Kino: In der Wüste mit Nacer Khemir
«Wir wohnen nicht in einem Land, sondern in einer Sprache», sagt der tunesische Filmemacher Nacer Khemir. «Die Sprache ist unser Haus.» Nun kehrt seine Wüstentrilogie für kurze Zeit ins Kino zurück, in restaurierter Form und begleitet vom Regisseur: «Les Baliseurs du désert», «Le Collier perdu de la colombe» und «Bab’Aziz». Entstanden zwischen 1984 und 2005, entfalten diese drei Filme eine traumhafte Ästhetik der Wüste als existenzieller Lebensraum. Etwa in «Bab’Aziz», wo das Mädchen Ishtar (Maryam Hamid) seinen Grossvater, einen blinden Sufi (Parviz Shahinkhou), zu einem Derwischtreffen durch die Wüste führt.
Als Erzähler bezieht sich Khemir auf die literarische Tradition von «1001 Nacht», visuell auf die künstlerische Moderne von Paul Klee, der 1914 in den Maghreb reiste und dessen Kunst vom Licht und von den Farben der Wüste und der Oasen durchdrungen war. Auch die Poesie der arabischen Hochkultur und die orale Tradition sind zentral für Khemirs filmische Zeitreisen zwischen dem Emirat von Córdoba, das sich einst über den grössten Teil der Iberischen Halbinsel erstreckte, bis in die von Migration und Technologie geprägte Gegenwart. Andalusien galt bis in die frühe Neuzeit als kulturelles und wirtschaftliches Zentrum des Mittelmeerraums und der islamischen Welt, während im übrigen Europa Analphabetismus und Kreuzzugsstimmung vorherrschten.
Im verlorenen Paradies wird die Wüste in ihrer unendlichen Weite und Schönheit bei Nacer Khemir zum zentralen Ort der arabischen Welt: zur Quelle von Krieg und Zerstörung, aber auch von Reichtum und Prosperität. Der ästhetische Höhepunkt seiner Wüstentrilogie ist «Bab’Aziz». Der Regisseur hat den Film seinem Vater gewidmet, der einen dogmatischen Islam praktizierte. Nach 9/11 realisiert, ist dieses visuell und akustisch betörende Epos eine Kampfansage an die im Westen medial verbreitete und zunehmend um sich greifende Islamophobie, aber auch an den Islamismus, den «angekündigten Tod des Islams und seiner Zivilisation».
Die Trilogie von Nacer Khemir läuft in Bern, Wettingen, St. Gallen und Zürich im Kino. Vom 1. bis 4. Oktober 2022 teils in Anwesenheit Khemirs, genaue Daten siehe www.trigon-film.org.