Film: Jugend ohne Sicherheitsdienst

Nr. 41 –

Die Netflix-Doku «Trainwreck. Woodstock ’99» erzählt die faszinierende wie verstörende Geschichte eines Musikfestivals, das in Chaos und Gewalt aufging.

Genau als Limp Bizkit ihren Song «Break Stuff» spielen – es geht darin um die Umwandlung jugendlicher Frustration in Gewalt –, beginnen die jungen Männer, einen Technikturm zu zerlegen. Kein Zufall, Rapper und Sänger Fred Durst geniesst es sichtlich, die aufgekratzte Menge weiter anzuheizen: «Es gibt keine verdammten Regeln dort draussen!» In der Nacht darauf gleicht das Festivalgelände ­einem Schlachtfeld: Überall lodern riesige Feuer, mehrere Lastwagenanhänger explodieren, wütende Meuten fallen über Zelte und Absperrungen her, Medienleute und Musiker:innen werden evakuiert, Frauen während Konzerten belästigt und vergewaltigt.

«Woodstock ’99», nach 1994 die zweite Fortsetzung des Hippiefestivals von 1969, ist ein Tiefpunkt, aber auch ein Faszinosum in der Geschichte der Popkultur. «Trainwreck» heisst eine aktuelle, dreiteilige Netflix-Doku, die die Ereignisse noch einmal aufrollt. Es ist keine besonders gute Doku, die mit Schlagwörtern übersteuerte Dramatik nützt sich schnell ab. Aber der Inhalt ist derart interessant, dass man darüber hinwegsieht.

Die Veranstalter gaben später Fred Durst und ein paar schwarzen Schafen die Schuld für das Desaster. Tatsächlich aber hatte ihre Profitgier die Eskalation unter den über 220 000 vor allem jugendlichen Fans systematisch provoziert: Trotz unmenschlicher Hitze gab es auf dem zubetonierten Gelände kaum Schatten, die Preise für Getränke und Essen waren astronomisch, kostenloses Trinkwasser war rar und sogar verschmutzt, es wurde kaum geputzt, Sicherheitspersonal gab es fast keines. Die Gewalt war teilweise explizit als Revolte gegen die fahrlässige Leitung gerichtet, aber es brach sich hier auch eine ziellose Zerstörungslust Bahn, nach der sich die nihilistische, maskulinistische Popkultur der neunziger Jahre geradezu zu sehnen schien. Als sie die Verkaufsstände stürmten, skandierten sie Rage Against the Machine: «Fuck you, I won’t do what you tell me!»  

David Hunziker

Filmstill aus «Trainwreck. Woodstock ’99»: Musiker auf der Bühne

«Trainwreck. Woodstock ’99». Auf Netflix.