Auf allen Kanälen: Männerkrampf

Nr. 49 –

Aufregende Musik machen Metallica seit dreissig Jahren nicht mehr. Wieso bleibt die Band als popkulturelles Phänomen trotzdem so attraktiv?

stilisiertes Metallica-Band-Logo in schwarzweiss

Wer Metal liebt, kann sich immer wieder darüber aufregen, wie viel Aufmerksamkeit diese Band erhält; schon ihr Name klingt wie eine Behauptung, hier habe man es mit dem Inbegriff des Genres zu tun: Metallica. Gerade hat der «New Yorker» ihr ein sehr ausführliches Porträt gewidmet: «The Enduring Metal Genius of Metallica». Diese Bedeutung hat auch mit Reichweite zu tun: Die Band hat gleich viele Platten verkauft wie Bruce Springsteen oder Jay-Z. Aber die Geschichte ist viel interessanter.

Zuerst einmal ist es die Geschichte eines faszinierenden Zerfalls. In den achtziger Jahren veröffentlichten Metallica mindestens zwei Meisterwerke und stiegen Anfang der Neunziger zu weltweitem Ruhm auf. Sie waren dort, wo es heiss war. 1991 etwa in Moskau, wo sie vor geschätzt eineinhalb Millionen Fans spielten. Die Aufnahmen auf Youtube lassen die Intensität nur erahnen: als würde die Aggression der Musik die aufrührerischen Dämonen der Menge in Wallung versetzen. Ähnliche Energien setzten sie in einer anderen Diktatur frei, 1993 in Jakarta. Beide Konzerte endeten in Gewalt zwischen Publikum und Sicherheitskräften.

Comics gegen Drogen

Ihre Alben und Konzerttickets verkauften sich weiterhin gut, aber das musikalische Werk stach von da an vor allem durch Tiefpunkte hervor. Wie das legendär schlechte Album «St. Anger» (2003) – verkrampfter kann Musik kaum klingen. Oder das auf keine gute Art verschrobene «Lulu» (2011) mit einer Art Sprechgesang von Lou Reed, tragischerweise dessen letztes Album. Das muss einen nicht überraschen, Kreativität kann flüchtig sein. Doch ein Faktor scheint die Banddynamik merklich gestört zu haben: zerstörerische Männlichkeit.

Dazu schildert auch der «New Yorker» einige Szenen. 1986 kommt der Bassist Cliff Burton, der beste Musiker der Band, bei einem Unfall mit dem Bandbus tragisch ums Leben. Als der neue Bassist, Jason Newsted, einsteigt, findet er einen Haufen Alkoholiker vor. «Die hatten ihren Führer verloren. Cliff war ihr Lehrer.» Dominiert werden Metallica von den Alphatieren James Hetfield (Gesang, Gitarre) und Lars Ulrich (Drums), deren Beziehung von Machtwille und Eifersucht geprägt ist. Neben ihnen wirkt Leadgitarrist Kirk Hammett wie ein Geist, obwohl er das reflektierteste Bandmitglied ist. Er sagt Sätze wie: «Toxische Männlichkeit hat diese Band angetrieben.» Sein Vater war gewalttätig und verspottete ihn als Bücherwurm. Später wurde er Buddhist und vertiefte sich in Comics, um von den Drogen wegzukommen.

Bei aller Verknorztheit haben die Männer auch eine therapieoffene Seite. Man muss ihnen zugutehalten, dass sie damals den Dokfilm «Some Kind of Monster» (2004) und damit den Blick in den eigenen Abgrund freigaben. Ein grossartiger Film, der sie in ihrer ganzen Orientierungs- und Hilflosigkeit zeigt. Er begleitet die Band während einer tiefen Krise; ein zwielichtiger Promitherapeut übernimmt den Lead, und die Musiker sind derart von der Rolle, dass sie beim Spielen die Souveränität einer Schülerband ausstrahlen. Die Streite zwischen Ulrich und Hetfield eskalieren, bis dieser im Entzug verschwindet und den anderen fast ein Jahr fernbleibt, um sich endlich als guter Vater zu versuchen. Hammett sucht die Einsamkeit auf dem Surfbrett, und Ulrich liegt auf dem Sofa vor seinem Basquiat und gibt hohle Sätze über Schaffensprozesse von sich.

Kein neuer Gott

Nicht nur bei Hammett sind die Eltern ein Thema. Ulrichs Vater, ein Jazzkritiker, kommt aus Dänemark zu Besuch und empfiehlt dem Sohn, die neusten Metallica-Aufnahmen gleich zu löschen. Hetfield führt seine Verlustangst und seinen Kontrollwahn auf die Kindheit zurück; der Vater verliess die Familie, die Mutter entschied sich aus religiösen Gründen gegen eine Krebsbehandlung und starb. Im «New Yorker» sagt Hetfield: «Einen neuen Gott zu finden, der nicht Alkohol ist … ja, daran arbeite ich immer noch.»

Metallica sind keine besonders blasphemische Band, aber auf jeden Fall gottlos: Zuflucht bietet ihre Musik, in der es vor allem um den Tod geht, höchstens dadurch, dass sie den Schmerz über eine Welt ohne Zuflucht zum Ausdruck bringt. Dazu passt, dass sie es geschafft hat, trotz ihres kommerziellen Erfolgs und ihres entsprechenden Verhaltens ein Schrei der Aussenseiter:innen zu bleiben.