Bundesratskrise: Am besten gehen alle
Alles begann mit einem Irrflug. Innenminister Alain Berset in seinem Privatflugzeug wurde von der französischen Luftwaffe zur Landung gezwungen. Rücktrittsforderungen wurden laut. Bald übertrug sich die mediale Aufregung auf die gesamte Regierung. Befindet auch die sich im Irrflug? Bringt nichts mehr auf die Reihe? Ihre Mitglieder befehden sich gegenseitig, sind nur noch auf die Wiederwahl ausgerichtet? Oder ist alles nur ein Sommertheater der vereinigten Tamedia-NZZ-Ringier-CH-Medien, die sich in der Bundespolitik verstärkt an den gleichen Themen abarbeiten – auch ein Ausdruck der Medienkonzentration?
In der Tat ereignet sich in der Schweiz eine Art von Regierungskrise. Eine sehr helvetische allerdings. Ohne Knall und Drama. Bedächtig, langsam, in Zeitlupe. Und mittlerweile doch überall sichtbar.
Bei den grossen thematischen Fragen will nichts mehr gelingen. Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine wirkt der Bundesrat überfordert, ob bei der ausstehenden Suche nach Oligarchengeldern oder der verweigerten Aufnahme von Kriegsverletzten. Auch in der Europapolitik ist kein Plan in Sicht, man übt sich im bürokratischen Vergleich von Gesetzestexten. Von der Energiewende ganz zu schweigen, die trotz klimatischer Extremereignisse nicht mit Nachdruck angegangen wird.
Sicher ist die Orientierungslosigkeit nicht vom Bundesrat allein verursacht. Gerade bei den Oligarchengeldern zeigt sich der ungebrochene Lobbyeinfluss des Finanz- und Rohstoffhandelsplatzes. Aber wenn Krisen etwas erfordern, dann doch dies: ein unabhängiges Denken, ein beherztes Handeln. Davon ist wenig erkennbar.
Zu den thematischen kommen die strukturellen Probleme. Seit Jahrzehnten wird die Welt in der Schweiz von den sieben gleichen Departementen verwaltet, ohne dass für die grossen Themen der Gegenwart wie die Digitalisierung entsprechende Strukturen geschaffen wurden. In Zeiten der Selbstvermarktung implodiert zudem das Konkordanzprinzip: Ein aufgeblähter PR-Apparat bringt die Bundesrät:innen gegeneinander in Stellung. 119 Millionen Franken, berichtete die «NZZ am Sonntag», gibt die Bundesverwaltung mittlerweile jährlich für die Öffentlichkeitsarbeit aus. 119 Millionen! Dieses Geld würde man auch besser in die Medienförderung investieren.
Was also tun, wenn nichts mehr geht? Am besten geht die ganze Regierung. Im vollen Ernst: Ein Rücktritt aller Bundesrät:innen auf die Wahlen im kommenden Jahr hin wäre doch ein Befreiungsschlag.
Ueli Maurer und Simonetta Sommaruga sind schon sehr lange im Amt. Da kommt kaum mehr Neues. Ignazio Cassis mit der EU und Viola Amherd mit den Kampfjets wirken heillos überfordert. Guy Parmelin wird es auch anderswo gemütlich haben. Ein wenig schade wäre es um Alain Berset und Karin Keller-Sutter. Berset bleibt bei allen Eskapaden ein Politprofi, mit Keller-Sutter würden wir seitens der WOZ eine Lieblingsgegnerin verlieren. Aber wir haben schon andere Abgänge verkraftet.
Ein Gesamtrücktritt würde auf jeden Fall die spannendsten Parlamentswahlen aller Zeiten versprechen. Je nach Ergebnis würde danach die Zauberformel neu definiert. Gerade FDP und SP müssten an einem offenen Ausgang des Rennens ein Interesse haben. Die FDP wäre ihren internen Streit zwischen Cassis und Keller-Sutter los. Und SP und Grüne müssten sich nicht länger argwöhnisch beäugen, sondern könnten ein Wahlbündnis schliessen, um sich drei Sitze zu sichern. Gewinnen würde das beste Programm.
Klar dürfte sich die demokratische Erneuerung nicht auf den Bundesrat beschränken. Die Frage, ob ein vierteljährlich tagendes Parlament den Anforderungen noch genügt, stellt sich ebenso. Ein Berufsparlament, ohne Zusatzmandate bei Privatfirmen, könnte den Lobbyismus reduzieren. Auch das sogenannte Stimmvolk müsste sich überlegen, ob es noch richtig zusammengesetzt ist – oder ob das Viertel der ausgeschlossenen Menschen ohne Schweizer Pass nicht endlich mitbestimmen soll.
In unsicheren Zeiten kann sich die Schweiz keine Veränderung leisten? Da braucht es doch erst recht einen produktiven Aufbruch.