Topologische Agenda (2008–2021): Abschied vom Sternenhimmel

Nr. 49 –

Die Engel in der Stadt weinen, denn man hat ihnen den Sternenhimmel abgerissen. Nur ein Überbleibsel steht noch, an der stillgelegten Kehrichtverbrennungsanlage an der Zürcher Josefstrasse. Teils verdeckt von neu verlegten, silberglänzenden Rohren, haften sie noch am letzten Rest der wuchtigen Stahlfassade, wie matt leuchtende Gestirne am Nachthimmel: die Büromagnete, die Navid Tschopp, damals noch Student an der Zürcher Hochschule der Künste, hier an die Wand warf, einen nach dem anderen, über zwei Jahre hinweg, bis zum Ende seines Studiums. Über tausend sollen es zuletzt gewesen sein, ein ganzes Firmament eben, oder auch eine «Magnet-Wolke», wie der Künstler sie nennt.

«Topologische Agenda» hat Tschopp seine Guerillakunst am Bau betitelt. Vor elf Jahren hat er das illegal entstandene Werk mit einer Schenkungsurkunde feierlich der Stadt vermacht, und damit war es quasi rückwirkend auch amtlich bewilligt. «Ehrlich gesagt hätte ich nicht gedacht, dass die Arbeit über zehn Jahre dortbleibt», sagt Tschopp heute. Schon beim Schenkungsakt habe man ihm damals zu verstehen gegeben, dass die Arbeit wohl nur so lange halten werde, bis die Anlage teils abgerissen und zu einer Energiezentrale umgebaut werde. Erst verspätet aus zweiter Hand habe er erfahren, dass es jetzt so weit sei, deshalb habe er nicht dokumentieren können, dass beim Abriss nun auch sein Werk abgewrackt werde.

Die Stadt als Besitzerin des Kunstwerks hat den Künstler also nicht vorab informiert. Aber hat man vielleicht versucht, Tschopps Arbeit zu dokumentieren oder gar zu erhalten, so- weit das in einem solchen Fall überhaupt möglich ist? Amtliche Auskunft dazu aus der Fachstelle Kunst im öffentlichen Raum: «Die stark kontextuelle und ortsbezogene Beschaffenheit sowie der spontane Entstehungsprozess sprechen gegen das Konservieren oder Bewahren einzelner Elemente der Arbeit.» Kein Platz für Wehmut bei der Kunstbehörde.

Derweil freut sich Navid Tschopp zumindest darüber, dass sich nun die Sprayercrews KCBR, YNOT und MAFS unübersehbar am Kamin der Anlage verewigt haben, denn dieser wird nicht abgerissen. Und Tschopp selber hinterlässt da und dort gelegentlich weisse Magnete auf Fahrrädern und Autos – symbolische Hinweise darauf, dass seine «Magnet-Wolke» sich aufgelöst habe oder weitergezogen sei, um sich eines Tages wieder neu zu formieren, irgendwo, irgendwann. 

Der Künstler freut sich über Fotos, auf denen die «Topologische Agenda» festgehalten ist: info@navid.ch.