklusion und Exklusion – auch hierzulande: Wer nicht offiziell an einer Forschungsinstitution arbeitet, erhält keinen Zugang. Es ist aber auch die komplizierte Geschichte des utopischen Potenzials des Digitalen. Wie heisst es so schön auf der Google-About-Seite: «Unsere Mission: die Informationen der Welt zu organisieren und sie universell zugänglich […] zu machen.» Auch der Kommunismus hat sich damals ja als Disruptor gesehen.