Dan Wechsler: «Man ist hier weniger risikobereit»

Nr. 39 –

Der Genfer Dan Wechsler ist einer der erfolgreichsten Filmproduzenten des Landes, zumindest wenn man Erfolg an der internationalen Resonanz misst. Sein Finanzierungssystem ist untypisch für die Schweiz – und irgendwie auch nicht.

Dan Wechsler
 «Ich kann nicht jedes Mal vier Jahre warten, bis jemand in Bern entscheidet, ob ich einen Film machen kann»: Dan Wechsler verzichtet lieber auf öffentliche Gelder.

Wer sich zuletzt auch nur ein bisschen für das internationale Arthousekino interessiert hat, ist dem Namen Dan Wechsler bestimmt schon begegnet. «Monos», «Memoria», «Bad Luck Banging or Loony Porn» oder jetzt «Triangle of Sadness»: Die Filmografie des Genfers liest sich wie ein Best-of der vergangenen zehn Jahre Programmkino, mit auffälligem Fokus auf Lateinamerika, Osteuropa und Skandinavien. Auch die jüngsten Filme von Ulrich Seidl oder Kirill Serebrennikow hat Wechsler mitproduziert. Mit Letzterem wird er an diesem Abend noch essen gehen. Vorher hat er noch Zeit für ein Gespräch im Zug von Genf nach Zürich, wo Laurent Nègres «A Forgotten Man» Premiere hat, seit längerem der erste Schweizer Film, den Wechsler mit seiner Firma Bord Cadre Films produziert hat.

Wechsler hat Bord Cadre vor neunzehn Jahren zusammen mit Nègre vor allem deshalb gegründet, um dessen ersten Film zu produzieren. Als er dann weitere produzieren wollte, merkte er, dass ihm die Optionen in der Schweiz zu limitiert waren: «Film kostet so viel Zeit, Geld und Energie, und ich fand damals einfach keine anderen Schweizer Filmemacher:innen, die mich einerseits genug interessierten und die andererseits noch keinen Produzenten hatten. Vielleicht bin ich auch zu einem Zeitpunkt eingestiegen, an dem der Schweizer Film einfach nicht besonders inspirierend war – das hängt ja immer von der Generation ab.» Jedenfalls begann Wechsler, sich auf internationale Koproduktionen zu spezialisieren, und zwar kompromisslos auf das Kino, das ihn interessierte: neue Formen aus Rumänien, politische Filmpoesie aus Südamerika – «neue Visionen, oft auch sogenannt schwieriges Kino», wie er sagt. «Auf jeden Fall nicht das, wofür man in der Schweiz einfach Fördergelder bekommt.»

Er wolle das Schweizer Fördersystem nicht kritisieren, sagt Wechsler. Dieses sei ja relativ grosszügig, auch wenn ihm die Filmpolitik nicht immer kohärent scheine: etwa, wenn viel Geld in die Herstellung gesteckt, die Auswertung dann aber vernachlässigt werde. Das grösste Problem jedoch: Für Schweizer Filmemacher:innen, die von öffentlichen Geldern abhängig seien, bestehe der Alltag hauptsächlich darin, auf Geld beziehungsweise auf Förderbescheide zu warten. «Das ist doch kein Leben. Als Künstler muss man arbeiten können, sich weiterentwickeln. Ich kann nicht jedes Mal vier Jahre warten, bis jemand in Bern entscheidet, ob ich einen Film machen kann oder nicht. Da würde ich depressiv.» Dan Wechsler suchte andere Wege, um das produzieren zu können, was er will.

Zu heikel?

«A Forgotten Man» basiert auf dem Theaterstück «Der Gesandte» von Thomas Hürlimann und erzählt anhand des damaligen Schweizer Botschafters in Nazi-Deutschland von der Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg. «Wenigstens bei diesem Film dachte ich, dass es mit der öffentlichen Finanzierung einfach sein würde», sagt Wechsler. Das Gegenteil war der Fall: Weder der Bund noch die regionalen Förderstellen wollten das Projekt fördern, auch das Fernsehen nicht. Ob alle das Drehbuch schlecht fanden oder ob ihnen das Thema zu heikel war? Das wisse er nicht, sagt Wechsler. Zehn Jahre lang hat er gemeinsam mit Laurent Nègre gekämpft, bis sie den Film doch noch realisierten – als Low-Budget-Produktion, mit grosser Unterstützung aller Beteiligten. Am Ende gab es zwar noch einen kleinen Beitrag aus öffentlicher Hand, aber abgesehen davon ist «A Forgotten Man» ohne Fördergelder entstanden. Möglich war das nur, weil Dan Wechsler mittlerweile sein Geschäftsmodell bei Bord Cadre vollständig umgestellt hatte.

Es handelt sich dabei um ein relativ klassisches Mäzenatssystem – nur dass das Geld eben in die Produktion internationaler Arthousefilme fliesst statt zum Beispiel in die Genfer Oper. «Mein Geschäftssystem besteht aus persönlichen Beziehungen und deren Pflege», sagt Wechsler. «Da gibt es keine bestimmte Formel.» Es gebe einfach Leute mit viel Geld, die damit etwas machen möchten. Manche engagieren sich humanitär, andere fördern die Forschung. «Meine Partner finanzieren künstlerisch wertvolle, aber unrentable Filme.»

Letzteres ist entscheidend: Niemand von seinen Geldgeber:innen dürfe erwarten, dass sich ihr Engagement finanziell lohnen werde. «Meine Investor:innen sollten nicht nur den neuen Film von Ruben Östlund unterstützen wollen, der mit der Goldenen Palme von Cannes jetzt vielleicht tatsächlich ein wenig Geld einspielen wird. Sondern auch jenen des Bolivianers Kiro Russo.» Dessen grossartiger, aber auch sperriger Film «El gran movimiento», der bereits unzählige Preise gewonnen hat, laufe momentan in Lausanne im Kino, vor fast leeren Rängen. «Wenn die Leute da erwarten, dass sie ihr Geld zurückbekommen, gibt es Probleme.»

Pragmatismus ist Trumpf

Die Beweggründe seiner Partner:innen sind unterschiedlich: das gute Gefühl, die Kultur zu unterstützen; das Prestige, im Abspann eines Filmes genannt zu werden – wobei viele auch anonym bleiben wollen. Oder auch die Möglichkeit, Teil eines künstlerischen Milieus zu werden, das auch wohlhabenden Menschen sonst nicht offensteht: «Wenn man dann mit Tilda Swinton Abendessen gehen oder auf einem Filmset Woody Harrelson kennenlernen kann, hat das für manche einen grossen Wert.» Doch er müsse immer auch betonen, dass es in den meisten von ihm produzierten Filmen keine Stars gebe.

Wechsler arbeitet international, die meisten seiner Geldgeber:innen kommen nicht aus der Schweiz: «Hier ist man weniger risikobereit als beispielsweise in London, wo ich aus der Zeit, als ich bei Auktionshäusern wie Christie’s arbeitete, ein gutes Netzwerk habe.» Woher das Geld genau kommt, ist Wechsler relativ egal. «Wer weiss, vielleicht haben sie besonders gut gearbeitet, haben geerbt oder einen ausgezeichneten Privatbanker – ich weiss es nicht. Es sind einfach vermögende Menschen, die das Kino lieben.» Wenn jetzt ein mexikanischer Investor mit zwei Millionen aus unbekannter Quelle bei ihm vorbeikäme, würde er das ablehnen, sagt Wechsler. Aber man müsse sich bewusst sein, dass auch in Hollywood bei vielen Filmen und Serien Geld zweifelhafter Herkunft im Spiel sei: «Das war schon immer so», sagt Wechsler pragmatisch.

Als Abgänger der Wirtschaftsuniversität in Lausanne wären ihm auch andere, profitablere Karrieren etwa in der Finanzwelt offengestanden. In jenem Milieu findet Wechsler sich gut zurecht – auch wenn er lieber in Gesellschaft von künstlerisch tätigen Menschen ist. Mit einigen Regisseur:innen hat er langjährige Partnerschaften aufgebaut und wird von ihnen durchaus auch um kreativen Rat gefragt – selbst von Leuten wie Apichatpong Weerasethakul. Und niemals würde er jemandem sagen, dass eine bestimmte Szene aus finanziellen Gründen nicht möglich sei: «Es ist nicht meine Aufgabe als Produzent, dem Regisseur zu sagen, dass etwas zu teuer sei. Meine Aufgabe ist es, das Geld aufzutreiben.»

Korrigenda vom 29. September 2022: In der Printversion sowie in der alten Onlineversion waren wegen eines redaktionellen Fehlers zwei Zitate zu lesen, die leicht verkürzt waren. Wir bitten um Entschuldigung.

«A Forgotten Man» von Laurent Nègre läuft am Zurich Film Festival, Spielzeiten siehe www.zff.com.

Zurich Film Festival : Näher bei Gott

Eine wundersame Wertsteigerung, die Til Schweigers neuer Film «Lieber Kurt» am Zurich Film Festival (ZFF) erfährt. Ticketpreise für die Galapremiere in Anwesenheit von Schweiger: bis zu 60 Franken. «Premium Screening» nennt sich das am ZFF, auch die neuen Filme mit Charlotte Gainsbourg und Liam Neeson liefen in diesem Hochpreissegment. Man kann das etwas obszön finden, aber wir sind halt in Zürich: Hier finden sich immer genug Leute, die so viel Geld haben, dass sie sich nichts dabei denken, 60 Franken für einen Til-Schweiger-Film auszugeben. Cinephilie hat ihren Preis, nicht wahr.

Fernab von solchem Premiumgalazirkus wird das ZFF aber schon auch anderen Ansprüchen gerecht. Anderswo muss man etwa Filme von Regisseurinnen immer noch mit der Lupe suchen, hier nehmen diese selbstverständlich mindestens gleich viel Raum ein wie ihre Kollegen (zumindest bei den Wettbewerbsfilmen; bei den Galapremieren siehts weiterhin dürftig aus). Da bekommt man auch zarte kleine Filme, auf die man sonst das ganze Jahr durch vergeblich warten müsste, auf ganz grosser Leinwand zu sehen. Zum Beispiel «Aftersun», das traumwandlerisch sichere Spielfilmdebüt der schottischen Regisseurin Charlotte Wells: ein elfjähriges Mädchen (Frankie Corio) auf Strandurlaub in der Türkei, allein mit dem sehr jungen Vater (Paul Mescal), den es sonst nie sieht – ein Film wie ein flirrendes Souvenir, komponiert aus Vignetten, die scheinbar beiläufig, aber ungemein präzise eine Beziehung einfangen, die keinen Alltag kennt.

Auch «Foudre» glüht lange nach, der Erstling der Westschweizer Regisseurin Carmen Jaquier: ein Kostümdrama in gottesfürchtiger Walliser Bergwelt, das von der erwachenden Lust einer jungen Frau erzählt – aber auch davon, dass die Disziplinierung des weiblichen Körpers letztlich auch die Jungs im Dorf knechtet. Anfangs noch eng geschnürt, lässt sich der Film später in fast schon psychedelischer Weise vom polyamoren Begehren seiner Hauptfigur anstecken. Der Weg zu Gott, er führt hier definitiv nicht durch die Kirche.

«Aftersun» und «Foudre» sind am So, 2. Oktober 2022, nochmals zu sehen, Spielzeiten siehe www.zff.com. «Foudre» kommt 2023 ins Kino.