Literatur: Normal glücklich
Überall herrscht Entfremdung in diesem Roman. Zwischen den besten Freundinnen Alice und Eileen, die sich monatelang nicht sehen und sich kulturpessimistische E-Mails schreiben. Zwischen den vier Hauptfiguren und ihrer Lebensplanung. Und sogar die Erzählstimme bleibt auf Distanz zu ihrem Personal, als würde sie fremde Leute beobachten. So ist Alice am Anfang bloss «eine Frau», als sie «einen Mann» trifft, ihr Tinder-Date Felix. Der arbeitet als Lagerist in dem Küstendorf, in das die dreissigjährige erfolgreiche Autorin Alice vor dem Trubel um ihre Person und dem von ihr verabscheuten Literaturbetrieb geflohen ist.
In ihrem dritten Roman, «Schöne Welt, wo bist du», setzt die irische Autorin Sally Rooney wieder zu einer ihrer soziologisch reflektierten, gegenwartshaltigen Liebessoaps an. Doch die erzählerische Leichtigkeit, mit der sie in ihren ersten beiden Romanen so unwiderstehlich zwischen Melancholie und Banalität hindurchgesegelt ist, will sich hier nicht einstellen. Das liegt vor allem daran, dass die Dialoge und die Dynamik zwischen den Figuren selten in Fahrt kommen. Während sich Alice in den grobschlächtigen Felix verliebt, nähert sich Eileen ihrem Sandkastenfreund Simon an. Erst nach drei Vierteln des Buches treffen die vier aufeinander, jetzt entladen sich die schwelenden Spannungen. Aber bis dahin fühlt sich die Lektüre oft wie Warten an.
In der Zwischenzeit folgt man den mässig aufregenden Gedankengängen in den unzähligen E-Mails. Etwa darüber, ob die Menschheit wohl ihren Sinn für Ästhetik verloren hat oder ob der christliche Glaube vielleicht bloss Performance ist. Simon, der als politischer Berater in Dublin arbeitet, glaubt nämlich an Gott. So unglaubwürdig die existenzielle Verlorenheit dieser erwachsen gewordenen Millenials wirkt, so durchschaubar ist ihre Faszination für authentische Hingabe. Die hadernden Paare bleiben am Schluss zusammen – normal, aber glücklich.
Sally Rooney: Schöne Welt, wo bist du. Claassen Verlag. Berlin 2021. 352 Seiten. 30 Franken