Schweizer Hilfe für die Ukraine: Transformatoren und mehr Tempo
Angesichts der gezielten russischen Angriffe auf die Energieinfrastruktur der Ukraine zeigt sich die Schweiz durchaus hilfsbereit. Entscheidend ist, wie rasch und wie spezifisch die Hilfe ausfällt. Und da hapert es.
Der politische Wille zur Unterstützung der Ukraine ist vorhanden. Anfang der Woche stimmte das Parlament einem vom Bundesrat vorgeschlagenen Kredit über 100 Millionen Franken für die Winterhilfe in der Ukraine zu. Schon im Frühjahr hiess die Schweiz eine finanzielle Unterstützung der Ukraine im Umfang von 80 Millionen Franken gut.
Gemäss dem Bundesamt für Energie (BFE) liegt ein Schwerpunkt der nun gesprochenen Winterhilfe sinnvollerweise im Energiebereich: «Dafür sind 44 Millionen Schweizer Franken vorgesehen. Diese sollen jedoch über bestehende Kanäle ausbezahlt werden, die über die nötige Logistik verfügen», teilt das BFE auf Nachfrage mit und verweist auf die Uno, die EU, die deutsche Förderbank Kreditanstalt für Wiederaufbau und die Weltbank. Genau darin liegt allerdings das Problem der Schweizer Winterhilfe: Sie setzt auf bestehende und bewährte Kanäle und breit abgestützten Support, doch die Bedürfnisse der Ukraine sind akut und spezifisch.
«Humanitäre Katastrophe droht»
«Seit dem Herbst greift Russland mit Hunderten Raketen und iranischen Kamikazedrohnen sehr gezielt und wiederholt die ukrainische Energieinfrastruktur an. Besonders im Fokus stehen dabei Umspannwerke mit Transformatoren, das Herzstück der ukrainischen Stromversorgung», sagen Wiktoria Woitsitska und Olena Haluschka in einem Videocall der WOZ. Woitsitska, eine ehemalige ukrainische Parlamentsabgeordnete, und Haluschka, die einst als Journalistin tätig war, sind Teil einer Taskforce, die der ukrainische Vizepremierminister Oleksandr Kubrakow aufgestellt hat, um die stark beeinträchtigte Stromversorgung (siehe WOZ Nr. 48/22) in den kommenden Wintermonaten zu gewährleisten. Ihre Prioritäten: «Wir brauchen sehr dringend Ersatz für zerstörte Transformatoren.» Es müssten nicht neue sein, auch gebrauchte, ausgemusterte oder nicht voll funktionsfähige Transformatoren würden helfen.
Weit weniger wichtig seien hingegen Dieselgeneratoren. Diese seien zwar zumindest lokal hilfreich, aber «die Wirkung ist so, als würde man einer Person, die dringend eine Herzoperation benötigt, ein Aspirin geben», sagt Woitsitska. Ein Land von der Grösse der Ukraine mit derzeit rund 35 Millionen Einwohner:innen könne sich nicht mittels Generatoren mit Strom versorgen. «Das Hauptproblem liegt darin, dass die meisten Heizsysteme, insbesondere in den Städten, zentralisiert sind und nur dann funktionieren, wenn Strom verfügbar ist.» Ohne Strom und bei Temperaturen von aktuell bis zu minus zwölf Grad in der Nacht gefriere das Wasser in den Leitungen. Dadurch sei das Fernwärmenetz nicht mehr funktionsfähig, das Millionen Wohnungen heize und mit Warmwasser versorge, sagt Haluschka. «Wenn das passiert, beispielsweise in Kyjiw oder einer anderen grösseren Stadt, führt das zu einer grossen humanitären Katastrophe und einer Notlage für Hunderttausende.»
Die Situation erfordert schnelle und flexible Lösungen. Denn die Lage bleibt prekär. Russland nahm auch diese Woche wieder gezielt die ukrainische Energieinfrastruktur unter Beschuss. Doch in der Schweiz fehlt bisher das Bewusstsein für die hohe Dringlichkeit der Unterstützungsmassnahmen. Das gilt nicht nur für die Politik, sondern auch für die Strombranche, die ebenfalls willens ist, die Ukraine zu unterstützen. Wie der Verband der Schweizerischen Elektrizitätsunternehmen (VSE) mitteilt, läuft seit ein paar Wochen ein «Spendenaufruf» in der Branche. Erste Zusagen seien bereits eingegangen, noch sei aber nicht klar, ob auch für Transformatoren und Generatoren. «Wir werden im Anschluss versuchen, alle Güter über den etablierten Lieferprozess zu transportieren, der sich im Sommer bewährt hat», schreibt der VSE.
Administrative Hürden
Die erwähnte Spendenlieferung war keineswegs gering: Acht Lastwagen lieferten je fast zwei Dutzend Transformatoren und Generatoren verschiedener Grösse in die Ukraine. Doch der Prozess dauerte von März bis Juni. Unter anderem verzögerten damals auch administrative Gründe die Ausfuhr. Bei der ursprünglich geplanten Zwischenstation in Polen wären Zollgebühren und Steuern in Höhe mehrerer Zehntausend Franken fällig geworden. Auch das zeigt: Die bewährten «etablierten Lieferprozesse» reichen nicht.
Es lohnt sich, auf jene Leute zu hören, die die Situation vor Ort in der Ukraine kennen. So sagt etwa Oleksandr Chartschenko, Direktor des Energy Industry Research Center in Kyjiw, der WOZ, es gebe Organisationen wie die europäische Energy Community, die US-Behörde USAID und das Entwicklungsprogramm der Uno (UNDP), die in den vergangenen Monaten sinnvolle Verfahren für eine schnelle Beschaffung entwickelt hätten. «Insbesondere das UNDP-Büro hier in Kyjiw verfügt über ein sehr vernünftiges Management», sagt Chartschenko. Das Büro suche derzeit gezielt Mittel und Wege, um die Notstromproduktion mittels Turbinen zu gewährleisten (siehe WOZ Nr. 47/22).
Wiktoria Woitsitska und Olena Haluschka kommen diese Woche sogar eigens in die Schweiz, um hier Politiker:innen sowie Vertreter:innen von Verbänden und Organisationen aus dem Energiebereich zu treffen – und davon zu überzeugen, nicht auf «Bewährtes», sondern auf neue und schnellere Lösungen zu setzen.