Fantoche: Schlecht gelaunt in São Paulo

Nr. 35 –

Ein miesepetriger Punk und eine Horde kleiner Elton Johns: Am Fantoche ist «Bob Spit» zu entdecken – ein filmischer Abgesang auf einen prägenden Kopf der Comicszene in Brasilien.

Filmstill aus dem Animationsfilm «Cesar Cabral»
Mittelfinger nur noch als Prothese? Bob Spit im Film von Cesar Cabral. Still: coala Filmes

Der alte Comiczeichner mag nicht mehr. Doch leider steht schon ein übermotiviertes Filmteam in der Bude und will Details über sein Leben und seine Cartoons erfahren und darüber, wie das früher war, als er so berühmt war, dass man sich auf der Strasse nach ihm umdrehte. Was jetzt mit seinen Figuren sei und mit ihm und wie es weiter­gehe? Also erzählt er, Angeli, langsam und wortkarg: dass er nicht mehr zeichnen könne, dass alles zu viel geworden sei – eine aus­gewachsene Depres­sion, in die er da hineingeraten ist. Seine Figuren lassen ihn derweil nicht los und treiben in einer postapokalyptischen Parallelwelt ihr Unwesen. Mithilfe von empfangsschwachen Kristallkugeln und zerfledderten Comics wollen sie ihren Schöpfer finden, verwickeln sich aber dauernd in Schlägereien oder halbgare philosophische Diskussionen – allen voran Angelis ebenso schlecht gelauntes Alter Ego namens Bob Spit, mit Iro, Springerstiefeln und Nietengürtel.

Parallelwelt als Bubentraum

«Bob Spit. We Do Not Like People» ist Dokumentarfilm und Comicverfilmung und erzählt von einem, der mit den Jahren immer stärker mit seinen Schöpfungen verwachsen ist. Angeli, den Comiczeichner, gibt es tatsächlich – er war über Jahrzehnte einer der wichtigsten Köpfe der brasilianischen Underground­comicszene. Dieses Jahr setzte er sich zur Ruhe, als bei ihm Aphasie festgestellt wurde: eine Sprachstörung, die durch Schäden am Hirn verursacht wird und die oft mit depressiven Symptomen einhergeht. Da war der Film schon lange abgedreht – und erscheint nun als so trauriges wie seltsames Omen.

Der alte Künstler, der seinen wilden Zeiten nachtrauert und sich in der Gegenwart zurechtfinden muss, das ist nicht gerade ein originelles Motiv – darüber täuschen auch die Absurditäten um Bob Spit und Konsorten nicht hinweg. Dass diese Parallelwelt ein Bubentrau­m ist, wird spätestens dann offenbar, als in der Skyline von São Paulo eine liegende Frauengestalt in Unterwäsche und mit Netzstrümpfen zu erkennen ist und die allesamt männlichen Hauptfiguren aus Angelis Gedankenwelt im Taxi immer noch schlecht gelaunt, aber auch vorfreudig auf die Stadt und ihre Verheissungen zufahren.

Sehr schrullig, schön borstig

Trotzdem: Regisseur Cesar Cabral gelingt es, die grobe Undergroundästhetik in seine Stop-Motion-Welt zu übertragen – eine Hommage an die Comics von Angeli, die hier nichts an ­ihrer Borstigkeit einbüssen. Und wenn es stellenweise zu langfädig wird, sind da immer noch all die erfreulich schrulligen Figuren, die des Comiczeichners Unterbewusstsein bevölkern: die Horde von bunten, kleinen Elton Johns mit blinkenden Sonnenbrillen, die sich immer wieder zusammenraufen, Bob Spit mit aggressiver Fröhlichkeit anzugreifen, die beiden Dumpfbacken Kowalski, die ihrem Idol fröhlich nachlaufen, der zerzauste Guru, der aus den losen Comicseiten die Zukunft vorauszusagen vorgibt. Oder die Zwillingsgrenzwächter an der Einfahrt zu São Paulo, die mit ­ihrer guten Laune so lange nerven, bis der alte Punk eben tut, was sie von ihm wollen: French ­Kissing.

«Bob Spit. We Do Not Like People» läuft in Baden am Fantoche, Internationales Festival für Animationsfilm, 6.–11. September 2022, genaues Programm und weitere Informationen siehe: www.fantoche.ch.