Wirtschaftselite in Davos: Gegen die Kriegslogik
Es war ein kurzer Moment, der die Lage der Welt zusammenfasste: Als Wolodimir Selenski am Weltwirtschaftsforum (Wef) seine per Video übertragene Rede beendete, erhob sich ein Saal, vollgepackt mit globalen Wirtschaftsführer:innen, um dem ukrainischen Präsidenten für seinen Widerstand gegen den russischen Aggressor Wladimir Putin zu applaudieren.
Die Standing Ovations sind verdient – und der Widerstand gegen Putin ist dringend. Doch im lang anhaltenden Applaus der Davos-Leute steckte mehr: Bis vor kurzem standen sie vonseiten der Medien, NGOs und sozialen Bewegungen jedes Jahr als Ausbeuter und Umweltsünder von neuem am Pranger. Mit ihrem Applaus schienen sie auch bestätigen zu wollen, dass nun Putin an ihrer Stelle dort steht – und sie selber nun auf der Seite des Guten.
Entsprechend ist auch die Selbstkritik am Wef weitgehend verschwunden, die seit Jahren geübt wurde: die Kluft zwischen Multimilliardären und hungernden Menschen, die Übermacht neuer Konzernmonopole, die katastrophalen Folgen der Klimaerhitzung – alles nur noch Randthemen. Natürlich diente das Davoser Kongresshaus bisher damit auch als überdimensionierte Beichtkammer, in der sich CEOs von ihren Sünden reinwuschen, um neue begehen zu können. Doch da war mehr: Die Selbstkritik widerspiegelte auch die Stärke der neuen sozialen Proteste, die nicht mehr so leicht zu ignorieren waren. Darin zeigte sich eine Machtverschiebung hin zur Strasse.
In der aktuellen Kriegslogik geht der Ruf nach einer anderen Welt unter. Nun wird vielmehr diskutiert, wie die alte restauriert werden kann: Lieferketten, Preisstabilität, Wachstum. Die fossilen Ressourcen, die man nun statt beim Diktator in Moskau beim Diktator in Katar sucht – dort sind bei den Vorbereitungen für die Fussball-WM mehrere Tausend Arbeiter:innen gestorben. Als sei die Welt vor dem Krieg noch in bester Ordnung gewesen.
Eine der wenigen kritischen Stimmen am Weltwirtschaftsforum war Mariana Mazzucato, Wirtschaftsprofessorin am University College London. Sie skizzierte an einem Panel mit spitzer Feder die Absurditäten des globalen Wirtschaftssystems: Die Löhne würden tief gehalten; stattdessen stiegen die Konzernprofite, die im Finanzcasino landeten, statt in die Gesundheitsversorgung oder in den Kampf gegen den Klimawandel investiert zu werden. Schlimmer noch: Konzerne eigneten sich öffentliche Forschung wie die RNA-Impftechnologie an, um die Profite zu ernten. Die Gesellschaft müsse bei den Investitionen die Führung übernehmen, fordert Mazzucato in ihrem jüngsten Buch, «Mission Economy». Sympathie erhielt sie dafür vom altgedienten Bloomberg-TV-Moderator Tom Keene, der allerdings festhielt, dass die Davos-Leute kaum in die «Mazzucato-Welt» eintauchen wollten.
Mazzucato geht mit ihren Ideen kaum weit genug, wenn sie etwa Wachstum lobt, ohne dessen Grenzen wirklich zu hinterfragen. Die Ökonomin half jedoch am Wef, die grossen Herausforderungen wie die Ungleichheit und die Klimaerhitzung zurück auf den Tisch zu hieven, die die Davos-Leute mit ihrem Applaus für Selenski wegzuwischen versuchten. Sie durchbrach die Logik des Krieges.
In dieser Logik droht auch vergessen zu gehen, dass die Ungleichheit und der soziale Zerfall der Gesellschaft weltweit zum Aufstieg autoritärer Regierungschefs beigetragen hatten; und dass viele, die im Kongresssaal Selenski applaudierten, selber schwerreiche Magnaten sind, die mit den Orbans, Bolsonaros, Modis und Trumps eng verbandelt sind – und bis vor kurzem gerne in Davos an den Partys russischer Oligarchen neue Geschäfte knüpften.
Russische Dissident:innen waren dagegen am Wef nicht präsent, wie Human-Rights-Watch-Chef Kenneth Roth kritisierte. Dies, obwohl diese sich seit Jahren unter Einsatz ihres Lebens gegen Putin stellen.