Energieversorgung: Sparen, sparen, sparen

Nr. 27 –

Im kommenden Winter könnte es knapp werden mit der Energie. Doch Grund zur Panik gibt es nicht. Im Gegenteil: Längst nötige Sparanstrengungen könnten jetzt endlich umgesetzt werden. Eine Auslegeordnung.

Luftaufnahme des Luzerner Seebecken bei Nacht
Licht aus in der Leuchtenstadt Luzern? Ein Verzicht auf unnötige Beleuchtung hilft, weniger Strom zu vergeuden. Foto: Alessandro Della Bella, Keystone

Wenn der Bundesrat mitten im Sommer über mögliche Mangellagen im Erdgas- und Strombereich informiert, ist klar: Die Frage der Versorgungssicherheit ist ernst. Und sie ist komplex. Einfache Antworten bringen die Diskussion nicht weiter.

Dennoch fand in den vergangenen Tagen die von der SVP aufgeworfene Forderung, noch unerschlossenes Erdgas im Tessin zu fördern, einige Beachtung. Auch ungeachtet der Folgen für Mensch und Klima: Es würde Jahre bis zur Inbetriebnahme einer solchen Anlage dauern, wenn ein solches Projekt überhaupt realisierbar wäre. Ähnliches gilt für den Bau neuer AKWs.

Unternehmen bereiten sich vor

Ob es diesen Winter tatsächlich eine Energiemangellage geben wird und wie gross diese dann sein würde, ist schwer abzuschätzen. Aufgrund der versiegenden Gaslieferungen aus Russland sind jedoch Lösungen für den Ernstfall gesucht. So viel vorweg: Es gibt sie. Zunächst einmal soll es aber um die Frage gehen, was ein Energiemangel konkret bedeuten würde.

Die WOZ hat mehr als ein Dutzend Akteure gefragt, wie sie auf eine mögliche Mangellage vorbereitet seien. Konkret: Was würde es für sie bedeuten, wenn während des kommenden Winters vier Wochen lang zwanzig Prozent weniger Energie zur Verfügung stünden – ein reales Szenario, das vom Bund wie von Politiker:innen und Energieexpert:innen skizziert wird. Die befragten Akteure vereint, dass sie über eine grosse Infrastruktur verfügen, zentrale Dienstleistungen erbringen oder wichtige Produkte herstellen: ein Spital, eine Universität, die SBB und die Post, die Migros, ein Pharma- und ein Chemiekonzern, ein Nahrungsmittelhersteller, ein Glasproduzent und ein Datacenteranbieter sowie der Bund, ein Stadtkanton und eine ländliche Gemeinde.

Während privatwirtschaftliche Akteure nur sehr spärlich Auskunft geben, äussert sich etwa die Post als staatsnaher Betrieb so: «Bei einer Stromkontingentierung von zehn Prozent könnten wir wohl einen Grossteil der Leistungen weiterhin erbringen.» Angebote und Dienstleistungen im Bereich der Grundversorgung (Briefe, Pakete, Postauto, elektronischer Zahlungsverkehr) würden bevorzugt aufrechterhalten. Im Fall einer Mangellage würde die Post den Stromverbrauch zunächst etwa mit einer Homeofficeanordnung reduzieren. Welches Minimalangebot dennoch bestehen bleiben soll, falls dies nicht genügt, werde derzeit intern erarbeitet.

Eine sorgfältige Rückmeldung kommt auch von der Universität Bern. Bei einer Mangellage wären mögliche Massnahmen unter anderem: Heizung und Beleuchtung reduzieren (sofern es die Sicherheit nicht gefährdet) sowie energieintensive Forschung und ressourcenfressende Aktivitäten verschieben. Was sich nicht reduzieren liesse, sei etwa Energie zum Gefrieren von Proben oder zur Haltung von Versuchstieren. Auch wenn bei einer Mangellage die gewohnte Qualität längerfristig nicht gewährleistet werden könne, so könnten vier Wochen sicher ausgehalten und überbrückt werden, schreibt die Uni.

Der Handlungsspielraum ist allerdings nicht bei allen Angefragten gleich gross. So ist der Milchproduktehersteller Emmi auf Erdgas angewiesen. «Die Nahrungsmittelindustrie benötigt Gas als Prozessgas für die Herstellung von fast allen Produkten», heisst es von der Pressestelle. Entsprechend gravierend wäre eine substanzielle Mangellage.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Grund zur Panik gibt es nicht, auch wenn die Firmen und die Institutionen unterschiedlich viel Spielraum im Umgang mit einer möglichen Energieknappheit sehen.

Sofortmassnahmen

In der Schweiz macht Gas etwa fünfzehn Prozent des Gesamtenergieverbrauchs aus, wovon knapp die Hälfte ursprünglich aus Russland stammt. Es wird vor allem im Industrie- und Dienstleistungssektor und in Haushalten fürs Heizen, Kochen und Warmwasser verbraucht. Weil Gas im europäischen Umland für die Stromerzeugung wichtig ist, kann sich eine anhaltende Gasknappheit auch auf die Stromversorgung auswirken, die länderübergreifend geregelt ist.

Wie kann die mögliche Energiemangellage nun abgefedert werden? «Einige Gasheizungen könnten sicher noch durch Wärmepumpen ersetzt werden», sagt Felix Nipkow, «aber bis im Winter von fossilem Erdgas unabhängig zu werden, ist unmöglich.» Der Koleiter des Fachbereichs Klima und erneuerbare Energien der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES) findet deshalb, dass der Bundesrat prinzipiell das richtige Konzept gewählt hat: Der Energiekonsum soll gedrosselt und für den verbleibenden Energiebedarf, wo möglich, Ersatz gefunden werden. Soll heissen: Gasreserven, die die Schweiz im Ausland besitzt, werden aufgestockt, Betreiber von Speicherkraftwerken halten Wasser zurück, und nichtrussisches Gas soll aus Nachbarländern, aber auch in Form von Flüssiggas (LNG) aus den USA oder Katar importiert werden. Weiter könnte etwa die Hälfte des in der Industrie genutzten Gases in sogenannten Zweistoffanlagen durch Heizöl aus bereits vorhandenen Schweizer Pflichtlagern ersetzt werden.

Kurzfristig sei der Einsatz weiterer fossiler Energieträger nötig, weil ein Totalausfall zu viel Schaden anrichten würde, sagt Energieexperte Nipkow. Um einen echten Blackout zu verhindern, können gewisse Bereiche wenn nötig gezielt und kontrolliert vom Netz genommen werden.

«Wir müssen unterscheiden zwischen Massnahmen, die helfen, den kommenden Winter zu überstehen, und mittel- und längerfristig sinnvollen Massnahmen», sagt Nipkow. «Mit Gaslieferverträgen für LNG aus Katar lösen wir das Problem nicht, sondern verschieben es nur.» Man müsse sich bewusst sein, dass die Krise mit Russland einige Jahre dauern werde, ergänzt Kurt Egger, Nationalrat der Grünen und Mitglied der Umweltkommission. «In dieser Zeit müssen möglichst viele Gas- und Ölheizungen durch Wärmepumpen und Fernwärme ersetzt werden», sagt er. Kurzfristig setzt er für die Industrie auf den Ersatz durch Heizöl.

Stromvergeudung stoppen

Viel wichtiger als Reserve und Ersatz sind für Egger wie auch für Nipkow, dass viel mehr Gas und Strom eingespart werden. Das kann sofort passieren. Der Bund will diesbezüglich mit den Gaslieferanten eine Informationskampagne lancieren.

Schon weiter sind die Städte: Unter Federführung der städtischen Elektrizitätswerke Genf wurde letzte Woche die Plattform «Energy Savers» lanciert. Sie will Wirtschaft, Verbände und Energiebranche zusammenbringen und Projekte für bessere Energieeffizienz unterstützen. Solche haben die Genfer seit Jahren zum Geschäftskonzept gemacht: Das Stadtwerk bietet für Privathaushalte und Unternehmen Beratung zum Energiesparen an.

Nipkow seinerseits schwebt ein Bonus-Malus-System für Netzbetreiber oder Lieferanten vor: Sie werden belohnt, wenn sie weniger verbrauchen. Egger kann sich vorstellen, auch die Bereitschaft von Firmen zur Flexibilität zu belohnen: «Giessereien oder Alufirmen etwa könnten die jährlichen Wartungen, für die ihre Anlagen einige Wochen abgeschaltet werden müssen, auf den Winter verlegen und dafür entschädigt werden», sagt er.

«Auch ein Zuschlag für Besitzer:innen von Gebäuden mit fossilen Heizungen ist denkbar», sagt Nipkow. Wenn der Verbrauch gesenkt werde, solle es eine Belohnung direkt für die Mieter:innen geben, «weil dank ihres Verhaltens gespart würde».

Energiepolitiker Egger hat einen Vorstoss lanciert, um die Stromvergeudung in öffentlichen Gebäuden zu verringern: etwa bei Beleuchtungen oder Lüftungen von Tiefgaragen oder Industriehallen, die heute ganztags laufen. Den Anreiz zum Stromsparen könne man auch privat erhöhen, sagt Egger. «Wir könnten 20 000 Franken für jede stromfressende Elektroheizung zahlen, die ersetzt wird.» Dann sei der finanzielle Anreiz etwa viermal so hoch wie momentan.

Wenn das alles nicht reicht

Sollte es im Winter tatsächlich knapp werden, würde der Bund energieintensive Geräte und Anlagen verbieten und in einer nächsten Stufe schrittweise gewisse Bereiche vom Netz nehmen. Wie das genau passieren soll beziehungsweise wer betroffen wäre, sagt der Bundesrat noch nicht.

Doch so weit sind wir noch lange nicht: Bislang hat die Schweiz noch nicht einmal einen offiziellen Sparappell ausgesprochen, wie es in Deutschland der Fall war. Dabei ist im Prinzip klar: Heute schon Energie zu sparen, ist umweltfreundlich und hilft, Reserven für den Winter anzulegen.