El Salvador, Jamaika, Honduras: Belagerte Städte
Schwer bewaffnete Kommandos durchsuchen in El Salvador ein Haus nach dem anderen – vorgeblich im Kampf gegen kriminelle Banden. Und die repressiven Methoden von Präsident Nayib Bukele finden bereits Nachahmer.
Die repressiven Methoden des salvadorianischen Präsidenten Nayib Bukele machen Schule. Am 26. März hatte er den Ausnahmezustand über das zentralamerikanische Land verhängt. Der wurde seither jeden Monat verlängert und gilt noch immer (siehe WOZ Nr. 39/22). Auslöser war, dass seine Regierung ein Stillhalteabkommen mit kriminellen Banden – sogenannten Maras – aufgekündigt hatte. Die Banden rächten sich dafür mit über sechzig Morden an einem Tag. Seither liess der Präsident mindestens 58 000 Menschen ohne Haftbefehl ins Gefängnis werfen, selbst zwölfjährige Kinder. Die Haftanstalten sind mehr als dreifach überbelegt, es gibt Berichte von systematischer Folter. Mindestens achtzig Gefangene sind in der Haft unter ungeklärten Umständen zu Tode gekommen. Die Regierung informiert über diese Fälle nicht, nicht einmal die Angehörigen. Diese erfahren von Beerdigungsunternehmen vom Tod ihrer Verwandten.
In der vergangenen Woche folgte Andrew Holness, der Premierminister von Jamaika, diesem Beispiel. Am 6. Dezember verhängte er über sechs der vierzehn Provinzen der karibischen Insel den Ausnahmezustand, unter anderem über die Hauptstadt Kingston und über die Tourismushochburg Montego Bay. Dort sind nun willkürliche Verhaftungen ohne Haftbefehl und Hausdurchsuchungen ohne Durchsuchungsbefehl möglich. Die Begründung des Staatschefs: «Wir stehen vor einer ernsthaften kriminellen Bedrohung und müssen alle uns zur Verfügung stehenden Mittel nutzen.» Die Jamaikaner:innen «müssen sich unter ihren Betten verstecken und ihre Töchter wegschliessen. Sie können nicht mehr zur Kirche gehen und müssen zusehen, wie ihre Söhne, Partner, Ehemänner getötet werden.» Kurzum: Wie Bukele in El Salvador rechtfertigt auch Holness den autoritären Durchgriff mit zunehmender krimineller Gewalt.
Schlägertrupps der Parteien
Die Zahlen sind nicht eben eindeutig. In diesem Jahr starben in Jamaika bis zum 6. Dezember nach Polizeiangaben 1421 Menschen eines gewaltsamen Todes. Für ein Land mit 2,8 Millionen Einwohner:innen ist das erschreckend viel. Allerdings waren es im Vergleichszeitraum des vergangenen Jahres mit 1375 nur unwesentlich weniger. Die meisten dieser Morde werden kriminellen Banden angelastet, die mit der rechten neoliberalen «Jamaica Labor Party» von Holness oder der oppositionellen sozialistischen «People’s National Party» verbandelt sind. Sie dienen den Parteien als Schlägertrupps gegen politische Gegner und widmen sich zudem der Schutzgelderpressung, dem Drogenhandel und dem Lotteriebetrug. Holness hätte also durchaus auch andere Kanäle nutzen können, um auf die Banden einzuwirken. Aber das autoritäre Beispiel des Nayib Bukele scheint derzeit in dieser Weltregion verlockend zu sein.
Schon am Tag zuvor griff Xiomara Castro, die linke Präsidentin von Honduras, zum selben Mittel und verhängte den Ausnahmezustand über die Hauptstadt Tegucigalpa und die Industriemetropole San Pedro Sula. Auch sie begründete den Schritt mit der Gewalt der Maras. Die beiden grossen Verbände Mara Salvatrucha 13 und Barrio 18 wurden zwar von Salvadorianer:innen in den USA gegründet. Es gibt sie aber heute nicht nur in El Salvador und den USA, sondern auch in Honduras, Guatemala und Teilen von Mexiko. Sicherheitsexpert:innen schätzten die Stärke der Maras in El Salvador vor dem Kriegszug Bukeles auf rund 70 000 Mitglieder. Viele haben sich seither ins Ausland abgesetzt, und fast 60 000 angebliche Maramitglieder sind im Gefängnis. Danach dürften nur noch wenige frei herumlaufen.
Wer tätowiert ist, wird verhaftet
Trotzdem hat Bukele Anfang Dezember die «Phase fünf» der Massenverhaftungen ausgerufen. Es ist zwar nicht klar, was die Phasen eins bis vier gewesen sein sollen, aber mit «Phase fünf» meint er die Abriegelung ganzer Städte. Eine erste Übung dafür fand bereits im Oktober statt. Damals wurde die 15 000 Einwohner:innen zählende Landgemeinde Comasagua zwei Tage lang von 2000 Soldat:innen eingekesselt. Schwer bewaffnete Kommandos durchsuchten ein Haus nach dem anderen. Wurden junge Männer angetroffen, mussten diese sich entkleiden. Wer Tätowierungen am Körper hatte, wurde ins Gefängnis geworfen – Maramitglieder sind meistens tätowiert. Die Sicherheitskräfte bewerten Tattoos deshalb als Beweis für die Mitgliedschaft. An den beiden Tagen der Einkesselung wurden insgesamt fünfzig junge Männer verhaftet.
Der grosse Schlag wird nun seit dem 3. Dezember in Soyapango inszeniert. Die 300 000 Einwohner:innen der Stadt unmittelbar östlich von San Salvador leben überwiegend in Armenvierteln, Soyapango gilt seit Jahrzehnten als Hochburg der Maras. 8500 Soldat:innen und 1500 Polizist:innen riegelten sie ab und durchkämmen seither Haus um Haus. Die Belagerung dauerte bei Redaktionsschluss noch an. Es soll zwischen sechzig und siebzig Verhaftungen gegeben haben. Bukele feiert bereits seinen Erfolg: Die Zahl der Morde sei 2022 im Vergleich zum Vorjahr auf die Hälfte gesunken. Überprüfen lässt sich das nicht. Der Präsident hat schon öfter Fake News in die Welt gesetzt.