Wohnpolitik: «Lokale Lösungen für ein globales Problem»

Nr. 46 –

Mit Haustürgesprächen zum Durchbruch: Paulina Domke von der Initiative «Hamburg enteignet!» erklärt, wie in der Hansestadt an den Berliner Abstimmungserfolg von 2021 angeknüpft werden soll.

WOZ: Frau Domke, ist Hamburg eine Stadt der Mieter:innen?

Paulina Domke: Es gibt hier über 700 000 Mietwohnungen bei annähernd zwei Millionen Einwohner:innen, es ist also eine Stadt, in der sehr viel gemietet wird. Und Hamburg wird immer teurer – mittlerweile wenden die Menschen durchschnittlich ungefähr vierzig Prozent ihres Einkommens für die Miete auf, viele sogar mehr als die Hälfte.

Seit wann ist das so?

Hamburg war schon immer relativ teuer. Wie in vielen deutschen Grossstädten ist es aber seit Anfang der nuller Jahre, später infolge der Finanzkrise und aufgrund der grossen Investitionen in den Wohnungsmarkt noch extremer geworden. Gemäss letzter Erhebung sind die Mieten allein von 2019 bis 2021 durchschnittlich um über sieben Prozent gestiegen. Das ist viel – vor allem auch dafür, dass sehr viel neu gebaut wird, was als Lösung des Problems propagiert wird.

Paulina Domke
Paulina Domke,
Stadtaktivistin

Warum wird das Kapital denn vom Hamburger Immobilienmarkt angezogen?

Die Stadt scheint attraktiv, weil hier schon lange sehr hohe Mieten gezahlt werden – und weil es offensichtlich Menschen gibt, die sich diese leisten können. Dass weiterhin teure Neubauten entstehen, deutet darauf hin, dass sich in den Augen der Investor:innen auch weiterhin grosse Renditen rausziehen lassen. Aber das passiert auf Kosten vieler Hamburger:innen, die etwa in Wohnsituationen bleiben müssen, die gar nicht zu ihrer Lebenslage passen. Andere werden aus der Stadt verdrängt, schlimmstenfalls landen sie in der Wohnungslosigkeit oder in anderen Zwangssituationen.

Vor etwas mehr als einem Jahr haben Sie die Volksinitiative «Hamburg enteignet!» mitbegründet. Was fordert diese konkret?

Wir schlagen vor, dass die Wohnbestände von profitorientierten Firmen mit mehr als 500 Wohnungen in Hamburg zum Zweck der Vergesellschaftung in Gemeineigentum überführt werden. Und dass die Wohnungen nicht einfach in eine öffentliche Anstalt übergehen sollen, sondern dass für ihre Verwaltung eine Rechtsform gefunden werden muss, in der unter anderem auch die Mieter:innen und die städtische Politik Mitbestimmungsrechte haben. So soll nicht zuletzt ausgeschlossen werden, dass der Wohnungsbestand eines Tages einfach wieder verkauft wird.

Sie fordern, dass die öffentliche Hand den Firmen die Immobilien abkauft …

… ja, aber keinesfalls zum Spekulationspreis. Ein Vorschlag wäre, zu ermitteln, was einst für eine Wohnung bezahlt wurde und seither an Erhaltungs- und Sanierungskosten investiert wurde. Für den Kauf müsste ein öffentlicher Kredit aufgenommen werden – und gemäss Berechnungen lässt sich dies auch mit künftig günstigen Mieten finanzieren, weil schliesslich kein Profit abgeschöpft werden muss.

Es ist wohl kein Zufall, dass «Hamburg enteignet!» im September 2021 unmittelbar nach dem Abstimmungserfolg von «Deutsche Wohnen & Co. enteignen» in Berlin entstanden ist. Ist die Ausgangslage in den beiden Städten denn vergleichbar?

Zunächst ist das Mietenthema natürlich ein globales Thema. Aber es verlangt lokale Lösungen, und da gibt es durchaus Gemeinsamkeiten. Sowohl in Hamburg wie auch in Berlin ist die Mietbelastung für sehr viele Menschen extrem hoch. Und beiderorts sieht der politische Lösungsweg bislang vor, dem Problem mit dem Bau neuer Wohnungen zu begegnen, was aber beiderorts nicht funktioniert, nur schon aufgrund der begrenzten Platzverhältnisse, und was auch ökologisch fragwürdig ist. Aber es gibt natürlich auch Unterschiede.

Was ist in Hamburg anders als in Berlin?

Der Wohnungsmarkt ist hier kleinteiliger. Teils sind dieselben Player involviert wie in Berlin, und sie verhalten sich auch ähnlich. Aber in Hamburg sind ihre Bestände kleiner. Der Wohnungskonzern Vonovia zum Beispiel, der die Deutsche Wohnen 2021 aufgekauft hat, besitzt in Berlin über 100 000 Wohnungen; hier sind es vielleicht 25 000. Auch das ist natürlich eine sehr grosse Zahl, die viel Einfluss auf den Mietenmarkt gewährt.

Die Enteignungskampagne in Berlin ist auch deshalb so verblüffend, weil sie es geschafft hat, unzählige grössere und kleinere Kiezorganisationen für ein gemeinsames Unterfangen zu vereinen. Wo stehen Sie diesbezüglich in Hamburg?

Mit «Recht auf Stadt» gibt es in Hamburg bereits ein grosses Netzwerk, das in den letzten Jahren zwar etwas eingeschlafen ist, auf das wir aber aufbauen konnten, als wir im letzten Jahr mit der Arbeit anfingen. Wir versuchen jetzt quasi, den entgegengesetzten Weg zu nehmen: Wir müssen von der übergeordneten auf die lokalere Ebene kommen. Mittlerweile haben etwa zehn Stadtteilgruppen angefangen, Unterschriften für die Initiative zu sammeln.

Die erste Sammelphase läuft bis im März 2023, bis dahin brauchen Sie 10 000 gültige Unterschriften. Wie läuft es?

Sehr gut, wir haben bereits über die Hälfte, wollen aber deutlich drüber. Denn alle sollen unterschreiben dürfen, auch wenn sie nicht stimmberechtigt sind, etwa weil sie nicht über die deutsche Staatsbürgerschaft verfügen. Beim Sammeln geht es zudem nicht nur um die Unterschriften, sondern auch um den Austausch, der etwa bei unseren Haustürgesprächen entsteht.

Sie gehen also von Tür zu Tür – auch dieser Ansatz erinnert stark an die Berliner Kampagne.

Ja, wir sind selbstverständlich vernetzt und versuchen, von unseren Erfahrungen gegenseitig zu profitieren. Die Haustürgespräche sind für die meisten von uns völlig neu, und sie sind superspannend. Denn man sieht plötzlich, wie viel lokale Expertise im Umgang mit grossen Immobilienfirmen tatsächlich vorhanden ist. Da ist unglaublich viel wertvolles Wissen, das sich zusammentragen lässt. Und zudem stellt man fest: Vielerorts sind die Mieter:innen auch bereits in der einen oder anderen Form organisiert.

Haben Sie auch politischen Rückhalt?

In der rot-grünen Regierung nicht, im Parlament befürwortet immerhin die Partei Die Linke unsere Initiative. Aber wir sind an keine Partei gekoppelt. Und wir gehen auch nicht davon aus, dass die Politik unser Anliegen zufriedenstellend aufgreifen wird. Stattdessen bereiten wir uns darauf vor, dass wir eine zweite Sammelphase werden stemmen müssen: Dann geht es darum, innerhalb von drei Wochen fünf Prozent der Hamburger Stimmberechtigten zur Unterschrift zu bewegen, also etwa 65 000 Menschen.

Ein riesiges Unterfangen. Wie viele Aktivist:innen sind derzeit bei «Hamburg enteignet!» engagiert?

Den Kern bilden etwa fünfzig Menschen, im grösseren Kreis kommen noch etwa hundert hinzu. Aber ja, wir machen das alle in unserer Freizeit, und es bindet sehr viele Ressourcen, dauerhaft aktiv zu bleiben. Wir haben aber das feste Ziel, dass in Hamburg 2025 über unseren Vorschlag abgestimmt wird. Im selben Jahr also, in dem auch die nächsten lokalen und nationalen Wahlen stattfinden.

Paulina Domke (26) studiert in Hamburg Stadtplanung. Die Aktivistin von «Hamburg enteignet!» war letzte Woche Podiumsgast der WOZ-Veranstaltungsreihe zur Stadtentwicklung.