Auf allen Kanälen: Ohne Rückgrat
Tamedia entlässt einen Redaktor auf Geheiss von Verleger Pietro Supino. Die Methode hat System beim grössten Medienhaus der Schweiz: Gegen oben wird gebuckelt, gegen unten links getreten.

Chef sein ist schwer. Chef sein heisst Verantwortung übernehmen. Schlaue Chefs, wie jene von Tamedia, haben nun gemerkt, dass Verantwortung zwar hin und wieder übernommen werden muss, es aber nicht zwangsläufig sie selber sein müssen, die sich diese Last aufbürden. Denn wem wäre schon gedient, würden sie sich ins Schwert werfen – noch dazu für ihre eigenen Fehler?
Arthur Rutishauser und Mario Stäuble sind zwei der vielen (meist männlichen) Chefs bei Tamedia. Vor knapp zwei Wochen haben sie ihren Redaktor Kevin Brühlmann entlassen. Der vordergründige Anlass dazu ist mittlerweile hinreichend diskutiert: In seinem Porträt über die FDP-Politikerin Sonja Rueff-Frenkel hatte sich Brühlmann merkwürdig obsessiv mit ihrem Judentum befasst. Der Text bediente antisemitische Klischees, er hätte so nie erscheinen dürfen. Abgenommen hatte ihn allerdings unter anderem Mario Stäuble, Ko-Chefredaktor des «Tages-Anzeigers».
Als Erstes berichtete das jüdische Wochenmagazin «Tachles» über die Entlassung; dessen Chefredaktor Yves Kugelmann schrieb dazu: «Statt gegen die verantwortlichen Redakteure, die den Text ins Blatt gerückt haben, geht der Konzern gegen einen jungen Journalisten mit einer Unverhältnismässigkeit vor, die erstaunt. Gelten Eingeständnis, Entschuldigung, einvernehmliche Aussprache mit der betroffenen Politikerin nichts mehr?»
Druck von oben
Details und Hintergründe lieferte dann die «Republik» nach, die auch herausgefunden haben will, dass Brühlmann intern schon länger angezählt gewesen sei. Verleger Pietro Supino hatte sich demnach an einer Recherche über die Zürcher Baugarten-Stiftung gestört, von Brühlmann treffend beschrieben als «Perpetuum Mobile», das den «Spass des Zürcher Bürgertums finanziert». Abgenommen hatte auch diesen Text, grosse Überraschung: Mario Stäuble. «Zu diesem Fehler steht er», schreibt der Chef laut «Medienwoche» demütig über sich selber – in einem Brief an die Redaktion, unterzeichnet von Stäuble und Tamedia-Chefredaktor Arthur Rutishauser. Stäuble hatte sich offenbar schon vorher ausgiebig bei Verleger Supino entschuldigt, für den die journalistische Unabhängigkeit stets dort aufhörte, wo sie seine eigene Befindlichkeit tangiert.
Nun sind Chefs ohne Rückgrat keine Exklusivität von Tamedia. Doch im grössten Medienhaus der Schweiz haben sie eine besonders problematische Rolle inne. Sie geben den Druck von oben, von Verleger Supino, ungefiltert nach unten weiter. Politisch eher links stehenden Journalist:innen klopfen sie bei jeder Gelegenheit auf die Finger, den «Weltwoche»-Boys bei der «SonntagsZeitung» lassen sie dagegen Woche für Woche freie Hand.
Rechts dreht frei
Guter Journalismus bedingt die innere Freiheit einer Redaktion, bedingt Vorgesetzte, die sich vor und hinter ihre Redaktor:innen stellen. Bei Tamedia gelten diese Prinzipien nicht viel, jedenfalls nicht für alle. Links wird diszipliniert und unter Verweis auf angeblich allgemeingültige Qualitätskriterien zermürbt, Rechts dreht frei. Ressortleiterin Michèle Binswanger darf sich eine von Tamedia finanzierte Privatfehde mit der Netzaktivistin Jolanda Spiess-Hegglin leisten, darf publizistisch immer wieder mal danebengreifen, ohne dass es auf der Chefetage jemanden zu stören scheint. Aber wenn ein Lokalredaktor der Zürcher Geldelite zu nahe tritt, kann er sich einen neuen Job suchen.
«Es braucht auch in der Schweiz Journalistinnen und Journalisten, die recherchieren dürfen», schrieb Superchefredaktor Rutishauser jüngst in einem Kommentar gänzlich unironisch. Das war keine mutige Botschaft an seinen Verleger, sondern ein Wehklagen über den Schweizer Bankenschutz. Als nämlich ein internationaler Rechercheverbund die kriminelle Kundschaft der Credit Suisse ans Licht brachte, machte der «Tages-Anzeiger» nicht mit. Die Angst vor einer Klage der Grossbank und einem Strafverfahren wegen Verstoss gegen das Bankengesetz hatte Rutishauser zu einer Absage bewogen.
Der Entscheid, wenn auch nachvollziehbar, ist feige. Warum nicht in einem Prozess, der international für Aufsehen gesorgt hätte, die Pressefreiheit in der Schweiz durchdeklinieren? Aber dafür hätte man sich mit einem finanzstarken Gegner anlegen müssen, der viele einflussreiche Freunde auf seiner Seite weiss.