Bundesrat: Ein Ticket ohne Namen
Die SP will eine Frau im Bundesrat, doch die Suche nach Kandidat:innen fällt der Partei schwer. Und da gibt es noch eine weitere wichtige Frage.
Manchmal wiederholt sich die Geschichte, und wenn es um Fragen der Gleichstellung geht, dann stimmt sogar der Wortlaut. Fast genau zwanzig Jahre ist es her, dass in der «Weltwoche», damals noch eine ernst zu nehmende Wochenzeitschrift, Folgendes stand: «Dass sich Jean Studer ins Rennen um die Dreifuss-Nachfolge begibt, passt gut ins Geplapper vom Postfeminismus. Dieses Gesäusel von der angeblich egalitären Gesellschaft, in der das Thema der Frauendiskriminierung als überholt belächelt wird, muss dem Juristen die Sinne getrübt haben.»
Und weiter: «Würde die SP tatsächlich mit einem Mann-Frau-Ticket antreten, riskierte sie ihren Ruf als einzige konsequente Frauenförderungspartei. Und SP-Parteipräsidentin Christiane Brunner als Symbol für ebendiese Politik hätte sich gleich selber demontiert. Das wäre kein guter Auftakt für die Wahlen 2003!»
173 Jahre Patriarchat
Man kann den Namen von Jean Studer durch Daniel Jositsch ersetzen, jenen von Christiane Brunner durch Mattea Meyer und Cédric Wermuth – und schon ist man in der Gegenwart angekommen. Selbst wenn die Parteispitze der SP auch nach dem Rücktritt von Bundesrätin Simonetta Sommaruga wieder ein Frauenticket fordert, will ein Mann auch heute noch nicht glauben, dass der eigene Karriereverzicht ein Akt der Gleichstellung sein kann. Jositsch verstieg sich bei der Ankündigung seiner Kandidatur gar zur Aussage, Männer würden durch ein Frauenticket diskriminiert. Als ob dieses Land nicht 173 Jahre von einer Männermehrheit regiert worden wäre und nur ein einziges Jahr von einer Frauenmehrheit. Als ob durch seine Wahl das Geschlechterverhältnis nicht wieder 5 : 2 betragen und eine Frauenmehrheit in weite Ferne rücken würde.
Jean Studer erhielt bei der Bundesratswahl 2002 am Ende elf Stimmen (und wurde später Präsident des Bankrats der Nationalbank – Bern zeigt sich in solchen Fällen grosszügig). Wie die Kandidatur von Daniel Jositsch ausgeht, wird sich noch weisen (und ob man ihn auch anders honorieren kann). Aus der SP-Fraktion ist auf alle Fälle zu hören, dass sich Jositsch mit seinem Vorpreschen gerade äusserst unbeliebt gemacht hat.
Bloss hat sich die Parteispitze mit der frühen Festlegung auf ein Frauenticket ein gröberes taktisches Problem eingehandelt. Sie braucht dafür zuerst einmal zwei Kandidat:innen. Bisher haben aber alle potenziellen Anwärter:innen abgesagt: die Waadtländer Regierungsrätin Rebecca Ruiz, die St. Galler Nationalrätin Barbara Gysi oder die heutige Verwaltungsrätin des TX-Medienkonzerns, Pascale Bruderer. Die Berner Nationalrätin Flavia Wasserfallen, von vielen als Mitfavoritin gehandelt, informierte am Mittwochabend, dass sie ebenfalls nicht antritt.
Für die SP? Für Basel? Für Novartis?
Damit ist Eva Herzog definitiv die Favoritin. Die frühere Basler Finanzministerin sei zwar nie richtig in der Parlamentsarbeit angekommen, heisst es im Bundeshaus. Einmal Regierungsgeruch, immer Bundesratsambition. Herzog ist aber bei den Bürgerlichen dank ihrer Rechtsabweichungen in der Finanzpolitik wohlgelitten: Sie unterstützte die Unternehmenssteuerreform III, die den Konzernen Milliardengeschenke gebracht hätte. Bei der Anpassung an die OECD-Mindestbesteuerung will sie erneut möglichst viel für den Pharmastandort Basel herausholen. Grundsätzliche Probleme des Steuerwettbewerbs spricht sie nicht an. Da drängt sich doch die spöttische Frage auf, wen sie im Bundesrat tatsächlich vertreten würde: die SP, Basel, Novartis?
Noch nicht zu einer Kandidatur geäussert hat sich die jurassische Ständerätin Élisabeth Baume-Schneider. Die Berner Regierungsrätin Evi Allemann denkt darüber nach, die Zürcher Wirtschaftspolitikerin Jacqueline Badran schweigt noch. Sagen auch sie alle ab, könnte Jositsch oder ein anderer Mann doch noch an den Start kommen. Spätestens dann wäre es Zeit für ein paar strukturelle Fragen: Warum sagen so viele Frauen für das Bundesratsamt ab? Liegt es an ihnen – oder doch am Amt selbst?
Wer auch immer am Ende gewählt wird: Für die Zukunft der Regierungspolitik wird nicht nur die Bundesratswahl, sondern mindestens so sehr die Departementsverteilung entscheidend sein. Mit Sommarugas Rücktritt wird mit dem Uvek das Klima- und Umweltdepartement frei. Beobachter:innen gehen davon aus, dass die SP das Departement kaum wird halten können und wieder das Justizdepartement übernehmen muss. Am 7. Dezember wird nach dem Rücktritt von Ueli Maurer bekanntlich auch der SVP-Sitz neu besetzt. Weil niemand im Parlament den Regierungsanspruch der Rechtspopulist:innen infrage stellt, besteht die Gefahr, dass am Ende ein SVPler das Uvek übernehmen könnte. Darauf wies in der Fernsehsendung «Arena» die grüne Genfer Ständerätin Lisa Mazzone hin. «Ich mache mir Sorgen, dass plötzlich der Vertreter der Öllobby dieses Departement leiten würde.»
Gemeint ist SVP-Kronfavorit Albert Rösti, früherer Präsident von Swissoil, aktuell Präsident von Auto-Schweiz. Hört man sich auch unter rechten Parlamentarier:innen um, dann wird die Gefahr allerdings nicht allzu hoch eingeschätzt, dass die SVP am Ende das Uvek übernimmt. Die Partei dürfte selbst ein beschränktes Interesse haben: Sie hat das Referendum zum Gegenvorschlag der Gletscherinitiative ergriffen – die Abstimmung wird vor dem Sommer stattfinden.
Die SVP müsste also ein paar Monate vor der Parlamentswahl gegen ihren eigenen Bundesrat antreten. Zwar ist die FDP in der Klimapolitik tief gespalten. Doch sie dürfte es sich zweimal überlegen, ob sie das Uvek einer Partei zuschanzen will, deren Vertreter:innen regelmässig die Klimaerwärmung relativieren oder gar leugnen. Eine solch trumpistische Besetzung wäre auch international rufschädigend.
Manches deutet darauf hin, dass Viola Amherd von der Mitte-Partei das Uvek übernehmen möchte. Das böte immerhin die Chance, aus dem Parlament und von der Strasse mehr Druck auf die Klimapolitik zu machen, als wenn es in linker Hand ist.
Bei der Besetzung des Bundesrats und der Uvek-Verteilung bleiben einmal mehr die Grünen aussen vor. Sie haben sich nach der Rücktrittsankündigung von Sommaruga sofort selbst aus dem Rennen genommen. Direkt ertönte das Wehgeschrei von rechten Politikerinnen und Kommentatoren: Die grüne Partei verpasst eine historische Chance! Degradiert sich zum Juniorpartner der SP! Mutlos, schwach, naiv! Im Gegenteil war es geschickt, wie die Grünen sich entschieden haben.
Das Machtkartell knacken
Was die Schalmeienklänge von rechts bezwecken, ist leicht erkennbar: die Zementierung des eigenen Machtanspruchs. FDP und SVP sollen ihre rechtsbürgerliche Mehrheit im Bundesrat sichern. Die Mitte-Partei darf weiter im Seitenwagen mitfahren. Und die linken Parteien werden auf ihre Plätze verwiesen: Maximal zwei Bundesrät:innen sollen es sein. Wie schön wäre es da noch, wenn sich SP und Grüne zusätzlich um die Plätze zankten! Erst noch in einem Wahljahr.
Genau dieser Logik haben sich die Grünen verweigert. Das linke Lager, so die klare Botschaft, lässt sich nicht auseinanderdividieren. Und es akzeptiert nicht, dass die Machtverhältnisse auf ewig vorbestimmt sein sollen. Das ist logisch, wenn man sich die Wahlergebnisse von 2019 in Erinnerung ruft: SVP und FDP kamen damals zusammen auf rund 40 Prozent der Stimmen – und stellen trotzdem die Mehrheit im Bundesrat. SP und Grüne erzielten zusammen 30 Prozent – und müssen sich dennoch mit zwei Sitzen begnügen. Die heutige Mitte-Partei lag nur 0,6 Prozentpunkte vor den Grünen. Und hält einen Sitz.
Mit ihrer Weigerung haben die Grünen die Parlamentswahl 2023 lanciert. Damit das Machtkartell von SVP und FDP, das seit der Bundesratswahl von Christoph Blocher 2003 besteht, tatsächlich gebrochen wird, müssen sich nur einige wenige Sitze verschieben. Ob die linken Parteien mit Schwung starten oder die SP über die Bundesratswahl stolpert, darüber wird aber erst einmal eine praktische Frage entscheiden: wie schnell die Partei ihr Jositsch-Rätsel löst.