Altersvorsorge: Spielraum für höhere Renten
Den Pensionskassen geht es wieder etwas besser – doch erkauft ist das auf Kosten der Versicherten. Jetzt mahnt die Aufsichtskommission Rentenverbesserungen für besonders betroffene Jahrgänge an.
Vergangene Woche gab es für einmal gute Neuigkeiten aus der Welt der Pensionskassen: Die Oberaufsichtskommission Berufliche Vorsorge (OAK) verwies in einem Bericht auf das sehr gute Anlagejahr 2021. Die Kassen erzielten insgesamt eine Nettorendite von 8 Prozent, davon erhielten die Versicherten eine durchschnittliche Verzinsung ihres Kapitals von rund 3,7 Prozent, doppelt so viel wie im Vorjahr. Der Deckungsgrad der Pensionskassen erreichte mit rund 118 Prozent einen Höchstwert; die Umverteilung von den aktiv Versicherten zu den Rentner:innen tendierte im vergangenen Jahr gegen null.
Diese Werte zeigen: Die Pensionskassen sind kerngesund und verfügen über ausreichend Reserven. Sie haben nicht erst 2021 gute Renditen eingefahren, bereits in den fünf Jahren zuvor erzielten sie eine durchschnittliche Rendite von nahezu 5 Prozent. Wie nutzen sie nun diesen Spielraum?
Umwandlungssätze wieder anheben
Selbst die konservativ agierende OAK fordert: «Die Vorsorgeeinrichtungen sind nun gefragt, für einen Ausgleich zwischen in den letzten Jahren unterschiedlich behandelten Jahrgängen zu sorgen.» Es ist ein Eingeständnis, dass die Renten inzwischen deutlich zu tief sind. Das setzt auch die Politik unter Druck.
Der Schweizerische Gewerkschaftsbund (SGB) reagierte unmittelbar: Der Bericht der OAK zeige, dass die Pensionskassen insgesamt sehr solide aufgestellt seien. «Daher sollen nicht die Versicherten die Finanzmarktrisiken tragen, sondern die Versicherer», sagt Mediensprecher Urban Hodel.
Auf Vorrat beschlossene Senkungen der Umwandlungssätze sollen gestoppt beziehungsweise rückgängig gemacht werden. Der Umwandlungssatz ist jener Prozentsatz, der bei der Pensionierung die Höhe der Rente bestimmt. Wer beispielsweise 300 000 Franken auf seinem Pensionskassenkonto hat und einen Umwandlungssatz von 5 Prozent, erhält eine Jahresrente von 15 000 Franken.
Der SGB fordert höhere Renten oder mindestens einen Teuerungsausgleich für die in den vergangenen zehn Jahren besonders stark von der Tiefzinsphase und der Senkung der Umwandlungssätze betroffenen Jahrgänge – aktuell ab einem Alter von 55 Jahren. «Sonst», sagt Hodel, «droht bei der beruflichen Vorsorge BVG eine verlorene Generation.» Ein Dorn im Auge sind dem Gewerkschaftsbund seit langem gewinnorientierte Versicherer: Hier flössen jedes Jahr Milliarden von den Versicherten zu den Anbietern. Die OAK müsse Transparenz herstellen und die Versicherer stärker in den Fokus nehmen.
Das sieht VPOD-Gewerkschaftssekretär Stefan Giger ähnlich. Er kennt sich in der Welt der Pensionskassen gut aus, ist selbst Mitglied der OAK. Giger verweist auf ein weiteres ungelöstes Problem: Er kritisiert seit langem die überhöhten Risikoprämien, die die Pensionskassenversicherten für Invalidität und Todesfallleistungen bezahlen. Die Versicherungsgesellschaften ziehen daraus jährliche Gewinne von mehr als einer Milliarde Franken: Geld, das den Versicherten fehlt. In der Vorsorgereform von SP-Bundesrat Alain Berset sollten diese Gewinnmöglichkeiten eingeschränkt werden. Das Parlament kippte den Passus aus der Vorlage, die 2017 ohnehin, wenn auch relativ knapp, an der Urne abgelehnt wurde.
Versicherte zahlen die Zeche
Dass die bürgerlichen Parlamentarier:innen die Interessen der Finanz- und der Versicherungsbranche konsequent schützen, dafür gibt es ein aktuelles Beispiel. So wollten der Bundesrat und die Linke das Entschädigungssystem für Versicherungsbroker:innen ändern. Diese sollten künftig allein für ihre Beratungsleistung bezahlt werden und keine Provisionen mehr kassieren dürfen. Aktuell beraten sie Unternehmen, die die Pensionskasse wechseln möchten, und erhalten dafür Provisionen in der Höhe von insgesamt rund 180 Millionen Franken jährlich. Im Frühjahr lehnten National- und Ständerat einen Systemwechsel ab.
Das übergeordnete Ziel im teilweise undurchsichtigen BVG-Geschäft müsse stets sein, dass Vorsorgegelder nicht zweckentfremdet würden, meint Eliane Albisser vom PK-Netz, einer BVG-Plattform für Beschäftigte. «Gewinnabflüsse und Kosten, die die Versicherten mittragen, obwohl dies nicht so vorgesehen ist, müssen dezidiert kritisiert und konkret bekämpft werden.» Es gebe ein zunehmendes Transparenzproblem.
Tatsächlich ist die zweite Säule ein riesiges, ständig wachsendes Business. Dieses privat verwaltete Vermögen ist von 2014 bis 2021 von 800 Milliarden Franken auf mittlerweile 1,22 Billionen angestiegen. Das liegt nicht in erster Linie an tollen Renditen, sondern an der guten Beschäftigungslage: Mehr Personen zahlen ein und lassen dieses Volksvermögen ansteigen.
Nicht alle Pensionskassen wirtschaften dabei gegen die Interessen der Versicherten. Besonders die Betriebspensionskassen machen meist einen guten Job. Probleme gibt es hingegen bei grossen Sammelstiftungen, die inzwischen das Vermögen von über siebzig Prozent der Versicherten verwalten. Anders als die AHV, deren Renten stabil sind und regelmässig an die steigenden Lebenshaltungskosten angepasst werden, sinken die Pensionskassenrenten seit Jahren erheblich. Die Zeche zahlen bislang allein die Versicherten. Die Antwort der bürgerlichen Parteien auf die sinkenden Renten: Rentenaltererhöhung für Frauen und mittelfristig wohl eine generelle Erhöhung des Rentenalters – und weitere Senkung der Renten.