Kost & Logis: Bachelor in Hoffnung
Ruth Wysseier über den Umgang mit dem Klimawandel
Meine Grossnichte ist gerade sechs geworden. Als man sie neulich im Kindergarten fragte, was ihr am wichtigsten sei, antwortete sie: die Natur. Nicht Papi oder Mami oder ihr Hund. Die Natur.
Wenn ich Prognosen lese, wie heiss es in zwanzig Jahren sein könnte und dass es Hungersnöte und Kriege geben wird, wenn der Meeresspiegel steigt, rechne ich aus, wie alt sie dann sein wird. Eine Modellrechnung warnt, die heute sechsjährigen Kinder würden in ihrem Leben dreimal mehr Klimakatastrophen erleben als ihre Grosseltern: Buschbrände, Wirbelstürme, reissende Flüsse, Ernteausfälle und Dürreperioden.
Die New Yorker Künstlerin Laurie Anderson ist 75. Am Festival in Locarno beschimpfte sie die zunehmend düsteren Berichte zur Klimaerhitzung als apokalyptische Pornografie. Sie wolle Optimistin sein, weil sie nur so Probleme angehen und handlungsfähig bleiben könne. Als ob das so einfach wäre. Viele Fridays-for-Future-Aktivist:innen sind ausgebrannt und desillusioniert, haben ihren Kampfgeist verloren.
Als mich wieder einmal eine Überdosis von Weltuntergangsnachrichten niederdrückte, suchte ich nach Gegenrezepten. Ich kaufte das Buch «Factfulness. Wie wir lernen, die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist» von Hans Rosling und abonnierte den Nachrichtendienst Future Crunch. Der Statistiker Rosling erklärt, dass die meisten Menschen ein verzerrtes, viel zu negatives Bild von der Welt haben, und will dies mit Fakten korrigieren. Future Crunch veröffentlicht Berichte über positive Entwicklungen, die es kaum je in die Nachrichten schaffen: den globalen Rückgang der Kindersterblichkeit etwa, den erfolgreichen Kampf gegen das Denguefieber oder die Umweltfortschritte in der Stahlproduktion Chinas. Die Auflistungen sind enorm erfreulich. Und doch bin ich überrascht, wie wenig sie einen berühren: Es sind bloss Statistiken, Federgewichte gegen die bleischweren Untergangsmeldungen.
Einen vielversprechenderen Ansatz verfolgen zwei Dozentinnen an der DePaul-Universität in Chicago. Jill Hopke und Barbara Willard lehren Klimawandelkommunikation, Umweltrhetorik und Politik. Weil auch sie feststellten, dass sich viele Studierende angesichts des Klimawandels hilflos fühlen, suchten sie nach Wegen, um durch ihren Unterricht Hoffnung und politisches Engagement zu fördern. Sie wollen erlebbar machen, dass kollektives gesellschaftliches Handeln möglich ist.
Die Studierenden beschreiben nun etwa in Essays, wie eine Gesellschaft 2050 ohne fossile Energie aussehen könnte. Es sind realistische Visionen, forschungsorientierte und wissenschaftsbasierte Szenarios für eine nachhaltige Zukunft. Hopke und Willard vermitteln nicht bloss Wissen, sondern im besten Fall einen hartnäckigen Optimismus.
Meine Grossnichte macht dann vielleicht ihren Bachelor in Klimahoffnung. Vorerst will sie tauchen lernen, um im Ozean allen Abfall wegzuräumen.
Ruth Wysseier ist Winzerin am Bielersee.