Kost und Logis: Das Nesselspektakel

Nr. 20 –

Bettina Dyttrich über eine sympathische Pflanze mit schlechtem Ruf.

Wenn es um Tiere geht, haben die meisten Leute Sympathien und Antipathien. Viele finden Katzen super und Hunde doof oder umgekehrt, andere schwärmen für Pferde oder Delfine, wieder andere rennen in der Freizeit seltenen Vögeln wie Wiedehopf oder Gartenrotschwanz nach. Aber Sympathien und Antipathien gibt es auch gegenüber Pflanzen. Mir ist zum Beispiel die Zitronenmelisse viel sympathischer als die Pfefferminze, zu der ich ein eher distanziertes Verhältnis habe. Und richtig eng befreundet bin ich mit der Brennnessel.

Obwohl sie einen schlechten Ruf hat: Die Brennnessel ist eine grossartige Pflanze. Schon Pfarrer Kneipp empfahl, sich gegen Rheuma mit Nesseln auszupeitschen. Dass es nützt, ist heute erwiesen, wenn man auch die Wirkung immer noch nicht vollständig versteht. Klar ist: Die Brennflüssigkeit enthält unter anderem Histamin, Acetylcholin und Serotonin – alles Chemikalien, die als Botenstoffe im menschlichen Körper eine wichtige Rolle spielen. Tee aus der Pflanze regt die Verdauung an, wirkt entschlackend und soll gegen Akne und Prostatabeschwerden helfen. Die Brennnessel ernährt Schmetterlingsraupen, und aus ihren Fasern lässt sich Stoff herstellen. Drei Wochen in Wasser eingelegt (ein Kilo Kraut auf zehn Liter), liefert sie einen guten Gartendünger, der täuschend echt nach Gülle stinkt. Er ist so stark, dass man ihn mit neunzig Prozent Wasser verdünnen und nie direkt auf die Pflanze, sondern auf den Boden giessen sollte. Anthroposophische LandwirtInnen stellen aus der Brennnessel eines ihrer gerührten Präparate her und schwören darauf.

Und natürlich: Man kann sie essen. Nicht nur weil sie viel Eisen und Vitamin C enthält, sondern vor allem weil sie gut schmeckt. Zum Beispiel in diesem Suppenrezept aus Bulgarien:

Etwa 250 Gramm Brennnesseln sammeln, gut waschen und grob hacken. Zusammen mit vier gehackten Frühlingszwiebeln, etwas Salz und Paprika in Öl dünsten. Mit Bouillon bedecken, aufkochen und eine halbe Tasse weissen Reis dazugeben. Wenn der Reis gar ist, die Suppe grob pürieren. Mit gehacktem Peterli und Pfeffer würzen. Am Schluss eine halbe Tasse Joghurt und ein Ei vermischen und in die Suppe giessen.

Schön ist die Brennnessel übrigens auch. Geduldigen bietet sie im Frühsommer ein stilles Spektakel:

Einige Brennnesseln während der Blüte pflücken, in eine Vase stellen und morgens beim Frühstück beobachten, am besten im Gegenlicht. Plötzlich scheint an der Blüte etwas zu explodieren, eine feinste Staubwolke bildet sich. Es sind die Pollen der männlichen Blüten, die in die Luft geschleudert werden. Wenn nichts passiert, versuchen Sie es noch einmal mit neuen Pflanzen: Vielleicht haben Sie nur weibliche erwischt.

Bettina Dyttrich ist WOZ-Redaktorin und züchtet Brennnesseln im Garten.