Frauenrenten: Keine Lust auf Solidarität

Nr. 36 –

Frauen würden in erster Linie in der zweiten Säule diskriminiert, erzählen die Befürworter:innen der AHV-Reform. Warum aber wehren sie sich im Ringen um eine BVG-Reform gegen entsprechende Verbesserungen?

Die bürgerlichen Poli­tiker:in­nen, die in diesen Wochen die AHV-Reform verteidigen, gefallen sich mit einem Argument besonders: Man dürfe die beiden Vorlagen nicht vermischen. Die Rentendiskriminierung der Frauen geschehe schliesslich vor allem in der zweiten Säule, nicht in der AHV. Eine Rentenalter­erhöhung sei darum zumutbar.

 

 

Die Bürgerlichen haben recht: Während die Frauen nach ihrer Pensionierung im Schnitt nur 2,7 Prozent weniger AHV-Gelder als die Männer beziehen (was damit zu tun hat, dass eine AHV-Rente maximal 2390 Franken pro Monat beträgt), beläuft sich der «Gender-Pension-Gap» in der beruflichen Vorsorge (BVG) auf 63 Prozent. Heisst: Im Durchschnitt erhält eine Frau aus der zweiten Säule rund ein Drittel weniger Rente als ein Mann. Das liegt zum einen daran, dass viele Frauen den Löwenanteil der unbezahlten Kinder­betreuung übernehmen und deshalb Einzahlungslücken haben. Zum anderen arbeiten vor allem Frauen Teilzeit und in Tieflohnberufen. Die Eintrittsschwelle in die berufliche Vorsorge sowie der auch auf tiefe Löhne erhobene Koordinationsabzug (der Teil des Lohns, der nicht versichert wird) wirken sich in erster Linie negativ auf die Altersguthaben von Frauen aus.

Zerzauster Kompromissvorschlag

Das Pensionskassensystem ist in eine Schieflage geraten, weil die Bevölkerung älter wird und Anlagerenditen sinken. Im November 2020 hat SP-Bundesrat Alain Berset, der 2016 mit der gemeinsamen Reform von AHV und BVG (Altersreform 2020) gescheitert war, dem Parlament eine Botschaft zur Revision des BVG vorgelegt. Sein Vorschlag beruhte auf einem historischen sozialpartnerschaftlichen Kompromiss von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften. Dieser hatte zum Ziel, die berufliche Vorsorge finanziell zu stabilisieren – gleichzeitig aber das Rentenniveau zu erhalten und (etwa durch die Halbierung des Koordinationsabzugs) die Situation von Frauen und Tief­löhner:in­nen zu verbessern.

Die GLP spielt in der Debatte ein seltsames Doppelspiel.

So komplex die Vorlage zur BVG-Reform ist, die nächste Woche vom Ständerat behandelt wird, so berechenbar war in der letzten Wintersession die Reaktion des Nationalrats: Die bürgerliche Mehrheit zerzauste die Vorschläge Bersets. Zwar stimmte die Mehrheit des Nationalrats der Halbierung des Koordinationsabzugs zu und will die Eintrittsschwelle ins Pensionskassensystem senken, um Frauen auf diese Weise langfristig zu mehr Rentenleistungen in der zweiten Säule zu verhelfen. Sie störte sich aber am Solidaritätsprinzip der Vorlage.

Auf Widerstand stiess in erster Linie der vorgesehene Umverteilungsmechanismus: Berset will die Senkung des Umwandlungssatzes von 6,8 auf 6 Prozent mit einem Zuschlag für alle Neu­rent­ner:in­nen der Übergangsgenerationen kompensieren – finanziert über einen solidarisch durch Arbeit­geber und Arbeitnehmer:innen gefüllten Topf. Die Mehrheit des Nationalrats dagegen will auf Rückstellungen der Pensionskassen zurückgreifen und nur an ­einen kleinen Teil der Über­gangs­rent­ner:in­nen Kompensationen zahlen. Für die Erhöhung der Rentengut­haben sollen die Rent­ner:in­nen in erster Linie selber sorgen – durch individuelles Sparen.

Ein veritables Hickhack

Die Grünliberalen betonten stets an vorderster Front, man müsse, wenn man das Rentenalter erhöhe, dringend substanzielle Verbesserungen in der zweiten Säule erreichen. Die Berner Nationalrätin Melanie Mettler sagte in einem Interview gar: «Wenn wir jetzt nur über die AHV diskutieren, betreiben wir Augenwischerei gegenüber der Stimmbevölkerung.»

Doch kurz vor der Abstimmung über die AHV am 25. September ist eine solidarische Lösung für die Frauen nicht in Sicht. Seit dem Kahlschlag vom letzten Winter herrscht im Parlament ein veritables Hickhack. Die Vorschläge, die zu Bersets BVG-Reform mittlerweile im Parlament zirkulieren, sind kaum mehr zu zählen. Während die rechten Parteien und die Mitte offenbar eine Verzögerungs­taktik fahren, spielt die GLP ein seltsames Doppelspiel.

Tatsächlich reichte Melanie Mettler vor der Debatte im Nationalrat einen Kompromissvorschlag ein, der relativ nahe am Bundesratsvorschlag war. Im Wesentlichen unterschied er sich im Verzicht auf Kompensationszahlungen für Vermögende und in einer zeitlichen Befristung der Zusatzfinanzierung über Lohnprozente. Die FDP und die SP unterstützten den Vorschlag, doch in der Nationalratsdebatte lehnten ihn die Freisinnigen per Fraktionszwang ab.

Mettler hat im Parlament zudem auch einen Vorstoss eingereicht, der die Verknüpfung der AHV- mit der BVG-Vorlage verlangte, «um das Parlament gegenüber den Stimm­bürger:in­nen in die Pflicht zu nehmen». Beide Gesetzesvorlagen sollten ihrem Willen nach erst nach den Volksabstimmungen gleich­zeitig in Kraft treten. Auch dafür fand Mettler im bürgerlichen Lager keine Unterstützung. Die GLP hielt das jedoch nicht davon ab, am Ende der Debatte der bürgerlichen Mehrheitsvariante zuzustimmen – und es hält die GLP auch nicht davon ab, im Vorfeld der AHV-Abstimmun­g Seite an Seite mit FDP, SVP und der Mitte für ein Ja zu weibeln.

«Inkonsequent? Das sehe ich nicht so», sagt Mettler. «Wir wollen im Parlament nach wie vor den Kompromiss und arbeiten auf eine breit abgestützte und faire Reform der beruflichen Vorsorge hin.» Am Ende müsse man die AHV-Vorlage aber für sich beurteilen. «Zudem ist es derzeit wichtig, die Reformfähigkeit des Vorsorgesystems zu beweisen, um auch für die BVG-Reform die Chancen zu erhöhen.»

Die GLP inszeniert sich gerne als Partei der  ­Macher:in­nen, als pragmatische Kraft. Auch Mettler sagt: Bei der BVG-Reform gebe es sowohl im rechten als auch im linken Lager re­form­unwillige Kräfte. Die GLP hingegen sei eine progressive Partei, die den künftigen Generationen beste Handlungsfähigkeit und Chancengleichheit ermöglichen wolle.

Freisinniges Chaos

Nächsten Dienstag berät der Ständerat die BVG-Reform – bereits zum zweiten Mal. Die letzte Sitzung in der Sommersession endete mit der Zurückweisung des Geschäfts an seine Gesundheitskommission. Der Hintergrund: Diese hatte für einen Kompromissvorschlag gestimmt, den Bürgerliche um den FDP-Ständerat Josef Dittli ins Spiel gebracht hatten. Dittlis Vorschlag wiederum lag nahe bei jenem von GLP-Mettler. Zur Überraschung aller brachte aber Dittli selbst in der Rats­debatte eine neue, billigere Variante ins Spiel. Der Ständerat wies das Geschäft infolgedessen an seine Kommission zurück.

Am vergangenen Dienstag nun hat die Kommission darüber beraten. Zu welchem Schluss sie dabei gekommen ist, wurde bis Redaktionsschluss gestern Mittwoch noch nicht bekannt gegeben.

FDP-Politiker Dittli war für die WOZ für Fragen nicht erreichbar. Der Partei wurde nach ihrem Manöver strategisches Ungeschick vorgeworfen. Ohne eine mehrheitsfähige BVG-Lösung spiele man bei der AHV-Abstimmung den Linken in die Hände. Naheliegender scheint jedoch, dass die FDP bewusst auf Zeit spielt, um nach der Abstimmung befreiter eine «schlanke» BVG-Reform beschliessen zu können. SP-Kopräsidentin Mattea Meyer sagt: Mit einem Ja zur AHV-Reform kaufe man nun die Katze im Sack. «Und die GLP trägt dann halt vielleicht dazu bei, dass die Frauen am Ende mit leeren Händen dastehen.»