Game: Spielprinzip Hoffnung

Nr. 10 –

Im Fantasyabenteuer «Elden Ring» entwirft der japanische Gamedesigner Hidetaka Miyazaki einmal mehr eine rätselhafte Welt voller todbringender Monster. Dieses Mal mischte auch der «Game of Thrones»-Erfinder George R. R. Martin mit.

Es gilt, mächtige Burgen und finstere Höhlen zu erkunden und dabei unzählige Ungeheuer zu besiegen: Szene aus «Elden Ring». Bild: © Bandai Namco Entertainment Inc.

Die Spiele des japanischen Gamedesigners Hidetaka Miyazaki haben fast immer zwei Dinge gemeinsam: Sie entwerfen kryptische Welten voller grotesker Ungetüme – Untote, Drachen, Dämonen. Und sie vermitteln selbst Leuten, die viel Zeit mit dem Gamepad in der Hand verbringen, das Gefühl, «casuals» zu sein – läppische Gelegenheitsspieler:innen, denen der Biss fehlt, echte Herausforderungen zu meistern. Games als Ermächtigungsfantasie? Eher fallen bei Miyazaki das im Spiel dargestellte Grauen und das Leiden der Spielerinnen zusammen, er kreiert Pixelkunstwerke für Masochisten.

Das gilt auch für sein neues Werk «Elden Ring», das von der Kritik bereits jetzt als aufregendste Neuerscheinung dieses Jahres bejubelt wird. In diesem Rollenspiel kreiert man anfangs seine Heldin, mit der man die nächsten Stunden vor allem zwei Dinge erledigen muss: Es gilt, eine riesige mittelalterliche Fantasiewelt voller mächtiger Burgen und finsterer Höhlen zu erkunden und dabei unzählige Ungeheuer zu besiegen. Kaum hat man allerdings die Grundmechanismen erlernt, wartet im Startgebiet auch schon ein Reiter in goldener Rüstung. Nähert man sich diesem, um die Figur in voller Pracht zu bestaunen, wird man binnen eines Wimpernschlags von der Lanze des Recken aufgespiesst und muss von vorne beginnen.

Hartnäckigkeit ist dringend nötig

Genauso unerbittlich war schon Miyazakis Spiel «Dark Souls», das 2011 erschien und eins der prägendsten Games der Videospielgeschichte wurde. Auf Youtube sind Clips von Leuten, die «Dark Souls» spielen und entnervt die Tastatur zu Boden schmettern, ein eigenes Genre – dort kann man etwa dem US-Rapper Snoop Dogg, eigentlich ja eher eine phlegmatische Natur, bei der emotionalen Kernschmelze im Gamingstuhl zuschauen.

So herausfordernd seine Werke sind, so gross ist die Verehrung, die Miyazaki überall auf der Welt erfährt. Vor elf Jahren war «Dark Souls» eine Offenbarung: Während Games für den Massenmarkt wie etwa die «Assassin’s Creed»-Reihe immer weniger Ansprüche an die Hartnäckigkeit der Spieler:innen stellten, ging Miyazaki den umgekehrten Weg. Mit dem Effekt, dass sich beim Spielen das Gefühl einstellt, mit etwas konfrontiert zu sein, das die Auseinandersetzung wirklich lohnt, eben weil es sich nicht einfach wegkonsumieren lässt.

Seine Games würden von der Hoffnung handeln, sagte Miyazaki vor ein paar Jahren der französischen Zeitung «Le Monde» in einem seiner raren Interviews. Das klingt schräg, Miyazaki meinte damit aber, dass er mit seinen Werken dazu ermuntern möchte, beharrlich zu bleiben. «Die Botschaft ist: Gebt nicht auf!» Und gegenüber dem US-Magazin «New Yorker» sagte er neulich fast entschuldigend: «Ich möchte bloss möglichst vielen Spielern das Glück vermitteln, das sich nach der Überwindung von Notlagen einstellt.»

Womöglich ist das eine biografisch motivierte Idee. Miyazaki wuchs in armen Verhältnissen nicht weit von Tokio auf, seine erste Konsole, ein Super Nintendo, konnte er sich erst leisten, als er bereits auf der Uni war. Nach einem Studium der Sozialwissenschaften begann er beim US-Techkonzern Oracle, auf einem Posten, der nichts mit Games zu tun hatte. Erst da reifte in ihm der Wunsch, Videospiele zu kreieren.

Also wechselte er auf eine deutlich schlechter bezahlte Stelle beim bis dahin mässig erfolgreichen Gamestudio From Software. Dort bekam er die Verantwortung für ein Spiel namens «Demon’s Souls» übertragen – ein vor sich hin darbendes Projekt, das firmenintern bereits als Desaster abgehakt war. Miyazaki krempelte es komplett um, «Demon’s Souls» wurde vor allem dank Mund-zu-Mund-Propaganda ein Erfolg – und der Entwickler durfte schliesslich sein eigenes Projekt starten, aus dem dann «Dark Souls» werden sollte. Heute, mit Ende vierzig, leitet er bei From Software nicht nur die Entwicklung einzelner Spiele, sondern das ganze Studio.

Aura des Geheimnisvollen

Wie gut Miyazakis Ruf ist, beweist, dass er für «Elden Ring» George R. R. Martin gewinnen konnte. Der Schriftsteller dürfte sich seit dem Erfolg der Serie «Game of Thrones», die auf seinem Fantasyepos «A Song of Ice and Fire» beruht, seine Kooperationspartner:innen nach Belieben aussuchen können. Als From Software bei ihm anklopfte, sagte er aber sofort zu, die Hintergrundgeschichte zu erarbeiten.

Allerdings geht Miyazaki auch in Sachen Storytelling eigenwillige Wege: Martin-Fans sollten sich vom neuen Game nicht zu viel erhoffen. Videosequenzen, die die Handlung erklären, sind selten. Immerhin ist eingangs zu erfahren, dass wir uns in den «Lands Between», in den von einer Geschwisterfehde zerrissenen «Zwischenlanden», befinden. Quests, die mehr über deren Hintergründe verraten, gibt es ebenfalls nur sporadisch. Wer in die Geschichte eintauchen will, muss selbst recherchieren: in den Texten, die aufgelesene Gegenstände beschreiben, oder in den verrätselten Sätzen, die einem die wenigen freundlich gesinnten Gestalten zuraunen.

Miyazaki erzählt in Interviews oft, wie er als Kind viel Zeit in der Stadtbibliothek verbrachte. Dort reizten ihn vor allem Bücher, für die er eigentlich zu jung war. Ihre Handlung reimte er sich aus den Fragmenten, die er verstand, selbst zusammen. Daher rührt der narrative Kniff, der seine Spiele auszeichnet. So umsäumt auch «Elden Ring» eine Aura des Geheimnisvollen, die die Imagination kitzelt: Die Welt erscheint lebendig, aber zugleich irritierend sprachlos. Ihr Sog intensiviert sich dadurch, dass sie das Gespür für jeden noch so schwachen Schimmer des Schönen schärft: Wer fast überall von opakem Grauen umgeben ist, hat einen anderen Blick für den strahlenden Sonnenschein und den plötzlichen Frieden, der am Ausgang eines Verlieses voller meuchelnder Monster wartet.

Tröstende Botschaften

Faszinierend ist auch eine andere Designidee. Grundsätzlich ist «Elden Ring» ein Abenteuer für Solist:innen. Man kann aber auf dem Boden mithilfe von Textbausteinen Botschaften hinterlassen, die bei anderen Spieler:innen erscheinen, um diese vor einem lauernden Gegner zu warnen oder auf einen geheimen Weg hinzuweisen. Auf den einsamen Streifzügen durch die Lands Between wirkt das ungemein tröstend, auch wenn sich viele einen Spass daraus machen, ihre Leidensgenoss:innen mit irreführendem Nonsens zu foppen.

Man kann ausserdem andere zu sich einladen, um besonders mächtige Ungeheuer gemeinsam zu bekämpfen. Nur ist es auch hier weitgehend Zufall, wer die Einladung erhält. Ein Austausch mittels Chat ist nicht möglich. Die Spieler:innen können sich zwar anerkennend voreinander verbeugen oder auf die Knie fallen, wenn die Herausforderung gemeistert ist, mehr aber auch nicht.

Miyazaki kam die Idee dafür, als er einmal mit dem Auto im Schnee stecken blieb und die Leute begannen, auszusteigen, um einander anzuschieben. Noch ehe er sich bedanken konnte, waren die unbekannten Helfer:innen auch schon im Rückspiegel verschwunden. Bloss ein kurzes Aufflackern der Solidarität im Alltag – das aber einen Unterschied ums Ganze machen kann.

«Elden Ring» (From Software). Für PC, PS4 und PS5, Xbox One und Xbox Series. 70 Franken (PC).