Kommentar zu Steuersenkungen für Hauseigentümer:innen: Rechter Realitätsverlust
Die Wirtschaftskommission des Nationalrats schlägt massive Steuersenkungen für Hauseigentümer:innen vor. Ein chancenloses Unterfangen. Und es zeigt: Die Ratsrechte hat sich radikalisiert.
Der Entscheid warf hohe Wellen. Die SP reagierte empört, die Medien verwirrt, und selbst der Hauseigentümerverband (HEV) scheint seither nur noch an eines denken zu können: das Fuder. Nicht dass er all die Steuererleichterungen für Hauseigentümer:innen, die die Wirtschaftskommission des Nationalrats (WAK-N) vorschlägt, grundsätzlich ablehnen würde. Aber ihre Vorlage sei dermassen – wie es der HEV nennt – «angereichert», dass sie politisch chancenlos erscheine. Das Fuder werde überladen, findet der Interessenverband.
Beim besagten Fuder handelt es sich in diesem Fall um ein Gesetz zur Abschaffung des sogenannten Eigenmietwerts. Wer Wohneigentum besitzt, muss dafür fiktive Mieteinnahmen versteuern. Diese Einnahmen belaufen sich auf mindestens sechzig Prozent des Ertrags, den Eigentümer:innen erzielten, wenn sie ihre Immobilie vermieten würden. Dafür dürfen Unterhaltskosten und Hypothekarzinsen von den Steuern abgezogen werden. Letzteres nach geltendem Gesetz im Umfang der Kapitalerträge, die ein Haushalt erzielt, zuzüglich einer Art Pauschale von 50 000 Franken.
Im letzten September sprach sich der Ständerat für eine Abschaffung des Eigenmietwerts aus. Im Gegenzug sollen Unterhaltskosten künftig nicht mehr, Schuldzinsen nur noch im Umfang von siebzig Prozent des Vermögensertrags abzugsfähig sein. Bei Zweitwohnungen soll dagegen auch weiterhin noch ein Eigenmietwert besteuert werden – um die Tourismuskantone zu schonen.
Ironischerweise sollte das Steuersystem damit besser verständlich werden. Das ist ein bürgerliches Märchen. Bei der Abschaffung des Eigenmietwerts geht es vor allem um Erleichterungen für Hauseigentümer:innen. Die Eidgenössische Steuerverwaltung prognostiziert bei einem Zinsniveau von 1,5 Prozent Mindereinnahmen von rund eineinhalb Milliarden Franken pro Jahr, sollte sich der Beschluss des Ständerats durchsetzen. Die Höhe der Steuerausfälle nähme freilich stark ab, wenn das Zinsniveau ansteigt – was es derzeit tut. Bei 3,5 Prozent würde das ständerätliche Modell im Vergleich zum Status quo kostenneutral.
Da geht noch mehr, dachte sich darauf die bürgerliche Mehrheit in der WAK-N. Und machte sich eben daran, die Vorlage «anzureichern». Das Resultat zeugt von einem fast schon besorgniserregenden Realitätsverlust. Die WAK-N fordert ebenfalls die Abschaffung des Eigenmietwerts, allerdings ohne erheblichen Ausgleich. Unterhaltsarbeiten sollen weiterhin von den Steuern abgezogen werden können, Hypothekarzinsen in der Höhe der gesamten Kapitalerträge ebenso. Einzig die Möglichkeit, darüber hinaus noch zusätzliche Schuldzinsen im Umfang von 50 000 Franken abzuziehen, fiele gegenüber heute weg.
Die Steuerverwaltung prognostiziert bei einem Zinsniveau von 1,5 Prozent sagenhafte jährliche Steuerausfälle von vier Milliarden Franken. Und auch bei einem deutlich höheren Zinsniveau von 3,5 Prozent würde die Variante der WAK-N pro Jahr immer noch rund zwei Milliarden Franken kosten. Alles zugunsten von Wohneigentümer:innen.
Der Vorschlag der WAK-N ist aber noch kein Parlamentsbeschluss. Der Nationalrat wird ihn in der Herbstsession beraten. Gut möglich, dass er ihn noch abschwächt. FDP-Kommissionsmitglied Daniela Schneeberger sagte gegenüber der NZZ, beim Vorschlag handle es sich bloss um eine Maximalvariante als Diskussionsgrundlage für den Rat. Auch sie betont, das Fuder grundsätzlich nicht überladen zu wollen.
Dieses ist aber – um bei den schrägen Metaphern zu bleiben – längst vom Karren gefallen. Die Bürgerlichen mögen in der Kommission durchmarschieren können und vielleicht sogar im Nationalrat eine Mehrheit für ihre Steuererleichterung finden. Aber spätestens an der Urne würde die Vorlage wohl versenkt – so wie vor ihr schon die Abschaffung der Stempelsteuer Anfang 2022. Und so wie es wohl auch der Teilabschaffung der Verrechnungssteuer ergeht, über die die Stimmbevölkerung am 25. September befindet.