Erwachet!: Putins Furcht

Nr. 11 –

Michelle Steinbeck über Frauen im Krieg

Die ukrainische Autorin Tanja Maljartschuk schrieb kürzlich im «St. Galler Tagblatt» über Frauen im Krieg. Sie berichtet etwa von Dascha Astafjewa, Model und Sängerin und ehemaliges Playmate, die zurzeit für die ukrainischen Streitkräfte kocht und sich in einem Video an russische Frauen wendet. Sie sollen ihre Söhne, Brüder und Ehemänner aus der Ukraine zurückrufen und ihnen klarmachen, dass sie keine Friedensstifter seien, wie Wladimir Putins Propaganda behauptet.

Laut dem Komitee der Soldatenmütter Russlands sind die Soldaten jedoch nicht erreichbar. Die Telefone seien ihnen abgenommen worden, bevor sie in den Krieg, der in Russland nicht als solcher benannt werden darf, geschickt wurden. Die Menschenrechtsorganisation werde seither überflutet mit Anfragen von Angehörigen, die wissen wollten, wo ihre Männer seien. Wie schon 2014 seien viele junge Wehrpflichtige mit unlauteren Methoden eingezogen worden; wie damals hiess es etwa, sie sollten an einer «Übung» teilnehmen. Zu sogenannten Zeitsoldaten seien sie dann unter Druck oder gar Zwang geworden.

Die Soldatenmütter versuchen seit ihrer Gründung 1989, Krieg «mit anderen Methoden» entgegenzuwirken, so Walentina Melnikowa vom Komitee vor über zwanzig Jahren in einem Interview. Es gelte etwa, Einfluss auf Eltern auszuüben, die ihre Kinder zur Armee schicken (wollen). Bereits in den Tschetschenienkriegen und den Kämpfen in der Ostukraine ab 2014 brachte die Menschenrechtsorganisation, die 1996 mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet worden war, Informationen über russische Gefallene, die der Kreml zu verheimlichen versuchte, an die Öffentlichkeit.

«Putin fürchtet die Soldatenmütter», titelt denn auch die «taz». Susanne Schattenberg, Direktorin der Forschungsstelle Osteuropa, zählt im Interview drei Szenarien auf, wie der Krieg gegen die Ukraine enden könnte. Einen Weg sieht sie in der Möglichkeit, dass Putin sich von russischen Frauen um eine Beendigung der «Operation» zugunsten ihrer Söhne bitten lässt. So könnte der «Schreckliche» laut Schattenberg sein Gesicht mit einer inszenierten Wandlung zum «Weisen» wahren.

Tatsächlich hat sich Putin bereits an die russischen Mütter gewandt – am Internationalen Frauentag behauptete er, dass keine Wehrpflichtigen in die Ukraine geschickt würden. Ob das die Sorge der Angehörigen besänftigt, ist zu bezweifeln: Auf den Bildern von russischen Kriegsgefangenen, die die Ukraine publiziert, erkennen viele ihre Söhne.

Von der ukrainischen Dramatikerin Natalija Woroschbyt erschien 2016 die deutsche Übersetzung ihres auf Russisch verfassten Theaterstücks «Sascha, bring den Müll raus». Darin ist Sascha ein Oberst der ukrainischen Armee, der vor kurzem im Badezimmer seiner Wohnung an einem Herzschlag gestorben ist. Saschas Geist schaut seiner Frau Katja und Stieftochter Oksana zu, wie sie sich um seine Beerdigung kümmern, später sein Grab pflegen und sich schliesslich, im September 2014, in Kiew auf ein Leben im Krieg vorbereiten.

Währenddessen rückt ihnen der Geist von Sascha auf die Pelle: Wegen des Krieges könne er «nicht ruhig daliegen» – er will zurückkommen, um zu kämpfen. Dafür brauche er aber «das prinzipielle Einverständnis der lebenden Verwandten». Die Frauen weigern sich: «Ich bin dagegen. Ehrlich.» – «Warum?» – «Na … Ich will nicht, dass sie dich umbringen.»

Michelle Steinbeck ist Autorin.