Ostermärsche: Das Geld, der Krieg und die Zwischenrufe

Nr. 15 –

An den beiden Ostermärschen in der Schweiz war der Auflauf bescheiden. Aber die Botschaften werden gehört. Ein Augenschein in Heiden und Nachfragen in Bern.

Teilnehmende des Ostermarsch in Heiden
Nicht alle meinen mit «Frieden» das Gleiche: Am Ostermarsch in Heiden.

«Geld für Frieden statt für Kriege» lautete das diesjährige Motto des Berner Ostermarschs. «Zusammenhalt! Frieden und Klima für unser Überleben» dasjenige des Marschs am Bodensee. Dieser fand im appenzell-ausserrhodischen Heiden statt, einem symbolträchtigen Ort für Friedensbewegte. Mitten im Dorf thront auf einer Anhöhe ein prächtiges Haus, ein ehemaliges Spital. Hier hat Henri Dunant, Mitgründer des Internationalen Roten Kreuzes und erster Friedensnobelpreisträger, die letzten Jahrzehnte seines Lebens bis zu seinem Tod im Jahr 1910 verbracht. Seine Anliegen sind so aktuell wie damals, als ihn die Schlacht von Solferino erschütterte. Vor dem Henri-Dunant-Haus steht eine Friedensglocke. Als die Amerikaner 1945 über Nagasaki eine Atombombe abwerfen, 40 000 Menschen töten und die Stadt versehren, bleibt eine der Glocken der Kathedrale beinahe unversehrt. In Nagasaki gilt das 130 Kilogramm schwere Geläut seither als Friedensglocke. Später wurden Kopien angefertigt und als Symbol des Friedens verschenkt. Das Dunant-Museum hat 2010 eine dieser Kopien erhalten.

Buhrufe aus dem Publikum

Am Ostermontag setzen sich an den Bahnstationen von Heiden, Grub und Wolfhalden rund 500 Menschen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz in Bewegung, um zu diesem symbolträchtigen Haus zu wandern. Es sind in die Jahre gekommene Menschen, die dem Aufruf von über hundert Organisationen aus Politik, Kirchen und Zivilgesellschaft gefolgt sind und den Hügel hinaufsteigen. Weiss- und grauhaarige Häupter dominieren das Bild; der Friedensmarsch wirkt wie ein Treffen von Veteran:innen. Etwas Leben in die Veranstaltung kommt erst oben auf dem Hügel, wo das Podium startet, an dem etwa der deutsche Journalist und WOZ-Korrespondent Andreas Zumach sowie die SP-Nationalrätin Barbara Gysi teilnehmen.

Die Veranstaltung neigt sich schon dem Ende zu, auf der Bühne referiert der Basler Politologieprofessor Laurent Goetschel über Neutralität. Diese bedeute eben nicht zwingend, keine Partei zu ergreifen, sagt er. Gerade im Fall der Ukraine, die vor einem Jahr von Russland völkerrechtswidrig überfallen wurde. Da passiert es: Buhrufe aus dem Publikum, einem Deutschen platzt der Kragen. Andere steigen ins Buhkonzert ein. Der bislang höchst gesittete Anlass droht zu eskalieren. Jetzt weist Pius Süess, Mitglied des Organisationskomitees, den Mann zurecht. Das gehe hier nicht. Er könne später mit Laurent Goetschel in Ruhe reden. Der Mann lehnt das Angebot ab, beruhigt sich aber. Seine Nationalität tut eigentlich nichts zur Sache, bloss: In Deutschland wird die Auseinandersetzung darüber, wie sich in der Ukraine möglichst schnell wieder Frieden herstellen liesse, selbst auf Kosten des angegriffenen Landes, heftig geführt.

Die Szene steht sinnbildlich für die innere Zerrissenheit der pazifistischen Bewegung angesichts dieses Krieges mitten in Europa. Ihr Weltbild hat Risse bekommen. Pius Süess, selbst überzeugter Pazifist, hat am Anfang des Ostermarschs am Bahnhof Heiden in einer Rede offenbart, was ihn bewegt: «Ich bin innerlich zerrissen wegen dieses Krieges. Dass wir die Ukraine halt in Gottes Namen unterstützen müssen, bis hin zu Waffenlieferungen, nehme ich zähneknirschend hin.»

Trotz innerer Spannungen und unterschiedlicher Positionen – in der Schweizer Friedensbewegung haben jene, die Putins Angriffskrieg relativieren, kaum Gewicht: Die Splittergruppe «Schweizerische Friedensbewegung», die beim letztjährigen Ostermarsch in Bern mit einem Plakat mit dem Slogan «Verhandlungen statt Sanktionen» auflief, wurde dieses Jahr von den Organisator:innen ausgeladen. Auch ihr Versuch, sich dem Marsch in Heiden anzuschliessen, scheiterte.

Wo ist die Jugend?

Doch stellt sich die Frage, warum die Friedensbewegung nicht mehr Leute mobilisieren kann. Unmittelbar nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 gingen in der Schweiz schliesslich 20 000 Menschen auf die Strasse, und auch am Jahrestag des Krieges waren es Tausende. Aktuell werden laut der Arbeitsgruppe Kriegsursachenforschung der Uni Hamburg auf dem Globus 22 Kriege geführt. Pius Süess wirkt etwas ratlos. «Junge Menschen wären dem Organisationskomitee willkommen», sagt er. Man habe auch versucht zu mobilisieren, etwa Mails an Klimaaktivist:innen verschickt, «aber keine einzige Rückmeldung erhalten».

Am Ostermarsch in Bern versucht das Organisationskomitee, der Überalterung mittels junger Organisator:innen entgegenzuwirken: Im Komitee sitzt etwa Jonas Heeb, der 25-jährige Sekretär der GSoA. Besonders viel Jugend hat der Marsch dennoch nicht angezogen. «Die Mobilisierung ist nicht einfach», sagt Heeb. Junge seien spontaner unterwegs. «Der Ostermarsch ist hingegen ein traditioneller und ritueller Anlass.» Heeb vermutet zudem, dass viele über Ostern weggefahren sind. Nahestehende Organisationen wie die Juso oder die Jungen Grünen träfen sich überdies jeweils am Osterwochenende zu ihren Retraiten. «Das sind politisch bewusste und sehr aktive junge Leute. Womöglich könnten wir sie gewinnen, wenn sie den Ostermontag für unseren Anlass freihielten.»

Linke in der Pflicht

Trotz bescheidenem Aufmarsch – in Bern demonstrierten etwa tausend Menschen – gaben sich die Redner:innen kämpferisch: Magdalena Erni, Kopräsidentin der Jungen Grünen, griff die Schweizer Nationalbank an und kritisierte deren Anlagen von 2 Milliarden Franken in Kriegsmaterialproduktion, davon 1,5 Milliarden in Atomwaffen.

Der erfahrene Friedensaktivist Jo Lang nahm am Berner Ostermarsch die gesamte Linke in die Pflicht. Er forderte eine «massive Kampagne» gegen die Oligarchengelder in der Schweiz und Putins Unternehmensnetzwerk im Land. Der Rohstoffplatz Schweiz und die hier gebunkerten Oligarchengelder, geschätzte 200 Milliarden Franken, seien ein starker Hebel gegen Putins Krieg. In der Schweiz gebe es Tausende Unternehmen, die Putin ganz oder weitgehend kontrolliere. Dazu gehörten Ableger von Gazprom oder Nordstream. «Ohne diese Milliarden aus der Schweiz hätte Putin seinen Krieg schwerlich starten können», sagte Lang am Ostermarsch. «Und ohne diese enormen Mittel könnte er den Krieg, der nun schon über ein Jahr anhält, nicht weiterführen. Deshalb steht die Schweiz gegenüber der stark zerstörten Ukraine in schwerer Schuld.»

Nach der Kundgebung veröffentlichte Jo Lang einen Abschnitt seiner Rede auf Twitter: «Geld für Frieden statt für Krieg. Ich fordere die Schweizer Linke auf, endlich eine gemeinsame und massive Kampagne zu starten, um die Fütterung von Putins Krieg durch Gelder und Güter zu unterbinden.» Der Tweet, sagt Lang, sei auf grosse Resonanz gestossen.