Abstimmung zum Eigenmietwert: Fiktion Privateigentum

Nr. 40 –

Diesen Artikel hören (4:36)
-15
+15
-15
/
+15

Wohneigentum soll steuerlich noch stärker begünstigt werden, das entschied die Stimmbevölkerung mit fast 58 Prozent Ja-Stimmen zur Abschaffung des Eigenmietwerts vergangenen Sonntag. Prognostiziert sind gegen zwei Milliarden Franken Steuerausfälle. In der Tendenz profitieren Gutsituierte, insbesondere Eigentümer:innen von Neubauten in urbanen Zentren. Ausgleichen werden die wegfallenden Einnahmen im gegenwärtigen Machtgefüge andere, weniger gut Situierte. Bürgerliche Politiker:innen, die seit Jahren die Litanei vom klammen Haushalt runterbeten, blicken deshalb sorgenfrei auf die Ausfälle: Man kann praktisch widerstandslos bei Asyl, Klimaschutz oder Bildung kürzen, fehlende Einnahmen sind eine ideale Legitimation dafür.

Es ist ein grundsätzliches Problem, dass die Stimmbevölkerung kapitalstärker ist als die Gesamtbevölkerung, von der ein Viertel gar nicht abstimmen darf. Dazu kam bei dieser Abstimmung die ungleiche Mobilisierung: Während die linken Parteien auf ein Referendum verzichtet hatten und erst spät aufwachten, um auf das Schadenspotenzial der Vorlage hinzuweisen, kämpften die bürgerlichen Parteien und Verbände, allen voran der Hauseigentümerverband (HEV), mit Kampagnenmillionen und der Verve einer seit Jahrzehnten gehegten Mission. In den Städten mit linkerer Wählerschaft und weniger Eigentümer:innen war die Stimmbeteiligung denn auch tiefer als in ländlichen, konservativen Gemeinden mit hoher Wohneigentumsquote.

Das Bemerkenswerteste war wohl die Tiefe des Röstigrabens. Die tendenziell stärker am Gemeinwesen orientierte, sozialere und klassenbewusstere Romandie lehnte die Abschaffung der Steuer deutlich ab. Diese Diskrepanz zur Deutschschweiz ist auch die Folge der in den Landesteilen unterschiedlich geführten Diskussion zum Eigenmietwert: Wo der Haushalt der öffentlichen Hand im Zentrum stand, fand die Abschaffung der Steuer auch unter Bürgerlichen wenig Zustimmung. In der Deutschschweiz wurde dagegen eine quasi identitätspolitische Debatte geführt, die sich um die vermeintliche Ungerechtigkeit gegenüber den Eigentümer:innen drehte, die diese Abgabe zu entrichten hatten.

Vielleicht lohnt es sich, darüber nachzudenken, auf welchen ideologischen Boden dieses Argument fiel: Die Idee des Privateigentums – obwohl das Privileg nur weniger – ist unbestritten. Die Soziologin Silke von Dyk beschreibt es als «wirkmächtige, rechtlich, institutionell und im Alltag verankerte Fiktion», die auch dort individuellen Verdienst unterstellt, wo die Gemeinschaft beigetragen hat. Privateigentum ist immer Ergebnis eines sozialen Prozesses, zehrt von sozialer Arbeitsteilung – auch Wohneigentum: Kein Haus wird ohne öffentliche Infrastruktur gebaut, keine Mauer ohne die Hände von Arbeiter:innen hochgezogen. Das selbstbewohnte Haus ist zwar eine arglosere Form von Privateigentum, doch ist es ebenso Ausdruck ungleicher Verteilung von Macht und Ressourcen, ebenso Ausdruck für die Ausdifferenzierung der Gesellschaft in Klassen von Eigentümer:innen und Nichteigentümer:innen. Der Eigenmietwert war, berücksichtigt man die finanzielle Belastung, die er für weniger gut situierte Eigentümer:innen bedeuten konnte, vielleicht nicht so ein ideales Steuerinstrument, wie eine Vermögenssteuer es wäre. Aber es war eines, das diese Ausdifferenzierung ein bisschen bremste.

Man kann nun darauf pochen, dass die Steuerausfälle nicht die unteren Klassen treffen. Darauf, dass die Mieter:innen endlich entlastet werden. Im bürgerlichen Kanton Bern wurde beispielsweise gerade die Initiative «Für faire und bezahlbare Mieten dank transparenter Vormiete» angenommen. Man kann argumentieren, dass man besser die noch ungerechtere Form von Privateigentum angreifen sollte, jene nämlich, die Rendite abwirft. Es ist eine wichtige Frage, wem was aus welchen Gründen gehört – und wer dem Gemeinwesen was dafür zurückgibt. Doch das Grundproblem bleibt bestehen: Privateigentum ist auch in seinen harmlosen Formen ein institutionalisiertes Klassenprivileg, das der Gemeinwohlorientierung widerspricht. Solange es existiert, wird es Ungleichheiten produzieren.