Verquere Ansichten: Putin-Freunde am Ostermarsch

Nr. 17 –

Die Friedensbewegung muss derzeit viel – auch ungerechtfertigte – Kritik einstecken. Wie konnte es da passieren, dass an ihrer traditionellen Demo in Bern eine Gruppe mitlief, die Kremlpropaganda verbreitet?

Ostermarsch in Bern am 18. April 2022. Foto: Peter Schneider, Keystone

In Bern versammeln sich am 18. April rund tausend Menschen zum traditionellen Ostermarsch, der dieses Jahr wegen des Kriegs gegen die Ukraine so viel Aufmerksamkeit erhält wie lange nicht mehr. Unter den Friedensdemonstrant:innen sind auch einige Frauen und Männer der sogenannten Schweizerischen Friedensbewegung. Sie führen ein Transparent mit: «Verhandlungen statt Sanktionen» steht darauf. Kaum jemand begreift an diesem Tag angesichts der scheinbar harmlosen Parole, wen diese Leute vertreten.*

Die Schweizerische Friedensbewegung ist Mitglied des sogenannten Weltfriedensrats. Die Organisation hat knapp zwei Wochen vor dem von Wladimir Putin befohlenen Einmarsch in die Ukraine ein Statement veröffentlicht, das auch direkt vom Kreml stammen könnte. Titel: «Wir verurteilen die wachsende imperialistische Aggressivität und die Eskalation der Spannungen rund um die Ukraine.» Der Friedensrat gibt der Nato die alleinige Schuld an der russischen Aggression: «Sie schafft einen Gürtel, der auf die Einkreisung der Russischen Föderation abzielt.»

Es folgt die Propagandaerzählung, die Ukraine werde von Nazis regiert: «Seit dem Staatsstreich 2014 in Kiew und der Regierungsübernahme durch reaktionäre und nationalsozialistische Kräfte […] plant und realisiert die Nato ihre weitere Expansion mit dem Ziel der Integration der Ukraine in die grösste Kriegsmaschine, die im Laufe ihrer Geschichte Kriege, Verbrechen und Staatsstreiche begangen hat.» Das Statement des Weltfriedensrats endet mit der Erklärung, er sei «grundsätzlich gegen imperialistische Kriege» und verteidige «die Rechte der Völker und ihre gerechten Anliegen […]».

«Ich unterstütze die Stellungnahme»

In Bern marschiert die Schweizerische Friedensbewegung nicht nur seit jeher mit, sie gehört gar zur Trägerschaft des Ostermarschs. Die Geschichte der in Basel beheimateten Gruppe geht auf das Jahr 1948 zurück. Damals veranstalteten die Sowjets in Paris eine «Weltfriedenskonferenz». Aus ihr erwuchs ein Jahr darauf der Weltfriedensrat, der in der Folge stramm die kommunistische Parteilinie vertrat. Der Rat verurteilte im Kalten Krieg alle «imperialistischen Kriege» und liess gleichzeitig das Vorgehen der Sowjetunion, etwa in Ungarn, der Tschechoslowakei oder in Afghanistan, unkommentiert. 1979 verlieh der Weltfriedensrat Leonid Breschnew, dem sowjetischen Staatsoberhaupt, eine Friedensmedaille.

Die Schweizerische Friedensbewegung gründete sich 1949 – als direkten Ableger des Weltfriedensrats. Bis heute vertritt dieser stramm antiimperialistisches Gedankengut. Und die mit der PdA verbundene Schweizer Vertretung distanziert sich nicht einen Millimeter von der Russlandtreue und dem Blockdenken der Mutterorganisation. Auf die Frage, wie sie zum Krieg gegen die Ukraine stehe, schreibt Vorstandsmitglied Franziska Genitsch-Hofer, die zu einem Gespräch nicht bereit ist: «Ich unterstütze die Stellungnahme des Weltfriedensrats.» In einer weiteren SMS schreibt sie: «[…] In jedem Konflikt sollte man beide Seiten anhören, das lernen die Kinder schon in der Schule. Einseitige Verurteilung ohne Kenntnisse der Vorgeschichte ist kurzsichtig und nicht lösungsorientiert […].»

Seit Beginn von Putins gnadenlosem Angriffskrieg müssen Wahrheiten und Fakten noch härter verteidigt werden. Auf der einen Seite haben sich rechte Aufrüstungsfetischisten und Geostrategen in Stellung gebracht. Sie instrumentalisieren den Krieg als Beweis dafür, dass «woke Linke» einfach zu weich seien für die harten weltpolitischen Realitäten. Auf der anderen Seite: eine Linke, die angesichts der neuen Weltlage taumelt, zwischen Nato-Ausbau und Putin-Versteherei. Und mittendrin: die Friedensbewegung.

Die bürgerliche Presse schreibt derzeit genüsslich über deren Konflikte und bauscht die Frage nach den Waffenlieferungen an die Ukraine auf. Zwar gibt es etwa in der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) tatsächlich unterschiedliche Haltungen dazu, ob der Westen der Ukraine Waffen liefern soll oder nicht. Die radikal pazifistische Fraktion ist dagegen. Der langjährige GSoA-Aktivist und grüne Politiker Jo Lang hingegen zählt sich zu den «pragmatischen Pazifisten», die Waffenlieferungen derzeit für nötig halten. «An der letzten Mitgliederversammlung waren die beiden Meinungen ähnlich stark vertreten. Doch habe man auf eine Abstimmung dazu verzichtet. «Weil sich für die Schweiz die Frage realpolitisch gar nicht stellt. Was Schweizer Waffenexporte betrifft, sind alle klar dagegen.»

Nicht auf dem Schirm

Wie aber erklärt sich, dass die Friedensbewegung Kremlpropaganda toleriert? Traditionell ist sie divers aufgestellt; die Trägerschaft des Berner Ostermarsches besteht aus etwa vierzig Organisationen. Neben der GSoA und den Landeskirchen sind verschiedene NGOs und Asylorganisationen vertreten sowie etwa die feministische Friedensorganisation CFD oder der Verein Demokratischer Juristinnen und Juristen der Schweiz. Das Organisationskomitee hingegen setzt sich nur aus Vertreter:innen von fünf Gruppierungen zusammen.

Jonas Heeb, der die GSoA im Organisationskomitee mit vertrat, führt die Duldung der Putin-Freund:innen darauf zurück, dass «wir im Vorfeld der Demonstration schlicht nicht genug berücksichtigt haben, wer alles auf der Liste der Trägerschaft steht». Pandemiebedingt konnte der Ostermarsch in den letzten zwei Jahren nicht stattfinden. Das Komitee, das sich zudem immer anders zusammensetze, habe also vieles wieder neu auf die Beine stellen müssen, sagt Heeb. «Und dann brach der Krieg aus, und wir waren komplett mit Umdisponieren beschäftigt.»

Auch Jo Lang, der nicht für die Organisation verantwortlich ist, sagt, man habe die Schweizerische Friedensbewegung schlicht nicht auf dem Schirm gehabt.**

Die russische Invasion in die Ukraine wirft ein Schlaglicht auf die antiimperialistischen Abgründe von kleinen Teilen der Friedensbewegung. Journalist:innen haben die Veranstalter:innen schon etwa eine Woche vor dem Ostermarsch mit relativierenden Äusserungen der Schweizerischen Friedensbewegung konfrontiert. Da lautete die Stellungnahme von OK-Mitglied Vanessa Bieri von der GSoA, man müsse gewisse Differenzen aushalten: «Für uns kommt es nicht infrage, eine Organisation auszuschliessen.»

Ausschluss angekündigt

Heute sagen verschiedene Gesprächspartner: Man habe auch einfach nicht mehr die Zeit gehabt, zu reagieren. Das nicht durch die Gruppierung gekennzeichnete Schild zum Russlandkrieg, mit dem die Basler:innen schliesslich an der Demo aufliefen, verstiess gegen die offizielle Haltung des Ostermarschs, der sich klar von Russland distanziert und für Sanktionen gegen das Regime einsteht. Während des Marschs kam es deshalb zu einem Disput mit dem Demoschutz, der die Träger:innen anwies, sich weiter hinten einzureihen, worauf sich diese beschwerten, man wolle ihre Meinungsfreiheit einschränken.

Jo Lang sagt, er habe, als er die Gruppe mit dem besagten Transparent am Ende des Marschs auf dem Münsterplatz entdeckte, realisiert, um wen es sich handeln müsse, und sofort ihren Ausschluss gefordert: «weil sie sich nicht an die Vorgaben gehalten hat und wegen ihrer politischen Haltung». Da sei ihm aber noch nicht klar gewesen, dass die Gruppe so extrem sei. «Dass sich der aktuelle Vorstand nicht einmal von einer Stellungnahme distanziert, die Ukrainer als Nazis bezeichnet, erfahre ich jetzt von Ihnen. Ich bin entsetzt, das ist eine Position jenseits von Frieden und Demokratie.»

Auch Heeb sagt, er sei sich der Dimension nicht bewusst gewesen. Da müsse man nun über die Bücher. Beide kündigen an, sie wollten nun auf einen Ausschluss der Gruppe vom Friedensmarsch hinwirken. Dessen OK trifft sich im Mai zu einer ersten Nachbesprechung.

* Korrigendum vom 29. April 2022: In der Printversion sowie in einer alten Onlineversion steht fälschlicherweise, die Schweizerische Friedensbewegung habe auch ein Transparent zu Kuba mitgetragen. Diese gehörte jedoch zu einer anderen Organisation. Weil dieses Transparent auch im Bild zu sehen war, zeigen wir hier eine anderes Foto von der Demonstration.

** Korrigendum vom 4. Mai 2022: In der Printversion sowie in der alten Onlineversion wird ein Gesprächspartner zitiert, wonach die PDA Sektion Bern eine Pro-Assad-Demonstration habe organisieren wollen. Diese Aussage stimmt nicht. Die PDA Bern hält fest: «Wir haben stets die äusserst tendenziöse und manipulative Syrien-Berichterstattung der hiesigen Medien kritisiert, die ein Verständnis der komplexen Ursachen und Hintergründe des Krieges in Syrien behindert hat. Aber zu keinem Zeitpunkt war es für die PdA Bern ein Thema, eine Pro-Assad-Demo zu organisieren.»

Gegendarstellung

Im Artikel «Putin-Freunde am Ostermarsch» von Sarah Schmalz ist ein Bild abgedruckt, das ein Transparent mit folgendem Inhalt zeigt: «Gegen ALLE imperialistischen Kriege! Wirtschaftskrieg gegen Cuba sofort beenden!! Cuba vive – Unblock Cuba!»

Im Artikel steht, das Transparent gehöre der «russlandtreuen» Schweizerischen Friedensbewegung. Wir, die wir dieses mitführten, werden so in Titel und Text als «Putin-Freunde» diffamiert. Diese Behauptungen sind falsch. Unsere Gruppe mit diesem Transparent heisst VSC Sektion Region Zürich-Ostschweiz Vilma Espín und ist nicht die Schweizerische Friedensbewegung. Mit dem auf dem Transparent erkennbaren «Unblock Cuba» sind wir klar positioniert. Russlands Krieg gegen die Ukraine verteidigend oder mit Verständnis dafür haben wir uns noch nie geäussert.

G. Honegger, VSC Sektion Region Zürich-Ostschweiz Vilma Espín