Aus dem Fumoir: In Schönheit die Existenz verrauchen

Nr. 4 –

«Ernsthafte Versuche, das Rauchen zu lernen, treten meist im Alter zwischen 12 und 13 Jahren auf. Spielerische Versuche, vor allem von Kindern aus Raucherhaushalten, können schon ab dem Alter von 5 Jahren, aber meistens um 7 oder 8 stattfinden.»

So steht es in einem internen Bericht der Imperial Tobacco Limited. Das war 1977. Damals war ich zehn. Inwieweit mich der damals omnipräsente Marlboro Man ein paar Jahre später dazu verführte, meine Raucherkarriere zu lancieren, weiss ich nicht. Rückwirkend erstaunt mich die Wahl, da mir dieser Männertypus von Anfang an eher unsympathisch war.

Irgendwann stieg ich auf Gauloises um. Auch das hatte wohl nicht primär mit Tabakwerbung zu tun. Ausschlaggebender waren französische Filme. Und vor allem: der Existenzialismus, insbesondere Albert Camus. Seine These, dass gerade die Sinnlosigkeit der Existenz die Grundlage für die Freiheit des Individuums sei, gefiel mir. Es war also weniger die Werbung, die mich verführte, sondern es waren Fotos, auf denen Camus und seine Kolleg:innen in den Pariser Cafés der fünfziger Jahre ihre Existenz verrauchten. Das perfekte Tableau für das Product-Placement von Gauloises – und eine Art Anschauungsunterricht für Körperhaltungen, Gesten und Gesichtsausdrücke, die ohne das Requisit Zigarette nur halb so interessant gewesen wären.

Es kann aber durchaus möglich sein, dass die perfide Strategie, wie sie ein Forscher des Tabakkonzerns R. J. Reynolds 1973 in einem Bericht darlegte, auch bei mir funktionierte: «Psychologisch gesehen ist man im Alter von achtzehn unsterblich. Wenn der Wunsch, mutig zu sein, ein Teil der Motivation ist, mit Rauchen zu beginnen, kann das mutmassliche Risiko des Rauchens das Rauchen sogar attraktiv machen. Daher sollte eine Marke, die für Jugendliche konzipiert ist, ein gewisses angedeutetes Risiko beinhalten.»

Vor einigen Jahren bin ich auf Gauloises Blondes umgestiegen. Indem ich mich ganz bewusst der Illusion hingebe, Zigaretten in einer helleren Packung seien weniger schädlich, bin ich der Werbung erneut auf den Leim gekrochen. Auch ertappe ich mich immer wieder aufs Neue dabei, reflexartig die Packung umzudrehen, sobald die Rückseite zu sehen ist, auf der in abstossenden Bildern auf die Tödlichkeit meines Tuns hingewiesen wird.

Rauchen oder Nichtrauchen sei letztlich «eine philosophische Frage», sagte mein ehemaliger Hausarzt, der selbst ein starker Raucher war. Was Camus dazu sagen würde? Konnte er damals überhaupt schon wissen, wie existenziell schädlich notorischer Tabakkonsum sein kann? Vielleicht wäre es jetzt, nach vierzig Jahren Rauchen, an der Zeit, dem Existenzialismus ins wahre Gesicht zu schauen und eine mutige Antwort auf die philosophische Frage zu geben.

Aber ob ich das so ganz ohne Zigarette aushalte? Nein. Nicht jetzt. Jetzt nicht. Aber bald. Vielleicht.