Erwachet!: Neues aus der Extrameile
Michelle Steinbeck über Quiet Quitting
Ich bin eine glühende Verfechterin der Idee von Quiet Quitting: sich nicht mehr für die Arbeit verausgaben zu wollen, sondern bloss zu machen, wofür du bezahlt wirst. Nicht «the extra mile» zu gehen, die schon lang als selbstverständlich erwartet wird. Stattdessen keine Überstunden mehr, keine Mails am Feierabend, kein Zoom am Wochenende. Entgrenzter Arbeit Grenzen setzen: Der Trend, nicht mehr zu machen als nötig, ist die logische und effektive Gegenwehr in einer deregulierten Arbeitswelt, die Massen in Burn-out und Depressionen treibt.
Ich sage «Idee», weil mir die Umsetzung sehr schwerfällt. Irgendwo in meiner arbeitsmoralischen Sozialisation wurde die Verausgabung als Qualität tief eingepflanzt. Und perfid an den Selbstwert genäht. Nur überarbeitet ist gearbeitet. Du hast freie Zeit? Komisch! Ich arbeite immer.
Je länger, je mehr frage ich mich, woher das kommt. Schliesslich wähle ich nicht die FDP und wünsche Leuten keinen «produktiven Tag». Mir selber schon. Warum? Einerseits liegt es sicher am Beruf und seinem Ruf respektive am Hochstapler:innensyndrom. Ich muss und will mich glücklich schätzen, mit meinem Traumberuf, der beileibe nicht systemrelevant ist, über die Runden zu kommen. Das tue ich auch. Wie Komiker Patrick Karpiczenko kürzlich schrieb: «Als freischaffender Künstler könnt ich nie fixe Bürozeiten arbeiten, ich liebe die Flexibilität meiner vierzehn Arbeitsstunden, die ich frei über den Tag verteilen kann.»
Andere sind Lehrerinnen, Pfleger, Putzkräfte, sie leisten wertvolle Arbeit für die Gesellschaft. Das schlechte Gewissen um das Privileg der elitären Kopfarbeit redet mir ein, dass die Ausübung meiner Tätigkeiten wenigstens mit einem hohen Stresslevel einhergehen muss – als würden sie dadurch an Berechtigung gewinnen.
Gleichzeitig wäre es Romantisierung zu behaupten, dass es mit weniger easy gehen würde – Geld ist nicht alles, aber für warme Miete muss es schon reichen. Für Freischaffende gibt es kein Quiet Quitting; hinter jedem Weniger-Machen lauern Existenzängste. Oder? Und wie sieht es in anderen Berufen aus?
Was soll das überhaupt bedeuten: «nur das Nötigste machen»? Geht dabei nicht auch etwas verloren? Das klingt doch verdächtig nach noch einer neoliberalen Tugend, nach der bösen Stiefschwester der fröhlichen Ausschweifung: Ist das nicht einfach schlecht verhüllte Effizienz? Dieselbe, mit der sämtliche Sparprogramme erklärt und gerechtfertigt werden – gerade in sogenannt systemrelevanten Berufen? Wo will ein:e Pfleger:in quiet quitten, wenn sie eh schon nur noch Zeit für das Allernötigste hat? Ganz zu schweigen von allen Berufen, in denen die Konkurrenz so gross ist, dass Quiet Quitting keine Option ist?
Wollen wir uns wirklich selbst noch mehr Effizienz auferlegen und einmal mehr ganz fest daran glauben, unseres Glückes eigene Schmiedin zu sein? – «Du hast ein Burn-out? Das ist so 2010er. Bist nicht besonders gut im QQ, was?»
Langfristig müssen wir die Lösung wohl anderswo suchen. In höheren Löhnen zum Beispiel. In besserer Altersvorsorge (natürlich zwei Mal Nein). Warum nicht gleich in einem anständigen Grundeinkommen? Der Club of Rome erklärt es gerade wieder: Umverteilung ist das Einzige, was uns noch retten kann. Die Extrameilen der Privatjets direkt in die AHV.
Michelle Steinbeck ist freischaffende Autorin. Sie würde gern mehr Unnötiges machen.