Bachmann – Frisch: Viel Rummel um ein Verhängnis

Nr. 50 –

Der lange unter Verschluss gebliebene Briefwechsel zwischen Ingeborg Bachmann und Max Frisch war das Feuilletonereignis der letzten Wochen. Ein paar kritische Rückfragen.

«Ich hoffe nur noch, dass Dir, im Lauf der Zeit wenigstens, alles teuer genug geworden ist, was an schriftlichen Aeusserungen da ist, um es zu verbrennen, damit niemand ein Schauspiel hat eines Tags, denn wir wissen ja nicht, wie lange wir im Besitz von Dingen bleiben, die Dich und mich allein etwas angehen.» Treffend hat Ingeborg Bachmann bereits Ende 1963 in einem ihrer letzten Briefe an den einstigen Geliebten Max Frisch vorweggenommen, was in den vergangenen Wochen nun im deutschsprachigen Feuilleton veranstaltet wurde: ein wortreiches Spektakel rund um diesen jahrzehntelang unter Verschluss gebliebenen, nun publizierten privaten Briefwechsel zwischen zwei bekannten Autor:innen der Nachkriegszeit.

In der ersten Rezeptionsrunde gefasste neue «Gewissheiten» kriegen bald wieder Risse.

Den ersten Auftritt hatte Iris Radisch in der «Zeit». Sie durfte die Briefe offenbar vor allen anderen lesen und stand entsprechend unter Druck, Grosses darüber zu berichten. Man hievte also das «Glamourpaar» auf die Frontseite der Zeitung, überschrieb das Ganze fantasievoll mit «Eine Jahrhundertliebe» und sparte auch sonst nicht mit Überschwang. Eine «Sensation» sei der Band und «grossartige, überwältigende Literatur»: «Dieser Liebesroman in Briefen wird Literaturgeschichte, Zeitgeschichte und Liebesgeschichte schreiben.»

Lügen aus dem Krankenbett

Manche mochten sich fragen, wie ein Briefwechsel zwischen zwei mal verliebten, längst toten Schriftsteller:innen – Bachmann starb 1973 an den Folgen eines Brandunfalls und unbehandelten Entzugserscheinungen, Frisch 1991 an Krebs – zum Grossereignis werden kann. Es hat, knapp gesagt, viel damit zu tun, dass sich manches Gerücht um diese prominente, turbulente, brutal gescheiterte Beziehung rankte. Beide hatten nach den wenigen gemeinsamen Jahren nicht viel Gutes übers Gegenüber zu sagen, verarbeiteten die Beziehung auch – ganz unterschiedlich – literarisch. Aber bis heute wusste man kaum, was sie einander direkt gesagt hatten. Dazu kommt: Bachmann hatte verfügt, dass die Briefe nicht veröffentlicht werden sollten, ein Wunsch, über den sich die Nachlassverwalter:innen nun hinwegsetzen; Frisch wiederum hatte sein ursprüngliches Publikationsverbot selber noch aufgehoben, allerdings mit einer Sperrfrist.

Was inhaltlich nun als Sensation verkauft wird: Zwei anscheinend noch nicht bekannte Liebschaften Bachmanns tauchen auf, dazu der Nachweis, dass sie und Frisch versucht hatten, vertraglich geregelt, eine offene Beziehung zu führen. Ausserdem: Frisch hat seinen Roman «Mein Name sei Gantenbein», der kurz nach der Trennung herauskam und biografische Züge trägt, nicht, wie manche vermuteten, an seiner Ex vorbeigeschmuggelt, sondern er gab ihr das Manuskript rechtzeitig zu lesen und setzte ihre Anmerkungen und Wünsche auch um.

Insgesamt herrscht in den Besprechungen der Eindruck vor, der in seinem Verhalten gegenüber Bachmann oft als rücksichtslos beschriebene Frisch sei dank der aus diesem Briefwechsel gewonnenen Einsichten nun rehabilitiert. Vorgespurt von der «Zeit», aber auch von den zwei Nachworten der Herausgeber:innen, führt eine überstürzte Rezeption des rund tausendseitigen Briefbands dazu, dass alle ungefähr dieselben Einschätzungen verbreiten.

Daniel Graf wirft in der «Republik» ein paar kluge Fragen auf, etwa die, ob hier nicht zwei schriftstellerische Konkurrent:innen auch in ihren Briefen unbedingt vor dem «Kennerblick» des Gegenübers «bestehen» wollten. Man darf noch direkter fragen: Was ist überhaupt der Wahrheitsgehalt eines persönlichen Briefs? Und wird nicht gerade zwischen entzweiten Vertrauten oft verzweifelt gelogen? Davon ist banalerweise auszugehen. Bei Bachmann und Frisch war es sogar so, dass sie vor allem dann nicht aufrichtig waren, wenn es ihnen besonders schlecht ging: er, als er zu Beginn der Liaison mit Hepatitis im Krankenhaus lag; sie, als sie sich am Ende der Liebe die Gebärmutter entfernen lassen musste, danach in psychiatrischer Behandlung war. Beide beteuerten, sie würden im Krankenbett lieber ohne Partner:in bleiben. Und schimpften danach über mangelnde Empathie.

Auch wenn sie mit einer Aktion des Gegenübers so gar nicht zufrieden waren, zeigten sie sich wenig aufrichtig: Frisch spielt herunter, wie sehr er sich über ihre Zerstörung seines «Krankheitstagebuchs» geärgert hat. Bachmann sagte wohl nicht ganz die Wahrheit in ihrem Lob des «Gantenbein»-Romans. In den Briefen wird abgewiegelt, beschwichtigt, gepriesen – Drittpersonen gegenüber äusserten sie sich oft ganz anders. Dass die Briefe nun ausgerechnet zu diesen umstrittenen Feldern eine unverhüllte neue Wahrheit enthalten sollen, ist also fraglich. Einmal abgesehen davon, dass Briefe eine Beziehung nur in Bruchstücken abbilden können und der vorliegende Austausch auch sonst manche – deklarierte – Lücke aufweist, weil Briefe fehlen, vor allem solche von Frisch. Der kernige Satz, dass in diesen Briefen «mit vielen Mythen aufgeräumt» werde, wie einer der Herausgeber im Deutschlandfunk zu Protokoll gab, verdeckt die Tatsache, dass hier gleichzeitig neue Mythen entstehen.

Wer sich leicht verspätet durch diesen Backstein von einem Buch liest, kann feststellen, wie in der ersten Rezeptionsrunde gefasste, neue «Gewissheiten» bald wieder Risse kriegen. Denn der Briefwechsel zeigt eben nicht nur, dass Frisch sein «Mein Name sei Gantenbein»-Manuskript von Bachmann loben und revidieren liess, sondern er macht zugleich ihre nackte Panik greifbar, tatsächlich mit einer Figur in diesem Roman assoziiert zu werden. Darin spiegelt sich Bachmanns grundsätzlichere Angst, in Frischs damals bereits wohlbekannte literarische Lebensverwertungsmaschinerie hineinzugeraten. Dass diese Befürchtung berechtigt war, beweist Frischs «Montauk», erschienen zwei Jahre nach Bachmanns frühem Tod: eine hemmungslose Auswertung seiner Frauenbeziehungen mit Klarnamen, er nennts «Eine Erzählung». Auch einzelne Tagebücher publizierte er bereits zu Lebzeiten.

Versteckte Schlagseiten

Ohne dass man den Herausgeber:innen eine klare Absicht unterstellen will, lässt sich feststellen, dass sie eine Nähe zu Frischs Perspektive haben. Deutlich schlägt sich diese etwa im gewählten Titel nieder: «Wir haben es nicht gut gemacht» ist eine Einschätzung von Frisch, die ihm selber so gut gefiel, dass er sie, leicht abgewandelt, in «Montauk» gleich nochmals auftischt. Er darf also mit einem gönnerhaften «Wir» bereits auf dem Buchcover das abschliessende Urteil über die Beziehung fällen.

Eine verstecktere Schlagseite offenbart sich in der Methodik: Im Kommentarapparat werden wiederholt Passagen aus Frischs und Bachmanns literarischem Werk herbeizitiert, um Wissenslücken zu stopfen oder Briefaussagen zu ergänzen. Das ist nicht nur eine auffallend unbedarfte Reduktion von Literatur zum Auskunftsorgan über Biografisches. Der ausführliche Fussnoten- und Kommentarteil schafft hier auch genau jene unverblümte Vermengung von Privatleben und Literatur, die zu Frischs schriftstellerischem Geschäftsmodell wurde, Bachmann jedoch ein Gräuel war.

Wie sie in ihren Depeschen an Frisch ausführte, wollte sie diesen Briefwechsel auch deshalb zerstört wissen, weil sie eine solche Vermischung – und ihre posthume Nachverfolgung – um jeden Preis verhindern wollte. Nun richtet der Briefband also genau das an, was Bachmann so ausdrücklich ablehnte: eine heillose Verstrickung von Leben und Werk. In der eingangs zitierten Briefpassage kommt dagegen die ganze Komplexität von Bachmanns eigenem Ansatz zum Ausdruck: Sie hofft, das gemeinsam Erlebte sei für Frisch «teuer genug», dass er es schliesslich «verbrennen» könne. Das Private ist zu kostbar, um zur Literatur verwertet zu werden.

«Quengelware für Boomer»

«‹Wir haben es nicht gut gemacht›» offenbart anschaulich, wie wenig echte Erkenntnisgewinne eine banal-biografische «Entschlüsselung» von Literat:innen und ihrer Literatur letztlich bereithält; wie sehr eine solche vor allem voyeuristische Gelüste bedient. Wenn wir ehrlich sind, haben wir Aussenstehenden in der intimen schriftlichen Erörterung dieses Beziehungsverhängnisses nichts verloren. Der Briefwechsel ist über weite Strecken auch viel quälender zu lesen, als die sich begeistert gebende Rezeption glauben macht. Unnötig auch, dass in einem Nachwort Sigrid Weigel, eine bekannte Bachmann-Forscherin und Kritikerin allzu simpler «Biografismen», zusammengestaucht wird. Dabei ist Weigels bereits 1999 erschienene und explizit «unter Wahrung des Briefgeheimnisses» verfasste Monografie über Bachmanns intellektuelle Hinterlassenschaften und Korrespondenzen viel aufschlussreicher als das kommentierte alltägliche Klein-Klein dieser Briefe.

Die von der «Zeit» verkündete «Literaturgeschichte, Zeitgeschichte» sucht man im Band weitgehend vergeblich. Vielmehr fällt auf, wie bestürzend wenig intellektueller Austausch hier eigentlich stattfand, wie wenig echte Begegnung abseits von Kosenamen – «Ach Schnurrlimurrli», «Du Wüstbär» – und auch ein paar poetisch anspruchsvolleren Liebesworten. Die Unterschiede etwa zu den Briefen zwischen Bachmann und dem Dichter Paul Celan, einem früheren Geliebten, sind frappant.

Gut möglich, dass man sich heute angesichts eines schwindenden literarischen Einflusses der Briefpartner:innen – wer liest noch Frischs Prosa, wer Bachmanns? – umso gieriger auf das Biografische stürzt. Nicht zu Unrecht warf der Germanist Johannes Franzen auf Twitter ein: «Briefwechsel sind die Bunte für Feuilletonleser:innen.» Für die scharfzüngig twitternde Buchhändlerin Magda Birkmann ist der stapelweise direkt bei der Kasse aufliegende Briefband schlicht «Quengelware für intellektuelle Boomer».

Buchcover von «‹Wir haben es nicht gut gemacht›. Der Briefwechsel»

Ingeborg Bachmann, Max Frisch: «‹Wir haben es nicht gut gemacht›. Der Briefwechsel». Herausgegeben von Hans Höller, Renate Langer, Thomas Strässle, Barbara Wiedemann. Piper und Suhrkamp. München und Berlin 2022. 1040 Seiten. 53 Franken.