Emmanuel Macron: Türöffner für die Rechtsradikalen
Als Jean-Marie Le Pen bei der Präsidentschaftswahl 2002 in den zweiten Wahlgang einzog, blieb er gegen den Gaullisten Jacques Chirac chancenlos. Nachdem auf den Strassen von Paris fast eine Million Menschen zur «republikanischen Front» gegen den rechtsradikalen Le Pen aufgerufen hatten, kam dieser nur auf 18 Prozent der Stimmen. Zwanzig Jahre später hat Tochter Marine am Sonntag 41,5 Prozent geholt – die Französ:innen stimmten in grosser Zahl für die radikale Rechte. Für den Faschismus.
Daran ist Macron nicht alleine schuld. Aber wie kein Zweiter steht er für eine Politik, die die radikale Rechte befeuert. Weltweit.
Der Kern dieser Politik liegt in der Verschmelzung der sozialdemokratischen Linken mit der bürgerlichen Rechten zu einem «dritten Weg», wie sie bereits unter François Mitterrand einsetzte: Nur kurz nachdem der Sozialist 1981 mit grossen Versprechen zum Präsidenten gewählt worden war, übernahm er mit seiner «Kehrtwende zur Disziplin» die Wirtschaftspolitik der Rechten. In fünf Jahren sprang der Wähler:innenanteil des Front National von 0 auf 10 Prozent, 1988 schaffte es Le Pen in der Präsidentschaftswahl gar auf 14 Prozent. Die Punkband Bérurier Noir schrieb dazu eine Protesthymne, in der sie Le Pen wissen liess, dass «die Jugend auf den Front National scheisst».
Jeder Politik erwächst eine gesellschaftliche Opposition. Wenn links das Angebot verblasst, entlädt sie sich rechts aussen: Indem die Partei der Le Pens auf Grosskonzerne schimpft, den (angeblich wahren) Französ:innen Arbeit verspricht und die Schuld für soziale Misere den Nachkommen der aus Frankreichs einstigen Kolonien Eingewanderten in die Schuhe schiebt, holt sie auch ärmere Wähler:innen ab, die von der Linken enttäuscht wurden.
Macron versucht, die Verschmelzung der Linken mit der bürgerlichen Rechten in einer einzigen Partei zu vollenden: Nach der globalen Finanzkrise 2008 hatte es mit François Hollande erneut ein Sozialist mit grossen sozialen Versprechen in den Präsidentenpalast geschafft. Macron überzeugte diesen als dessen Wirtschaftsberater und später als Wirtschaftsminister jedoch vom Gegenteil. Als Hollandes Umfragewerte einbrachen und der Parti socialiste auseinanderzufallen begann, gründete Macron seine eigene Partei, in der er Sozialistinnen wie Gaullisten vereinte – um sich als Le Pens grossen, republikanischen Gegenspieler aufzubauen.
Statt sich mit Jean-Luc Mélenchon, dem Hauptkandidaten der zersplitterten Linken, über die soziale Frage zu streiten, inszenierte sich Macron auch diesmal lieber als «weder linke noch rechte» Brandmauer gegen Le Pen. So öffnete er ihr schon wieder die Tür zum zweiten Wahlgang. Seine Rechnung ging noch einmal auf: Gegen Le Pen und ihre (umgetaufte) Partei Rassemblement National (RN) hat ihn eine Mehrheit erneut zum Präsidenten gewählt. Aber die rechte Politberaterin Emmanuelle Mignon hat recht: «Wenn man den Franzosen immer wieder sagt, entweder ich oder der RN, werden wir irgendwann den RN haben.»
Seine Mehrheit nutzt Macron für eine knallharte Wirtschaftsagenda, mit der er dem RN zusätzlich Auftrieb verleiht: Insbesondere hat er die Steuern für Konzerne und Reiche gesenkt sowie den Arbeitsmarkt dereguliert. Macron lobt sich dafür, die Arbeitslosigkeit von 10 auf 7 Prozent gesenkt zu haben. Abgesehen davon, dass die wirtschaftliche Erholung die Arbeitslosigkeit in ganz Europa zum Fallen gebracht hat, sind vor allem prekäre Arbeitsplätze entstanden: Entsprechend ist die Armutsquote laut Frankreichs Statistikamt auch unter Macrons Regierung weiter gestiegen. Sie liegt heute bei 15 Prozent.
Macrons Wirtschaftskurs hat Le Pen diesmal beinahe zum Sieg verholfen. 2002 nahmen Linke Chirac in Kauf, um den Faschismus zu verhindern. Am Sonntag nun nahmen nicht wenige linke Wähler:innen den Faschismus in Kauf, um den Neoliberalismus zu verhindern.
Man kann das weiterhin abstreiten. Irgendwann wird es jedoch zu spät sein.