Fredy Studer (1948–2022): Raus aus dem Ungefähren

Nr. 35 –

Er hörte zu, nahm auf und spielte weiter: Der grosse Jazzschlagzeuger Fredy Studer ist tot.

Fredy Studer am Jazzfestival Willisau im September 2018
Es ging ihm nicht um Selbstausdruck, sondern um Kunst, die aus dem Austausch entsteht, aus Offenheit und geteilter Präsenz: Fredy Studer. Foto: Francesca Pfeffer, Keystone

Wenn Fredy Studer spielte, kam es vor, dass er von seinem Schlagzeug aufblickte, hellwach und um den offenen Mund den Anflug ­eines Lächelns, und von Musiker zu Musikerin blickte, so, als wolle er sie einsammeln, um den Augenblick schierer Präsenz, der sich gerade ereignete, zu teilen. Das waren Momente höchster musikalischer Intensität. Fredy Studer hätte es vielleicht nicht gerne gehört, dass sie noch von etwas anderem handelten als von der Musik; trotzdem: Sie handelten auch davon, was Fredy Studer für ein Mensch und Künstler war.

Denn für den Luzerner Schlagzeuger, der letzte Woche gestorben ist, war Musik, war erst recht Jazz eine soziale Kunst. Es ist bestimmt kein Zufall, dass sein einziges Soloalbum, «Now’s the Time», erst 2018 erschien. Da war Fredy Studer siebzig Jahre alt und blickte auf eine Diskografie mit ungefähr gleich vielen Titeln zurück. Er hatte sie mit seinen Stammbands aufgenommen, zuerst mit OM, dann mit Red Twist & Tuned Arrow und schliesslich mit Koch-Schütz-Studer und Phall Fatale, aber auch in vielen anderen, offenen Konstellationen und immer wieder in wechselnden Duos.

Alles im Moment

Er wisse nicht, ob er in der Musik wirklich etwas zu sagen habe, sagte Fredy Studer einmal, und das war keine Koketterie. Wie der Lyriker Gerald Stern gesagt hat: «Wenn Sie sich vornehmen, ein Gedicht über zwei fickende Hunde zu schreiben, und schreiben ein Gedicht über zwei fickende Hunde – dann haben Sie ein Gedicht über zwei fickende Hunde geschrieben.» Den Satz hätte Fredy Studer vermutlich gemocht. Es ging ihm nicht um Selbstausdruck, sondern um Kunst, die aus dem Austausch entsteht, aus Offenheit und geteilter Präsenz.

Das ist zu sehen in Peter Liechtis Film «Hardcore Chambermusic». Er dokumentiert die dreissigtägige Konzertreihe, die Koch-Schütz-Studer im September 2005 in der Zürcher Schlosserei spielten. Es ist einer der besten Filme über Jazz überhaupt. Er zeigt die Schönheit radikaler Musik und dass es darin nichts «zu verstehen» gibt, weil nämlich alles daran nur im Moment existiert.

In erster Linie war seine Musik halt auch einfach immer wieder fantastisch.

Und der Film zeigt drei Musiker, die das Ideal teilen, «sich hinter die Musik zurückzuziehen», wie es einer der drei, es ist wohl Cellist Martin Schütz, sagt, nach einem der dreissig Konzerte an der Bar; wo es ganz natürlich dazu gehörte, dass der Austausch in die Verlängerung ging, ins Gespräch und in die Auseinandersetzung. Später im Film ist es still, man hört noch den Sound eines im frisch abgewaschenen Weinglas quietschenden Geschirrtuchs. Das Publikum, eben noch da und vertieft in die Musik, ist weg. Die Musiker sitzen allein an der Bar mit ihren Selbstzweifeln, ihren Sprüchen und ihrer Liebe füreinander. In diesem Trio sei es so, dass man «sich auf die Äste hinauswagen kann, ohne dass man dafür verlassen wird». Es ist wieder Schütz, der den Satz sagt, der klingt wie ein künstlerisches Modell für eine bessere Gesellschaft. Aber man kann sich gut vorstellen, wie der Studer den Schütz dafür umarmt hätte.

Gegen das Raunen

Aber vielleicht ist das auch zu einfach. Natürlich spielte Fredy Studer seine Musik als immer wieder neue Möglichkeit des Austauschs; aber in erster Linie war sie halt auch einfach immer wieder fantastisch. Und das wäre sie nicht gewesen, hätte sich Studer nur immer mit anderen ausgetauscht. Er übte auch ständig, für sich. Dann sass er an seinem gelben Gretsch-Schlagzeug in seiner Zelle im Probehaus Sedel und probierte aus, wie das ging, die Musik klar zu machen oder, wie er einmal sagte, sie aus dem «Ungefähren» ins «Gefähre» hineinzuspielen («was immer das heisst», wie er anmerkte). Es war tatsächlich so: Fredy Studer wusste nicht, was er zu sagen hatte, aber er wollte es klar und deutlich sagen.

Das galt für ihn in jeder Musik. Er suchte in der Improvisation die gleiche Verbindlichkeit, die er bei Jimi Hendrix gehört hatte: «Kein Zaudern, nur klare Entscheidungen.» Damals, in den sechziger Jahren, begann Fred­y Studer, sich die Musik selber beizubringen, und hörte nie wieder damit auf. Er hörte das Gefähre bei Miles Davis, bei Edgard Varèse, bei Iggy Pop, Venom oder Professor Longhair (hier: Stimme, Klavier und ein sagenhafter Punch). Er hörte zu, nahm auf, spielte weiter. In seinen eigenen Konzerten, wenn sie sich in ­einem Raunen und Andeuten zu verlieren drohten, fuhr er lieber dazwischen: «Dann kommen halt mal drei Grooves hintereinander, fuck it.»

So war Fredy Studer immer offen und immer möglichst auf den Punkt. Im Gespräch wie in der Musik war er an Argumenten, Ideen, Haltungen interessiert, und er verabscheute Dogmen. Das war ab 1972 beim wegweisenden Jazzrockquartett OM – das nun fünfzig Jahre alt ist und im Herbst ein neues Album herausgibt – nicht anders als später im elektronisch verschalteten Trio mit Hans Koch und Martin Schütz. Und wie zuletzt bei Phall Fatale, einer Band mit zwei Sängerinnen und zwei Bassisten, mit der er 2015, nun schon im AHV-Alter, seine allererste Single und seinen allerersten Videoclip aufnahm. Hier kehrte er zu Pop und Poetry zurück und suchte auch dafür eine möglichst radikale Sprache. Dann war er bereit für das Soloalbum. Now’s the time. Kein Zaudern mehr.