Games: Das Onbu muss überleben

Nr. 11 –

Die Videospielindustrie ist ein Milliardengeschäft und mittlerweile die umsatzstärkste Unterhaltungssparte weltweit. Doch die Branche ist sehr divers, und nicht alle profitieren gleichermassen vom Boom. Zu Besuch bei Schweizer Entwickler:innen.

  • Symbiotisch durch die Postapokalypse: In «The Wandering Village» muss man sich um eine Zivilisation kümmern, die auf einem riesigen Tier namens Onbu siedelt. © Stray Fawn Studio
  • Exportschlager aus Schaffhausen: Das Wirtschaftsgame «Transport Fever 2» bescherte den Entwickler:innen bislang einen Bruttoumsatz von fünfzehn Millionen Franken. © Urban Games
  • Wen soll die Lore überrollen? «Elementary Trolleyology» führt ethische Zwickmühlen plastisch vor Augen. © Twin Earth

Wie viele Heranwachsende meinte Basil Weber schon früh genau zu wissen, womit er später einmal sein Geld verdienen würde. Der Teenager begeisterte sich für Videospiele – besonders solche, in denen es um Züge und den Transport von Menschen und Gütern geht. Er träumte davon, diese Leidenschaft später zu seinem Job zu machen. Aussergewöhnlich aber macht Webers Weg, dass er diese Pläne nicht irgendwann begraben, sondern zielstrebig weiterverfolgt hat. Und das sehr erfolgreich.

Basil Weber ist heute Geschäftsführer eines Unternehmens namens Urban Games, das seinen Sitz ein paar Gehminuten vom Schaffhauser Bahnhof entfernt in einem unscheinbaren Bürogebäude hat. Es vertreibt ein weltweit gefragtes Produkt: eine Computerspielreihe namens «Transport Fever», deren jüngster Teil 2019 erschienen ist. Fünfzehn Millionen Franken Bruttoumsatz hat dieser dem Gamestudio bislang beschert.

Weber erzählt, dass er in den Neunzigern exzessiv Games wie «Transport Tycoon» gespielt habe – eine Logistik- und Wirtschaftssimulation, in der die Spielerin Verkehrsverbindungen planen und Städte mit Gütern und Rohstoffen versorgen muss, so wie in den heutigen Titeln von Urban Games auch. Mit seinem Bruder Urban, der Mathematiker ist und heute das Programmierteam des Schaffhauser Gamestudios leitet, begann er noch während seines Informatikstudiums an der ETH, an einem ersten Spiel zu arbeiten. Aus dem Hobby wurde schnell mehr: «Wir beide haben 15 000 Stunden in das Game gesteckt, bevor die Firma überhaupt gegründet war», sagt Basil Weber.

Es war eine Investition, die sich auszahlen sollte. Urban Games ist eine kleine, aber feine Erfolgsstory, zwanzig Mitarbeiter:innen beschäftigt das Unternehmen derzeit, und die Zeichen stehen auf Wachstum. Im Gespräch merkt man Weber an, dass er zuversichtlich in die Zukunft blickt – auch wenn der Videospielmarkt eine Branche ist, in der sich schnell viel ändern kann.

So umkämpft wie lukrativ

Anfang des Jahres sorgte ein gigantischer Wirtschaftsdeal für Schlagzeilen: Der US-amerikanische Techkonzern Microsoft kündigte die Übernahme des Videospielherstellers Activision Blizzard an – für einen Kaufpreis von fast siebzig Milliarden US-Dollar. Der Windows-Hersteller will damit die eigene Position in einem so lukrativen wie umkämpften Markt stärken: Sollte der Aufkauf nicht noch aus kartellrechtlichen Gründen gestoppt werden, würden enorm populäre Titel wie die Militärreihe «Call of Duty» oder das Mobilegame «Candy Crush» zu Microsoft wandern. Zudem dürfte es dem US-Konzern auch darum gehen, sich beim kommenden Kampf der Techgiganten um Dominanz im gross gehypten «Metaverse» gut aufzustellen. Immerhin würde Microsoft durch den Deal schlagartig auch das Know-how zahlreicher Programmiererinnen und Designer erwerben, die mit dem Onlinerollenspiel «World of Warcraft» bewiesen haben, dass sie virtuelle Welten kreieren können, von denen viele sich kaum noch loszureissen vermögen.

Siebzig Milliarden Dollar sind eine Grössenordnung, die man sonst eher von Übernahmen in der Rohstoffindustrie oder der Telekommunikationssparte kennt. Es wäre die grösste in der Unternehmensgeschichte von Microsoft. Schaut man sich allerdings die Umsätze an, die heute mit Games gemacht werden, überraschen diese Dimensionen nicht. «Der Erfolg der Videospielindustrie im Verlauf der letzten Jahrzehnte war, egal welchen Massstab man anlegt, astronomisch», schreibt der US-Journalist Jason Schreier in seinem vor ein paar Monaten erschienenen Branchenreport «Press Reset». Allein 2021 erwirtschafteten Videospiele weltweit sagenhafte 180 Milliarden Dollar – das ist mehr, als mit Kinofilmen und Musik zusammen verdient wurde.

Die Übernahmen sieht Basil Weber gelassen, im Prinzip seien dies normale Konzentrationsprozesse: «Man muss auch sehen, dass die Gameindustrie sehr divers ist, mit unzähligen Akteuren. Selbst wenn Microsofts Übernahme von Activision Blizzard riesig erscheinen mag, ist der Markt nach wie vor sehr gesund, vor allem im Vergleich zu anderen Bereichen.» Trotzdem könnte aber etwa der Abodienst, den Microsoft mit seinem Xbox-Gamepass seit 2017 vorantreibt, für Unternehmen wie Urban Games irgendwann zum Problem werden. Das Modell funktioniert wie bei Netflix: Die Abonnent:innen zahlen monatlich einen Fixbetrag und dürfen dafür aus Dutzenden Spielen auswählen, die man dann auf dem PC oder der Xbox, der von Microsoft hergestellten Konsole, spielen kann. Je mehr Titel dem Unternehmen gehören, desto attraktiver ist ein solcher Dienst. Sollte er irgendwann eine kritische Schwelle erreichen, könnte das den ganzen Markt umkrempeln.

Genau diese Befürchtung gehe momentan in der Industrie um, sagt Weber: «Sollte Microsoft irgendwann einen gewissen Teil des Marktes kontrollieren, könnten sie Spieler praktisch zu sich zwingen, wenn diese nicht auf viele Games verzichten wollen.» Umgekehrt wären dann aber auch Entwickler:innen dazu genötigt, den Weg über Microsoft zu gehen, um die Kundschaft zu erreichen. Im schlimmsten Fall liefe dies auf dasselbe hinaus, was die Musikindustrie mit Spotify erlebt hat: Produzent:innen sind faktisch darauf angewiesen, ihr Geschäft über die Plattform abzuwickeln, die Milliarden damit macht, während die eigentlichen Hersteller:innen nur noch einen Bruchteil früherer Umsätze erwirtschaften. «Das könnte für Urban Games also bedeuten, dass unser sehr altmodisches Geschäftsmodell – wir verkaufen einfach die Spiele mit allem inklusive – eines Tages nicht mehr funktioniert. Es könnte zwar auch sein, dass wir von einer solchen Entwicklung sogar profitieren, aber sie würde unser derzeitiges Geschäftsmodell aushebeln», sagt Weber.

Die Krux mit den Publishern

Um die Macht grosser Plattformen weiss auch Philomena Schwab, die 2016 gemeinsam mit Micha Stettler das Zürcher Gamestudio Stray Fawn gegründet hat. «Unser Hauptfokus ist die Entwicklung von PC-Spielen, weshalb wir Steam ziemlich ausgeliefert sind», sagt Schwab. Bis vor zwei Jahren habe das Studio fast alle Einnahmen über diese Spieleplattform erwirtschaftet, die im PC-Games-Bereich praktisch Monopolstatus geniesst. «Wenn Steam irgendetwas am Algorithmus ändert, was sie dort immer wieder gerne und unangekündigt tun, kann das von einem Tag auf den anderen einen Sales-Einbruch von fünfzig Prozent für uns bedeuten», sagt die Gamedesignerin.

Schwab gilt als Aushängeschild der Schweizer Indiegamesbranche, ihr Studio wurde mit «Niche» bekannt, einem «genetischen Überlebensspiel», in dem es darum geht, einer Fabeltierpopulation durch geschickte Fortpflanzungsstrategien das Überleben zu sichern. Die Spielmechanik bildet wissenschaftliche Prozesse aus der Genetik ab, bietet also nebst Unterhaltung auch einen pädagogischen Mehrwert. «Wenn du mich ein Projekt leiten lässt, dann bekommst du ein Biologiespiel», sagt Schwab, die sich nach der Matura trotz ihres Faibles für Naturwissenschaften für den Studiengang Game Design an der Zürcher Hochschule der Künste entschied.

Auch im neuen Spiel des Studios, «The Wandering Village», das diesen Sommer erscheinen soll, werden Fragen der Biologie verhandelt. Anders als in «Niche» geht es jetzt aber um eine ganze Zivilisation, die auf dem Rücken eines riesigen dinosaurierähnlichen Tieres namens Onbu lebt, das sich langsam durch eine postapokalyptische Welt bewegt. Will man eine Zivilisation am Leben erhalten, muss man darauf achten, diese nachhaltig und im Einklang mit den Bedürfnissen des Onbu zu entwickeln. «Ich hätte kein Problem damit, auch mal ein reines Unterhaltungsspiel zu machen», sagt Schwab. Sie finde einfach wissenschaftliche Prinzipien inspirierend, die sie in interessante Spielmechaniken zu übersetzen versuche, auch wenn man aufpassen müsse, dass die Vermittlung von Inhalten nicht zum Hauptzweck eines Spiels werde.

So gross der weltweite Markt für Games auch sein mag: Die Chance für ein einzelnes Indieprojekt, erfolgreich zu sein, schätzt Schwab auf etwa fünf Prozent. Zudem beginne man als kleines Studio bei jedem neuen Spiel wieder fast bei null, weil es sofort alle finanziellen Reserven verschlinge. Viele gehen daher Verträge mit internationalen Publishern ein, die ein Projekt finanzieren und sich um das Marketing kümmern, das in der unübersichtlichen Branche entscheidend sein kann. Doch das System hat auch Nachteile. Die ganz grossen Publisher sind bei vielen Spieler:innen geradezu verhasst, weil für sie in erster Linie die Rendite zählt: Electronic Arts beispielsweise, das etwa die jährlich neu aufgelegten, aber stets nur minimal verbesserten Sportsimulationen «Fifa» und «Madden NFL» produziert, wurde 2012 und 2013 von Verbraucher:innen zum «schlechtesten Unternehmen der USA» gewählt.

Obwohl Stray Fawn für «The Wandering Village» rund hundert Angebote von kleinen und auch grossen Publishern erhalten hat, entschied sich das Zürcher Studio, das Spiel erneut selbst und mittels Crowdfunding zu finanzieren. «Wir wollen nicht in diesen Publisher-Zyklus geraten», sagt Schwab. Bei einer Zusammenarbeit mit einem finanzstarken Partner würde ein Spiel zwar vorfinanziert, die Hälfte der Einnahmen würde später aber gleich wieder eingezogen. Geld für die Entwicklung eines neuen Projekts würde dann fehlen – und der Kreislauf beginne von vorne. Ausserdem bekämen sie bei Stray Fawn die Vermarktung auch selbst gut hin, sagt Schwab: Momentan lägen sie mit «The Wandering Village» bei Steam auf dem 31. Rang der meisterwarteten neuen Spiele – in unmittelbarer Nachbarschaft von Games deutlich grösserer Hersteller. «Es sieht so aus, als könnte das unser erfolgreichstes Spiel überhaupt werden», sagt sie.

Trotzdem betont Schwab die Schwierigkeiten, mit denen unabhängige Studios in der Schweiz zu kämpfen haben. Das gilt gerade für die vergangenen zwei Jahre, als während der Pandemie grosse Unternehmen zwar starke Umsatzzuwächse verzeichneten, kleine Indie-Entwickler:innen aber in Existenznöte gerieten, weil Messen ausfielen und es so noch schwieriger wurde, Sichtbarkeit für das eigene Spiel zu schaffen und Investor:innen zu gewinnen. Deswegen wandten sich Schweizer Entwickler:innen vergangenen Sommer auch in einem offenen Brief an den Bundesrat, um mehr öffentliche Unterstützung zu fordern.

Während es nämlich in Deutschland ein System mit staatlichen Produktionsdarlehen gebe, durch die sich das Risiko minimieren lasse, trage man dieses in der Schweiz vollständig selber, sagt Philomena Schwab. Stray Fawn kam zwar gut durch die Pandemie, aber auch Schwab hat den offenen Brief vor ein paar Monaten unterzeichnet, genauso wie Basil Weber, obwohl ein Unternehmen wie Urban Games von einer besseren kulturellen Förderung der hiesigen Szene allenfalls indirekt profitierte. Schwab sagt: «Wir haben alle Einnahmen aus unserem zweiten Spiel in das dritte investiert. Wenn das jetzt floppt, haben wir ein grosses Problem.» Man müsste dann schnell eine neue Projektskizze entwickeln und einen Publisher finden – oder eben Unternehmensanteile verkaufen. Auch könnte Stray Fawn dann weniger zur Weiterentwicklung der lokalen Szene beitragen: Aktuell finanziert die Firma den «Swiss Game Hub» mit, einen Co-Working-Space für Gamedesigner:innen in Zürich.

In der Öffentlichkeit scheint die kulturelle und wirtschaftliche Bedeutung von Computerspielen jedenfalls noch nicht so richtig angekommen zu sein. Das zeigt sich etwa darin, dass der Schweizer Markt selbst für hiesige Entwickler:innen kaum relevant ist, was auch an dessen bescheidener Grösse liegen mag – aber nicht nur. Medial werden Videospiele noch immer als Nischenthema verhandelt und selten als kulturelle Erzeugnisse im Feuilleton besprochen.

Ausserdem werde es Schweizer Gamedesigner:innen finanziell schwer gemacht, kulturell herausragende Spiele zu produzieren, sagt Schwab. Ein künstlerisch hoch originelles Werk wie «Mundaun» (siehe WOZ Nr. 13/21), das der Entwickler Michel Ziegler in Eigenregie und unter grossem persönlichem finanziellem Risiko kreierte, ist momentan eher die Ausnahme. Pro Helvetia unterstützt seit einigen Jahren auch interaktive Medien; wenn man alle drei Förderstufen der Stiftung durchläuft, ergibt das eine Maximalsumme von 90 000 Franken. Die Entwicklungskosten für «The Wandering Village» aber liegen derzeit bei rund einer Million Franken. «Die aktuelle Gameförderung von Pro Helvetia ist super, um ein erstes eigenes Projekt zu starten», sagt Schwab. Bei «Niche» hätten die 25 000 Franken, die sie damals bekamen, einen riesigen Unterschied gemacht und es ihnen ermöglicht, sich immerhin einen Stundenlohn von zehn Franken zu zahlen. «Aber eine nachhaltige Förderung ist sie in der jetzigen Form noch nicht», sagt sie.

Altruistisch gamen

Anders als Basil Weber, der sich eindeutig in einer unternehmerischen Rolle sieht, und Indie-Entwicklerin Philomena Schwab legt sich Jonathan Erhardt aus Biel nicht auf ein einzelnes Geschäftsmodell fest. Twin Earth, der Name seines Studios, ist dabei Programm. Veröffentlicht hat er unter diesem Namen zwar noch nichts, aber zwei Titel befinden sich in Arbeit. Da ist einmal «Castle Craft», das die baukastenartige Ästhetik von «Minecraft» mit der Spielmechanik des «Tower Defense» verknüpft. Das bedeutet, dass man sich ähnlich wie bei «Minecraft» eine schöne Burg bauen kann, diese dann allerdings gegen verschiedene Angriffe verteidigen muss. Es ist kein Spiel, das das Rad neu erfindet – sondern einfach eines, das der passionierte Gamer Erhardt selbst gerne spielen würde. Um das sechsstellige Budget zu sichern, gewann Twin Earth die Unterstützung eines grösseren Publishers, sodass die Löhne der fünf Angestellten mindestens bis zum Erscheinungstermin im nächsten Jahr garantiert sind.

Er selbst habe die Nachteile des Publisher-Systems noch nicht erfahren, sagt Erhardt. «Die Publisher machen sich zunutze, dass die Branche insgesamt sehr profitabel ist und sie auch dann noch Gewinn machen, wenn über neunzig Prozent der finanzierten Projekte Fehlschläge sind.» Ohnehin wisse niemand im Voraus, welches Spiel das nächste «Disco Elysium» sein werde – ein unkonventionelles, beinahe literarisches, aber sehr erfolgreiches Rollenspiel aus Estland. Deswegen sei es auch keine schlechte Idee, gleich eine ganze Palette an risikoreichen Games zu finanzieren.

Für einen Spieleentwickler ist Erhardts Werdegang einigermassen untypisch. An sein Jurastudium hängte der Bieler ein Philosophiestudium in Bern und Oxford an, wo er dem Effektiven Altruismus begegnete, was zu einem der Haupttreiber seines jetzigen Schaffens wurde: Grundsatz der philosophisch-sozialen Bewegung ist es, Zeit und Geld optimal dafür zu verwenden, das Leben möglichst vieler möglichst umfassend zu verbessern. Zurück in der Schweiz, verdiente er sein Geld erst einige Jahre als Philosophielehrer, nebenbei entwickelte er das erfolgreiche «Morphies Law», einen grafisch verspielten Multiplayershooter mit origineller Spielmechanik, die die getroffenen Körperpartien beim Gegner schrumpfen, bei der Schützin aber wachsen lässt.

Wie kommt da jetzt aber der Effektive Altruismus ins Spiel? Warum nicht von einem berechenbar hohen Juristen- oder Lehrergehalt komfortabel leben und dabei jeden Monat 2000 Franken an ausgewählte Organisationen spenden? «Bei Games ist der potenzielle Gewinn viel höher», sagt Erhardt. «Mit kleiner Wahrscheinlichkeit kann der Gewinn bei einem sehr erfolgreichen Spiel enorm hoch werden.» Das klinge zwar ein wenig nach Lotterie, aber sie hätten das akribisch durchgerechnet: Am Ende liege da sehr viel mehr drin als bei einem durchschnittlichen Monatslohn.

Es gibt aber noch andere Wege, die Welt zu verbessern, als mit Geld. Genau das versucht Erhardt mit dem Game «Elementary Trolleyology». «Es ist fast absurd, wie perfekt dieses Spiel zu allen meinen verschiedenen Ausbildungen passt», sagt Erhardt. Das Jurastudium helfe ihm beim «allgemein frustrierendsten Teil»: der Firmengründung, der Suche nach Investor:innen und bei Managementfragen. Als Philosoph kenne er sich mit den verschiedenen ethischen Standpunkten aus, die im Spiel verhandelt werden sollen. Und als Pädagoge wisse er, wie diese komplexen Inhalte am besten vermittelt werden könnten.

Im Game, das mit 20 000 Franken von Pro Helvetia unterstützt wird, geht es darum, anhand der berüchtigten «Trolley-Probleme» spielerisch ins Themenfeld der Handlungsethik vorzustossen. Die klassische Fragestellung, ob man einen dicken Mann vor den Zug stossen soll, um fünf Menschen am Ende des Gleises zu retten, ist dabei noch eins der einfacheren Probleme. Bei der Entscheidungsfindung werden die Spieler:innen von humoristisch gezeichneten Vertreter:innen verschiedener philosophischer Schulen beraten, am Ende jedes Levels werden die getroffenen Entscheidungen dann knallhart aufgeschlüsselt.

«Man denkt, dass diese Entscheidungen einfach seien, aber mit solchen Gedankenexperimenten kann man sehr anschaulich demonstrieren, wie komplex die Ethik ist», sagt Erhardt. Und ethisches Bewusstsein sei heute relevanter denn je: «Die Menschheit ist momentan in einer Situation, in der sie von einem emotionalen Apparat aus der Steinzeit und von veralteten Institutionen bestimmt wird, gleichzeitig aber kleine ethische Fehler durch eine exponentiell wachsende Technologie gewaltige Auswirkungen haben können.» Früher hätten solche noch überschaubare Gruppen betroffen, heute habe ein unökologisches Verhalten Auswirkungen auf die gesamte Erde. Gerade jetzt gelte es also, ethische Fortschritte zu machen, ehe es zu spät sei – und im besten Fall könne «Elementary Trolleyology» einen kleinen Beitrag dazu leisten, sagt Erhardt.

Megabusiness Gameindustrie im Vergleich – Globale Einnahmen in Milliarden US-Dollar (grosse Ansicht der Infografik) Grafik: WOZ; Schatztruhe: Alamy; Quellen: Newzoo, Ifpi, MPA; Daten für Musik und Film aus dem Jahr 2021 noch nicht vorhanden.
Basil Weber, Geschäftsführer Urban Games; Philomena Schwab, Mitgründerin Stray Fawn; Jonathan Erhardt, Gründer Twin Earth

Wäre es denn vertretbar, ein Spiel so zu gestalten, dass es maximal süchtig macht, um dann das mittels In-Game-Käufen erwirtschaftete Geld einem guten Zweck zukommen zu lassen? «Ein perfektes Beispiel für ein ethisches Problem», sagt Erhardt lachend. Grundsätzlich könne er dem Trend, in einem Spiel Transaktionen mit realem Geld zu ermöglichen, um so den Umsatz zu vervielfachen, nicht viel abgewinnen. Eins aber soll in «Elementary Trolleyology» möglich sein: Wenn sich jemand durch seine Handlungen im Game in eine ethische Position manövriert, in der es widersprüchlich wäre, eine Spende nicht zu tätigen, soll eine solche per Klick möglich sein. Sie müssten jetzt nur noch einen Weg finden, den Spieler:innen zu garantieren, dass ihr Geld dann auch wirklich einer guten Sache zukomme.

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