Durch den Monat mit Nicolas Galladé (Teil 1): Wird die «Schützi» ihren Charakter behalten können?

Nr. 22 –

Der Winterthurer Sozialdirektor Nicolas Galladé hat als Fussballfan viele Hochs und Tiefs durchgemacht. Dass sein Verein nach 37 Jahren wieder erstklassig spiele, solle nicht nur für den FC Winterthur, sondern auch für die Super League eine Herausforderung sein, findet der SP-Politiker.

Nicolas Galladé: «Man muss das jetzt einfach mal versuchen. Irgendwie muss Fussball auch anders möglich sein, nicht nur uniform und überall gleich.»

WOZ: Herr Galladé, wo waren Sie am Abend, an dem der FC Winterthur aufstieg?
Nicolas Galladé: Ich war in der Libero-Bar, der Stadionbeiz auf der Schützenwiese. Ein Ort, an dem man nach einem Spiel auch etwas verhöckeln kann. Vielleicht 100 oder 200 Leute waren da.

Leider gibt es in der Super League sonst kaum solche Orte. Also Fussballstadien, die man nicht nur besucht, um Fussball zu schauen, sondern die auch kultureller Treffpunkt sind.
Die Libero-Bar stammt aus einer Zeit, als der Verein ganz am Boden war, vor rund zwanzig Jahren. Damals hatte mit Hannes W. Keller ein neuer Präsident übernommen und dann festgestellt: Es ist ja alles noch viel düsterer als gedacht, wir sind eigentlich pleite. Nach Spielschluss kam jeweils ein Betreibungsbeamter vorbei, um gleich die Matcheinnahmen zu sichern. Nur etwa 500 Leute besuchten zu dieser Zeit die Spiele. Aber es gab doch einige, die an den FCW glaubten.

Gehörten Sie dazu?
Ja, ich war sogar Teil einer Delegation kulturvernetzter Fans, die den Präsidenten trafen, um Gestaltungsmöglichkeiten zu besprechen. Dabei waren auch Andreas Mösli und Michael Sauerland, damals engagiert in der Kollektivbeiz Widder. Wir sagten: Wir hätten da eine Idee, wie man das Matchprogramm neu aufziehen könnte, und wir haben eine Vorstellung, wie sich die Stadionbeiz beleben liesse. So nahmen die Dinge ihren Lauf, Mösli wurde später Geschäftsführer des Vereins, Sauerland der Wirt der Libero-Bar. Dort gibt es nach den Spielen DJs und Livekonzerte. Ein Begegnungsort mitten in der Stadt, eine schöne Sache.

Muss ein Fussballklub also in Trümmern liegen, damit ihm Charakter eingehaucht werden kann?
Na ja, man sollte wohl nicht versuchen, das anderswo genau so zu kopieren, schon gar nicht vorsätzlich. Und man sollte auch nicht in Klischees verfallen. Aber in Winterthur gab es damals halt eine kleine Gruppe, hauptsächlich aus der alternativen Szene, die die Spiele besuchte. Die Vernetzung wuchs langsam; in der Kultur warb man für den FCW, beim FCW für die Kultur.

Wenn man zu denen gehört, die damals den Aufschwung mit angestossen haben: Beansprucht man da auch eine gewisse Hoheit über den Klub und den Vibe im Stadion?
Besser nicht. Ich war eine Zeit lang durchaus nah dran, auch an der Bierkurve. Die hat sich nicht mal bewusst gegründet, das waren anfangs einfach ein Dutzend Leute, die mit einem Bier in der Hand dort standen. Irgendwann, so geht die Legende, hat der damalige FCW-Spieler Renato Brugnoli einen von ihnen auf einem Konzert gesehen und gesagt: Du bist doch einer aus der Bierkurve.

Seither ist alles breiter und grösser geworden, gerade auch mit der Gegentribüne, die vor sieben Jahren eröffnet wurde. Wenn du nun ein ausverkauftes Haus hast, dann kannst du nicht erwarten, dass die alle genau dein Mindset haben. Und es soll nicht ausschliessend sein. Auch SVP-Wähler sind im Stadion willkommen.

Aber könnte nun mit dem Aufstieg nicht besonders viel verloren gehen? «Tüüri Tickets und kei gueti Lüüt me» lauten zwei der vielen Gründe gegen einen Winti-Aufstieg im Lied «Super League» von Arsenal Stefanini.
Ich bin auch etwas zwiegespalten. Man merkt, der durchkommerzialisierte Fussball kommt jetzt näher. Das bringt Ungewissheiten. Aber das ist bei allem Neuen so – und es soll nicht nur ums Bewahren gehen, sondern auch ums Weiterentwickeln von dem, was uns ausmacht.

Allein schon infrastrukturell ist der Auflagenkatalog des Fussballverbands sehr lang. Kann die Schützenwiese ihren Charakter behalten?
Man muss das jetzt einfach mal versuchen. Ich habe Vertrauen in den Verein und glaube, es werden sich Lösungen finden lassen. Hier gibt es seit langem eine Art Zulassungskultur; wenn du eine Idee hast, dann heisst es: Ja, mach doch mal. So entstanden einst der erste Fussballpodcast der Schweiz, die Cüplibar Salon Erika hinter dem Tor, die Sirupkurve für Kinder. Mit dem Aufstieg muten wir uns jetzt etwas zu – und hoffentlich auch der Liga. Irgendwie muss Fussball auch anders möglich sein, nicht nur uniform und überall gleich.

In den Fankurven war man jüngst aber überrascht, als der FC Winterthur wenig aufmüpfig dem neuen Spielmodus zustimmte: Mit Play-off-Spielen werde die Liga künftig noch stärker für ein Fernseheventpublikum kommerzialisiert, so einer der Vorwürfe.
Vielleicht ist es ja kein Zufall, dass mit dem FCZ und YB zwei Topvereine dagegen waren, die zuletzt bereits viele Runden vor Saisonende als Meister feststanden. Für solche Klubs stellen Play-offs wohl eine grössere Unsicherheit dar. Auch ich finde den Modus schräg, aber grundsätzlich sollte man nicht immer allzu konservativ sein. Spielen wir die Geschichte doch einfach mal durch. Ich habe in der Vergangenheit schon viele Spässe erlebt, die dann rasch wieder abgeschafft wurden.

Nicolas Galladé (46) nimmt es Trainer Alex Frei nicht übel, dass er gleich nach dem Aufstieg zum grossen FC Basel wechselte. Man sehe sich nächste Saison ja wieder.