Kommentar: Immerhin ein Symbol

Nr. 10 –

Internationale Gerichte ermitteln wegen russischer Kriegsverbrechen in der Ukraine. Doch es fehlt an griffigen Instrumenten.

Kann die internationale Justiz dem Krieg gegen die Ukraine etwas entgegensetzen? Versucht wird es: So hat am Dienstag die deutsche Generalbundesstaatsanwaltschaft angekündigt, wegen möglicher russischer Kriegsverbrechen Ermittlungen aufgenommen zu haben. Das Weltrechtsprinzip, das seine Grundlagen in den Genfer Konventionen hat, macht eine Strafverfolgung bei schweren internationalen Verbrechen möglich – selbst wenn die Täter:innen eine andere Staatsangehörigkeit haben oder die Vergehen im Ausland begangen wurden.

Trotzdem muss der russische Präsident Wladimir Putin die deutschen Ankläger:innen nicht fürchten: Denn erstens gilt für amtierende ausländische Staatschef:innen in Deutschland Immunität; und zweitens zeigen bereits aufgenommene Ermittlungen, wie selten die internationale Strafverfolgung tatsächliche Konsequenzen hat.

So befassen sich zurzeit mehrere Gerichte mit der russischen Invasion in der Ukraine: Der Internationale Gerichtshof (IGH) behandelt den Vorwurf Kiews, dass Moskau einen Völkermord an der ukrainischen Bevölkerung plane. Der IGH kann zwar ein bindendes Urteil gegen einen Staat fällen – nicht aber gegen Einzelpersonen –, doch dem Gericht fehlen Durchsetzungsmöglichkeiten für seine Beschlüsse. Die russischen Vertreter:innen blieben den Anhörungen bisher ohnehin fern.

Auch der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) hat bereits Ermittlungen aufgenommen. Zwar gibt es vor dem IStGH keine Immunität für Staatsoberhäupter, doch weder Russland noch die Ukraine sind dort Mitglied. Selbst wenn Putin angeklagt werden würde, müsste er in einem Staat festgenommen werden, der die Gerichtsbarkeit des IStGH anerkennt.

Derweil hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) Putin dazu aufgefordert, die Angriffe auf zivile Ziele zu stoppen. Doch auch hier gilt: Die Anordnungen des EGMR sind zwar rechtlich bindend, aber es fehlt an Durchsetzungsmechanismen. So hat Moskau bereits mehrfach die Entscheide des Europäischen Gerichtshofs ignoriert, etwa vergangenen Dezember, als der EGMR die Regierung aufforderte, das Verbotsurteil gegen die russische Menschenrechtsorganisation Memorial International auszusetzen.

Fragen zum Kriegsvölkerrecht stellen sich indessen auch bei der belagerten Ukraine – beziehungsweise bei ihrer Strategie, um auf die Schrecken im Land hinzuweisen. So veröffentlichte das ukrainische Innenministerium Fotos und Videos von gefangenen und getöteten russischen Soldaten im Internet. Die Leichen sind auf Telegram, Twitter und Youtube zu sehen – manche der starren Gesichter werden in Nahaufnahme gezeigt. Auf anderen Videos sind russische Gefangene zu sehen, wie sie zitternd von ukrainischen Männern vernommen werden. Die Echtheit der Bilder lässt sich nicht endgültig prüfen, und solche Strategien mögen gegenüber dem gewaltsamen Vorgehen der russischen Streitkräfte verhältnismässig harmlos erscheinen. Dennoch besagen die Genfer Konventionen, dass Kriegsgefangene vor «öffentlicher Neugier» geschützt werden sollen und Gefangene «unter allen Umständen Anspruch auf Achtung ihrer Person und ihrer Ehre» haben.

Offen bleibt zudem, wie der Aufruf des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selenski an die männlichen Bürger, das Land zu verteidigen, juristisch bewertet wird. Denn das Kriegsvölkerrecht unterscheidet zwischen Zivilist:innen und Kombattant:innen. Sollte der IStGH Moskau also vorwerfen, völkerrechtswidrige Angriffe auf Zivilist:innen bewusst befohlen zu haben, könnte die russische Regierung wiederum damit argumentieren, dass ukrainische Zivilist:innen russische Soldaten angegriffen hätten.

Fest steht: Die Ermittlungen der internationalen Gerichte gegen die russische Invasion in der Ukraine sind trotz allem wichtig – wenn sie auch in erster Linie Symbolcharakter haben. Um mutmassliche Kriegsverbrechen wie jene des Putin-Regimes zu bestrafen, bedarf es zudem weiterer griffiger Instrumente. Eine Möglichkeit wäre die Einrichtung eines eigenen internationalen Straftribunals.