Geflüchtet (5): Über die russische Opposition

Nr. 22 –

Diese Woche gab es zwei beispielhafte Geschichten für mich. Kirill Serebrennikow, russischer Oppositioneller und Regisseur, besuchte die Filmfestspiele in Cannes. Dort sagte er, dass es notwendig sei, Russen und den Familien russischer Soldaten zu helfen. Die Rede hielt er, kurz nachdem die Welt neue Beweise erhalten hatte, dass eben diese Soldaten in der ukrainischen Region Cherson Kinder vergewaltigt hatten, die noch keine drei Jahre alt waren.

Die zweite Geschichte ist mir selber passiert. Ich habe zufällig auf Facebook gesehen, dass mein Stück für Teenager, «Photo Topless», in der russischen Stadt Rjasan gelesen werden sollte und dafür Tickets verkauft wurden. Ich habe der Veranstalterin geschrieben, dass ich dafür keine Erlaubnis gegeben habe. Sie versicherte mir, dass sie dies zur Unterstützung der Ukraine tue und dass «wir ein Volk sind». Später beschuldigte sie mich in einem Post, russische Kinder zu hassen, und schrieb, dass Russland niemals eine Einigung mit der Ukraine erzielen werde. Sie hat die Lesung durchgeführt und das Geld eingesteckt.

Dasselbe passiert jetzt auf globaler Ebene. Russland greift an, tötet Ukrainer:innen, einfach weil wir Ukrainer:innen sind, und sagt gleichzeitig, wir seien Faschisten. Und sogenannte politische Flüchtlinge aus Russland gehen nach Westeuropa. Für mich sind sie überhaupt nicht politisch. Russland hat die Ukraine bereits 2014 angegriffen, Tausende von Menschen getötet und Gebiete erobert, und die Russen sind schon damals nicht aus politischen Gründen aus dem Land geflohen.

Für mich sind die Russen, die jetzt geflüchtet sind, diejenigen, die das Geld dafür hatten und die Wirksamkeit der neuen Sanktionen gespürt haben. Ein gewöhnlicher Russe hat kein Visum für Europa, keinen für Reisen zugelassenen Pass, kein Geld, um all dies zu tun. Europa ist also gezwungen, nicht nur Ukrainer:innen, sondern auch ihre Mörder zu akzeptieren, weil sie das Geld haben, nicht nur für Bomben, sondern auch für ein angenehmes Leben im Ausland.

Jetzt bin ich in München und habe das «Z» genug oft gesehen, das Zeichen der russischen faschistischen Armee, das hier auf die Wände gemalt wird. Und ich frage mich, wer es malt – die Russen, die schon lange hier sind, oder die neuen «guten Oppositionellen»?

Die ukrainische Theaterschaffende Natalia Blok (41) lebt derzeit in Basel. Übersetzt hat den Text die Autorin Julia Gonchar. Die Serie wird vom Verein ProWOZ finanziert.