Linke in Frankreich: Die Volksfront zerfällt
Machtpolitische Interessen und Streitigkeiten zwischen La France insoumise und dem Parti Socialiste treiben das Bündnis der französischen Linksparteien in den Zusammenbruch. Profitieren könnte die extreme Rechte.
Die Szene ist erst drei Wochen her: Bei einem gemeinsamen Auftritt Ende Januar war Frankreichs Linke noch darum bemüht, Zusammenhalt zu demonstrieren. Seite an Seite liessen sich Vertreter:innen der unterschiedlichen Parteien bei einem Neujahrsapéro in der Pariser Vorstadt Pantin ablichten. Die mehrheitlich erklärte Absicht: eine gemeinsame Kandidatur bei der Präsidentschaftswahl 2027.
Tatsächlich aber sind die Chancen des Projekts in den vergangenen Wochen stark gesunken. Seit längerem steigen die Spannungen innerhalb der Allianz von Sozialist:innen, Grünen, Kommunist:innen und der Protestpartei La France insoumise (LFI). Nun scheint das Bündnis vollkommen am Ende zu sein.
Der Grund dafür sind Streitigkeiten zwischen den zwei stärksten Parteien, LFI und Parti socialiste (PS). Dabei geht es um den Umgang mit der mittlerweile dritten Regierung Frankreichs in nur einem Jahr. Seit Präsident Emmanuel Macron im vergangenen Sommer das Parlament aufgelöst und Neuwahlen ausgerufen hat, aus denen kein Lager mit absoluter Mehrheit hervorging, herrscht politische Instabilität. Dabei hatten sich die linken Parteien anfangs noch grosse Hoffnungen gemacht, war es ihnen doch gelungen, mit ihrem eilends gezimmerten Wahlbündnis Nouveau Front populaire (NFP) bei der Parlamentswahl die meisten Stimmen zu erzielen – und einen Triumph von Marine Le Pens rechtsnationalistischem Rassemblement National (RN) zu verhindern.
Doch schnell folgte Ernüchterung. Erst weigerte sich Macron, den NFP mit der Regierungsbildung zu beauftragen, und machte im Herbst den Konservativen Michel Barnier zum Premierminister. Dessen Minderheitsregierung konnten die linken Parteien im Dezember noch durch ein Misstrauensvotum stürzen, dem auch das Rassemblement National zustimmte. Aber beim Versuch, auch die Absetzung des neuen Regierungschefs François Bayrou zu erwirken, als dieser den Haushalt ohne Abstimmung durchs Parlament brachte, scherten die Sozialist:innen aus. Sie unterstützten keinen der Misstrauensanträge, die LFI gegen den Zentristen Bayrou einbrachte. Es gelte eine Lähmung des Landes zu verhindern, argumentierte die ehemals staatstragende Partei – und hob Zugeständnisse hervor, die sie dem Regierungschef im Gegenzug hatte abringen können, darunter neue Verhandlungen über die unpopuläre Rentenreform.
Strategische Differenzen
Zwar wäre ein Sturz Bayrous ohne die Stimmen des RN, der sich ebenfalls zurückhielt, ohnehin nicht möglich gewesen. Doch LFI beklagte «Verrat» und verkündete das Ende der «toxischen Allianz» mit den Sozialist:innen: «Der Nouveau Front populaire hat ein Mitglied weniger», erklärte LFI-Gründer Jean-Luc Mélenchon. Eine von seiner Partei verbreitete Fotomontage stellte den Vorsitzenden des PS, Olivier Faure, gar auf eine Stufe mit der Rechtsnationalistin Marine Le Pen. Dass die Sozialist:innen diese Woche selbst einen Misstrauensantrag einbrachten, mit dem sie gegen Bayrous polemische Aussagen (er sprach von «migrantischer Überflutung») in der Migrationsdebatte protestierten, änderte für LFI wenig. (Das Abstimmungsergebnis dazu war bei Redaktionsschluss noch nicht bekannt. Da das RN aber angekündigt hatte, nicht zuzustimmen, gilt der Antrag als aussichtslos.)
Frankreichs linke Zivilgesellschaft sieht die Entwicklung mit Sorge: «Es herrschen Angst, Niedergeschlagenheit, Verzweiflung», sagt Youlie Yamamoto am Telefon. Die Vierzigjährige ist Sprecherin des globalisierungskritischen Vereins Attac. Im Sommer hatte sich Attac an der Seite des NFP engagiert und erstmals in seiner Geschichte eine politische Kampagne unterstützt. Nun, so fürchtet Yamamoto, könnte ein wesentlicher Zweck des Bündnisses aus dem Fokus geraten: «den RN und das rechtsextreme Gedankengut, das sich in Frankreich ausbreitet, zurückzudrängen».
Wegen der Zerstrittenheit der Linken und der Schwäche des unpopulären Macron-Lagers ist Marine Le Pen die grosse Profiteurin der letzten Monate. In Umfragen rangiert sie ganz weit vorne. Einzig ein für März ausstehendes Gerichtsurteil wegen möglicher Veruntreuung von EU-Geldern, aufgrund dessen ihr neben einer Haftstrafe fünf Jahre Unwählbarkeit drohen, könnte ihre Ambitionen rasch zunichtemachen. «Die Bedrohung einer rechtsextremen Regierung ist real», sagt Yamamoto.
Was heisst Opposition?
Dass es Zusammenhalt bräuchte, um dieses Szenario zu verhindern, bestreitet unter den linken Parteien kaum jemand. Doch der Konflikt zwischen Sozialist:innen und LFI geht über die aktuellen Streitigkeiten hinaus. Zu grundlegenden strategischen Differenzen gesellen sich machtpolitische Interessen. «Der Nouveau Front populaire wurde nicht vorrangig wegen einer gemeinsamen Doktrin gegründet», sagt der Meinungsforscher Adrien Broche, der kürzlich ein Buch über Frankreichs linke Parteien veröffentlicht hat, «sondern um einen Sieg des RN zu verhindern.»
Zwar konnten sich die Parteien damals auf ein gemeinsames Programm einigen. Doch bei der Frage, wie sich das linke Lager in der Opposition verhalten will, tun sich Gräben auf. Während der PS auf ein moderates Auftreten und zunehmend auf eine Annäherung an das politische Zentrum setzt, fordert LFI einen klaren Bruch und übt sich in Provokation. «Wenn wir den Eindruck erwecken, wir unterstützten den Macronismus, wie das der PS tut, werden wir untergehen», argumentierte Manuel Bompard, Koordinator der Partei, kürzlich gegenüber der Onlinezeitung «Mediapart». Störmanöver in der Nationalversammlung, ständige Rücktrittsforderungen an Macron und äusserst problematische Äusserungen zum Israel-Palästina-Konflikt dürften dazu beigetragen haben, dass sich LFI in den Augen vieler Französ:innen radikalisiert hat. Bemühungen des Macron-Lagers, die Partei auf eine Stufe mit dem RN zu stellen, tun ihr Übriges.
Mélenchons Provokationen
Kaum jemand polarisiert dabei so sehr wie Jean-Luc Mélenchon. Der umstrittene Parteigründer hat bereits drei Präsidentschaftswahlen hinter sich – es gibt wenig Zweifel daran, dass er 2027 erneut antreten will. Eine gemeinsame Kandidatur der Linken müsse auf dem Programm von LFI basieren, machte er deutlich. Seine Anhänger:innen mobilisiert Mélenchon vor allem in den «quartiers populaires», den ärmeren, migrantisch geprägten Vierteln in Frankreichs grossen Städten. Eine Strategie, die im eigenen Lager umstritten ist: Mélenchon überlasse das ländliche Frankreich vollends Marine Le Pen, warf ihm etwa der Abgeordnete François Ruffin vor, der mittlerweile aus der LFI-Partei ausgetreten ist und sich der Fraktion der Grünen angeschlossen hat.
Bei den Sozialist:innen werden unterdessen dem früheren Präsidenten François Hollande, der seit Sommer wieder als Abgeordneter in der Nationalversammlung sitzt, Ambitionen für eine erneute Präsidentschaft nachgesagt – ausgerechnet jenem Mann, den viele für den Abstieg der Linken verantwortlich machen. Während Hollande für einen klaren Bruch mit LFI eintritt, signalisiert der Parteivorsitzende des PS, Olivier Faure, weiterhin Offenheit. Wie sich die Partei letztlich positionieren wird, dürfte vom Ausgang eines Kongresses im Juni abhängen. Dort werden die Mitglieder neu über den Parteivorsitz abstimmen.
Youlie Yamamoto, die Sprecherin von Attac, jedenfalls will ihre Hoffnung auf einen linken Triumph in zwei Jahren noch nicht aufgeben. «Die Wahlen im letzten Sommer haben gezeigt, dass die Linke in Frankreich lebendig ist. Unsere Ideen verfangen», sagt sie. Umso wichtiger sei es deshalb, sich nun zusammenzuraufen.